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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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körperliche Umfang des Letztern gegenüber dem "bedrohten Gleichgewicht zwischen
den Einnahmen und Ausgaben des Staats". Kurz, man medisirte nach Herzens¬
lust, die Volksversammlungen florirtcn ungenirt neben den geisterhaften weißen Män¬
teln der Kürassterstreiswachen, von Polizei oder nur Ordnung war überall wenig
die Rede, und das Staatsschiff -- ging eben weiter. -- Dieses Interregnum hatte
wirklich etwas von gemüthlicher Anarchie, und war selbst den Leuten der Ord¬
nungsparteien kaum ängstlich, da es eigentlich keine Bitmmler gab. Daneben
hatte es die Annehmlichkeit, daß jeder Standpunkt sich uach Belieben stellte.
Als jedoch Hr. v. d. Pfordten endlich von Frankfurt gekommen, und nun auch
Graf Bray zurückgetreten war, da höhnte das Publicum: VuMxvur "n porto-
k";unit;s! denn man hatte vom Manifest des 23. April etwas ganz Anderes erwartet,
als eine Paraphrase Bray'scher Aussprüche und Ollmützer Erklärungen, wie sie
allerdings die bekannte in-riclvn Ki>v"zoK des neuen Ministeriums darbot. Das
sogenannte öffentliche Bewußtsein weiß überhaupt gewöhnlich nur, was es nicht
will, selten was es will; das neue Ministerium hatte nnn freilich einen Stand¬
punkt, aber einen negativen. Unbedingte Anerkennung der uationalparlamentlichen
nud centralgewaltigeu Souverainetät -- rief man ihn! wol entgegen, aber bereits
leiser; denn wir wissen ja, wie draußen die Dinge weiter geschritten waren; man
fühlte damals anch bereits, daß man Etwas wollte, was bereits jenseit der Mög-
lichkeit lag, aber man wußte uicht, was an die Stelle zu setzen.

Nach dreimaliger Verlängerung der Vertagung ward am -17. Mai -18-59
die Session wieder begonnen. Die Voraussetzung des neuen Ministeriums, das
Vaterland in Gefahr zu erklären, wenn die Kammern -nicht mit der Regierung
gehen würden, stellte nnter den damaligen Sachlagen jede Opposition factisch i"
die Kategorie der Revolution. Dahin hatten bereits Nebensätze der Manifeste
vom 26. April und 3. Mai gedeutet, die ministeriellen Organe in der Presse
und im Leben führten diesen Grundsatz immer breiter und eindringlicher aus, je
mehr das ganze Land sich in ein Kriegslager verwandelte, je blutiger der Dres¬
dener Aufruhr niedergeschlagen war, je enger die Badische Revolution von den
Armeen umzingelt ward. So trat das Ministerium! den Kammern gegenübei,
und die vorher schweigsamen Elemente der ehrlichen Conservation wie deö beschränk¬
testen Partien larismuS gewannen Muth im Anblicke auf die allerwärts aufblit¬
zenden Bayvnnette. Vorher zu energielos, zu unthätig, zu--rücksichtsvoll, um
den demokratischen Überstürzungen entgegenzutreten, Viele von ihnen noch vor
und 1-1 Tagen Hauptfaiseurs der Adressen und Demonstrationen für volle Ane"
kennung der Reichsverfassung, Hauptredner sür die unbedingte Geltung der Grn" -
rechte und Verfechter der größten Machtvollkommenheit der Centralgewalten, wan"
sie jetzt plötzlich diesen Programmen untren geworden, da sie ein Erstarken der
Regierungen und der Einzelstaaten durch die Selbstzerrüttnug der Ccutralmach^
hinter sich sahen. War das Treiben deö immer weiter schreitenden Demokratisnu"


körperliche Umfang des Letztern gegenüber dem „bedrohten Gleichgewicht zwischen
den Einnahmen und Ausgaben des Staats". Kurz, man medisirte nach Herzens¬
lust, die Volksversammlungen florirtcn ungenirt neben den geisterhaften weißen Män¬
teln der Kürassterstreiswachen, von Polizei oder nur Ordnung war überall wenig
die Rede, und das Staatsschiff — ging eben weiter. — Dieses Interregnum hatte
wirklich etwas von gemüthlicher Anarchie, und war selbst den Leuten der Ord¬
nungsparteien kaum ängstlich, da es eigentlich keine Bitmmler gab. Daneben
hatte es die Annehmlichkeit, daß jeder Standpunkt sich uach Belieben stellte.
Als jedoch Hr. v. d. Pfordten endlich von Frankfurt gekommen, und nun auch
Graf Bray zurückgetreten war, da höhnte das Publicum: VuMxvur «n porto-
k«;unit;s! denn man hatte vom Manifest des 23. April etwas ganz Anderes erwartet,
als eine Paraphrase Bray'scher Aussprüche und Ollmützer Erklärungen, wie sie
allerdings die bekannte in-riclvn Ki>v«zoK des neuen Ministeriums darbot. Das
sogenannte öffentliche Bewußtsein weiß überhaupt gewöhnlich nur, was es nicht
will, selten was es will; das neue Ministerium hatte nnn freilich einen Stand¬
punkt, aber einen negativen. Unbedingte Anerkennung der uationalparlamentlichen
nud centralgewaltigeu Souverainetät — rief man ihn! wol entgegen, aber bereits
leiser; denn wir wissen ja, wie draußen die Dinge weiter geschritten waren; man
fühlte damals anch bereits, daß man Etwas wollte, was bereits jenseit der Mög-
lichkeit lag, aber man wußte uicht, was an die Stelle zu setzen.

Nach dreimaliger Verlängerung der Vertagung ward am -17. Mai -18-59
die Session wieder begonnen. Die Voraussetzung des neuen Ministeriums, das
Vaterland in Gefahr zu erklären, wenn die Kammern -nicht mit der Regierung
gehen würden, stellte nnter den damaligen Sachlagen jede Opposition factisch i»
die Kategorie der Revolution. Dahin hatten bereits Nebensätze der Manifeste
vom 26. April und 3. Mai gedeutet, die ministeriellen Organe in der Presse
und im Leben führten diesen Grundsatz immer breiter und eindringlicher aus, je
mehr das ganze Land sich in ein Kriegslager verwandelte, je blutiger der Dres¬
dener Aufruhr niedergeschlagen war, je enger die Badische Revolution von den
Armeen umzingelt ward. So trat das Ministerium! den Kammern gegenübei,
und die vorher schweigsamen Elemente der ehrlichen Conservation wie deö beschränk¬
testen Partien larismuS gewannen Muth im Anblicke auf die allerwärts aufblit¬
zenden Bayvnnette. Vorher zu energielos, zu unthätig, zu--rücksichtsvoll, um
den demokratischen Überstürzungen entgegenzutreten, Viele von ihnen noch vor
und 1-1 Tagen Hauptfaiseurs der Adressen und Demonstrationen für volle Ane»
kennung der Reichsverfassung, Hauptredner sür die unbedingte Geltung der Grn» -
rechte und Verfechter der größten Machtvollkommenheit der Centralgewalten, wan»
sie jetzt plötzlich diesen Programmen untren geworden, da sie ein Erstarken der
Regierungen und der Einzelstaaten durch die Selbstzerrüttnug der Ccutralmach^
hinter sich sahen. War das Treiben deö immer weiter schreitenden Demokratisnu"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/60>, abgerufen am 24.07.2024.