Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

weit größere dramatische Kraft erfordert hätte", alö sie Byron besaß. Im Ein¬
zelnen ist die Spannung in allen drei Stücken ganz vortrefflich durchgeführt, und
wir bewegen uns üllerall in echter Poesie, aber nur nehmen doch kein lebendiges
Interesse'daran, denn was uns dargestellt wird, ist Alles unglaublich. Im Ma¬
rino ist noch am Meisten motivich trotzdem erscheint uns die Handlungsweise des
Dogen zu absurd, als daß nicht der tragische Eindruck gestört werde" sollte.
Ein würdiger Greis in einer knabenhaften Wuth, in der er vollständig alle Be¬
sinnung verliert, ist ein zu häßlicher Gegenstand, um zu rühren. -- I" den beiden
Foscari herrscht vollends eine Denk- und Empfindungsweise, die uus unverständlich
sein muß, denn es ist uicht blos ein Theil der handelnden Personen, in denen sich die
schreckliche Idee des politischen Despotismus ausdrückt, wie etwa in SclMer's Don
Carlos, sondern sämmtliche Personen sind von einer fixen Idee besessen, mit Ausnahme
der einzigen Marina, bei deren natürlichem Gefühl wir uns aber auch nur ans
Augenblicke erholen könne". - Im Sardanapal, dessen glänzendes Kolorit, so
wie die vortreffliche Zeichnung der Nebenfiguren zu loben ist, hat der Dichter
kann den Versuch gemacht, uns den Uebergang von dem verweichlichten Schwel¬
ger zum Helden deutlich zu mache". Wir sehen das Wunder allerdings vor
unsre" Auge" geschehen, aber wir glauben nicht daran, weil es an sich "n-
'"öglich ist. . >

.Das Glänzendste, was Byron im Drama geleistet hat, sind seine beiden
Mysterien, Kain (1821) und Himmel und Erde (1823). Beide send freilich
durchaus lyrischer Natur. Sie haben dem Dichter in England großes Aergerniß
^egt, denn sie enthalten die leidenschaftlichsten Anklagen, zwar nicht gegen Gott
überhaupt, aber gegen den biblischen Gott; Anklagen, die vom Standpunkt der
Freiheit und der Natur gegen die heilige Tradition erhoben werden. In beiden
'se der Einfluß Milton'S unverkennbar. Nie sonst ist in England in einer so edlen
Sprache so Kühnes gesagt worden. Der Unterschied zwischen Byron und
Milton besteht nur darin, daß der Erste seinen kühnen Rebellen Lucifer, Kam,
Aholibama den vollständigen und klaren Ausdruck ihrer Ueberzeugung verstattet,
während Gott stumm bleibt, so daß wir trotz des äußern Urtheils, welches na¬
türlich dem höchsten Wesen Recht giebt, dennoch im Stillen aus der Seite der
Empörerstehen; aber diese wilde Phantasie, die mit deu biblischen Mittheilungen,
""t geognostische" Untersuchungen, mit den skeptischen Fragen über Recht und An-
"6)t in souverainer Freiheit ihr Spiel treibt, hat etwas Bezauberndes. Der
dichter reißt uns überall in seiner Stimmung mit sich se'", er durchzittert uns
""t der dämonischen Lust seiner bösen Geister, mit dem Stolz und Hohn seines
gefallenen Erzengels, und wenn er dadurch auch keinen Anspruch auf den Himmel
^irbt, so gewinnt er um so sicherer sei" Bürgerrecht im Garten der Poesie.^- ose beiden Dramen könnte man eher mit dem Faust vergleichen, als den Man-
fred, den" die Empfindungen sind ideeller Natur, und die in ihnen erscheinende


weit größere dramatische Kraft erfordert hätte», alö sie Byron besaß. Im Ein¬
zelnen ist die Spannung in allen drei Stücken ganz vortrefflich durchgeführt, und
wir bewegen uns üllerall in echter Poesie, aber nur nehmen doch kein lebendiges
Interesse'daran, denn was uns dargestellt wird, ist Alles unglaublich. Im Ma¬
rino ist noch am Meisten motivich trotzdem erscheint uns die Handlungsweise des
Dogen zu absurd, als daß nicht der tragische Eindruck gestört werde» sollte.
Ein würdiger Greis in einer knabenhaften Wuth, in der er vollständig alle Be¬
sinnung verliert, ist ein zu häßlicher Gegenstand, um zu rühren. — I" den beiden
Foscari herrscht vollends eine Denk- und Empfindungsweise, die uus unverständlich
sein muß, denn es ist uicht blos ein Theil der handelnden Personen, in denen sich die
schreckliche Idee des politischen Despotismus ausdrückt, wie etwa in SclMer's Don
Carlos, sondern sämmtliche Personen sind von einer fixen Idee besessen, mit Ausnahme
der einzigen Marina, bei deren natürlichem Gefühl wir uns aber auch nur ans
Augenblicke erholen könne». - Im Sardanapal, dessen glänzendes Kolorit, so
wie die vortreffliche Zeichnung der Nebenfiguren zu loben ist, hat der Dichter
kann den Versuch gemacht, uns den Uebergang von dem verweichlichten Schwel¬
ger zum Helden deutlich zu mache». Wir sehen das Wunder allerdings vor
unsre» Auge» geschehen, aber wir glauben nicht daran, weil es an sich »n-
'"öglich ist. . >

.Das Glänzendste, was Byron im Drama geleistet hat, sind seine beiden
Mysterien, Kain (1821) und Himmel und Erde (1823). Beide send freilich
durchaus lyrischer Natur. Sie haben dem Dichter in England großes Aergerniß
^egt, denn sie enthalten die leidenschaftlichsten Anklagen, zwar nicht gegen Gott
überhaupt, aber gegen den biblischen Gott; Anklagen, die vom Standpunkt der
Freiheit und der Natur gegen die heilige Tradition erhoben werden. In beiden
'se der Einfluß Milton'S unverkennbar. Nie sonst ist in England in einer so edlen
Sprache so Kühnes gesagt worden. Der Unterschied zwischen Byron und
Milton besteht nur darin, daß der Erste seinen kühnen Rebellen Lucifer, Kam,
Aholibama den vollständigen und klaren Ausdruck ihrer Ueberzeugung verstattet,
während Gott stumm bleibt, so daß wir trotz des äußern Urtheils, welches na¬
türlich dem höchsten Wesen Recht giebt, dennoch im Stillen aus der Seite der
Empörerstehen; aber diese wilde Phantasie, die mit deu biblischen Mittheilungen,
""t geognostische» Untersuchungen, mit den skeptischen Fragen über Recht und An-
"6)t in souverainer Freiheit ihr Spiel treibt, hat etwas Bezauberndes. Der
dichter reißt uns überall in seiner Stimmung mit sich se'", er durchzittert uns
""t der dämonischen Lust seiner bösen Geister, mit dem Stolz und Hohn seines
gefallenen Erzengels, und wenn er dadurch auch keinen Anspruch auf den Himmel
^irbt, so gewinnt er um so sicherer sei» Bürgerrecht im Garten der Poesie.^- ose beiden Dramen könnte man eher mit dem Faust vergleichen, als den Man-
fred, den» die Empfindungen sind ideeller Natur, und die in ihnen erscheinende


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0057" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280674"/>
          <p xml:id="ID_140" prev="#ID_139"> weit größere dramatische Kraft erfordert hätte», alö sie Byron besaß. Im Ein¬<lb/>
zelnen ist die Spannung in allen drei Stücken ganz vortrefflich durchgeführt, und<lb/>
wir bewegen uns üllerall in echter Poesie, aber nur nehmen doch kein lebendiges<lb/>
Interesse'daran, denn was uns dargestellt wird, ist Alles unglaublich. Im Ma¬<lb/>
rino ist noch am Meisten motivich trotzdem erscheint uns die Handlungsweise des<lb/>
Dogen zu absurd, als daß nicht der tragische Eindruck gestört werde» sollte.<lb/>
Ein würdiger Greis in einer knabenhaften Wuth, in der er vollständig alle Be¬<lb/>
sinnung verliert, ist ein zu häßlicher Gegenstand, um zu rühren. &#x2014; I" den beiden<lb/>
Foscari herrscht vollends eine Denk- und Empfindungsweise, die uus unverständlich<lb/>
sein muß, denn es ist uicht blos ein Theil der handelnden Personen, in denen sich die<lb/>
schreckliche Idee des politischen Despotismus ausdrückt, wie etwa in SclMer's Don<lb/>
Carlos, sondern sämmtliche Personen sind von einer fixen Idee besessen, mit Ausnahme<lb/>
der einzigen Marina, bei deren natürlichem Gefühl wir uns aber auch nur ans<lb/>
Augenblicke erholen könne». - Im Sardanapal, dessen glänzendes Kolorit, so<lb/>
wie die vortreffliche Zeichnung der Nebenfiguren zu loben ist, hat der Dichter<lb/>
kann den Versuch gemacht, uns den Uebergang von dem verweichlichten Schwel¬<lb/>
ger zum Helden deutlich zu mache». Wir sehen das Wunder allerdings vor<lb/>
unsre» Auge» geschehen, aber wir glauben nicht daran, weil es an sich »n-<lb/>
'"öglich ist. . &gt; </p><lb/>
          <p xml:id="ID_141" next="#ID_142"> .Das Glänzendste, was Byron im Drama geleistet hat, sind seine beiden<lb/>
Mysterien, Kain (1821) und Himmel und Erde (1823). Beide send freilich<lb/>
durchaus lyrischer Natur. Sie haben dem Dichter in England großes Aergerniß<lb/>
^egt, denn sie enthalten die leidenschaftlichsten Anklagen, zwar nicht gegen Gott<lb/>
überhaupt, aber gegen den biblischen Gott; Anklagen, die vom Standpunkt der<lb/>
Freiheit und der Natur gegen die heilige Tradition erhoben werden. In beiden<lb/>
'se der Einfluß Milton'S unverkennbar. Nie sonst ist in England in einer so edlen<lb/>
Sprache so Kühnes gesagt worden. Der Unterschied zwischen Byron und<lb/>
Milton besteht nur darin, daß der Erste seinen kühnen Rebellen Lucifer, Kam,<lb/>
Aholibama den vollständigen und klaren Ausdruck ihrer Ueberzeugung verstattet,<lb/>
während Gott stumm bleibt, so daß wir trotz des äußern Urtheils, welches na¬<lb/>
türlich dem höchsten Wesen Recht giebt, dennoch im Stillen aus der Seite der<lb/>
Empörerstehen; aber diese wilde Phantasie, die mit deu biblischen Mittheilungen,<lb/>
""t geognostische» Untersuchungen, mit den skeptischen Fragen über Recht und An-<lb/>
"6)t in souverainer Freiheit ihr Spiel treibt, hat etwas Bezauberndes. Der<lb/>
dichter reißt uns überall in seiner Stimmung mit sich se'", er durchzittert uns<lb/>
""t der dämonischen Lust seiner bösen Geister, mit dem Stolz und Hohn seines<lb/>
gefallenen Erzengels, und wenn er dadurch auch keinen Anspruch auf den Himmel<lb/>
^irbt, so gewinnt er um so sicherer sei» Bürgerrecht im Garten der Poesie.^- ose beiden Dramen könnte man eher mit dem Faust vergleichen, als den Man-<lb/>
fred, den» die Empfindungen sind ideeller Natur, und die in ihnen erscheinende</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0057] weit größere dramatische Kraft erfordert hätte», alö sie Byron besaß. Im Ein¬ zelnen ist die Spannung in allen drei Stücken ganz vortrefflich durchgeführt, und wir bewegen uns üllerall in echter Poesie, aber nur nehmen doch kein lebendiges Interesse'daran, denn was uns dargestellt wird, ist Alles unglaublich. Im Ma¬ rino ist noch am Meisten motivich trotzdem erscheint uns die Handlungsweise des Dogen zu absurd, als daß nicht der tragische Eindruck gestört werde» sollte. Ein würdiger Greis in einer knabenhaften Wuth, in der er vollständig alle Be¬ sinnung verliert, ist ein zu häßlicher Gegenstand, um zu rühren. — I" den beiden Foscari herrscht vollends eine Denk- und Empfindungsweise, die uus unverständlich sein muß, denn es ist uicht blos ein Theil der handelnden Personen, in denen sich die schreckliche Idee des politischen Despotismus ausdrückt, wie etwa in SclMer's Don Carlos, sondern sämmtliche Personen sind von einer fixen Idee besessen, mit Ausnahme der einzigen Marina, bei deren natürlichem Gefühl wir uns aber auch nur ans Augenblicke erholen könne». - Im Sardanapal, dessen glänzendes Kolorit, so wie die vortreffliche Zeichnung der Nebenfiguren zu loben ist, hat der Dichter kann den Versuch gemacht, uns den Uebergang von dem verweichlichten Schwel¬ ger zum Helden deutlich zu mache». Wir sehen das Wunder allerdings vor unsre» Auge» geschehen, aber wir glauben nicht daran, weil es an sich »n- '"öglich ist. . > .Das Glänzendste, was Byron im Drama geleistet hat, sind seine beiden Mysterien, Kain (1821) und Himmel und Erde (1823). Beide send freilich durchaus lyrischer Natur. Sie haben dem Dichter in England großes Aergerniß ^egt, denn sie enthalten die leidenschaftlichsten Anklagen, zwar nicht gegen Gott überhaupt, aber gegen den biblischen Gott; Anklagen, die vom Standpunkt der Freiheit und der Natur gegen die heilige Tradition erhoben werden. In beiden 'se der Einfluß Milton'S unverkennbar. Nie sonst ist in England in einer so edlen Sprache so Kühnes gesagt worden. Der Unterschied zwischen Byron und Milton besteht nur darin, daß der Erste seinen kühnen Rebellen Lucifer, Kam, Aholibama den vollständigen und klaren Ausdruck ihrer Ueberzeugung verstattet, während Gott stumm bleibt, so daß wir trotz des äußern Urtheils, welches na¬ türlich dem höchsten Wesen Recht giebt, dennoch im Stillen aus der Seite der Empörerstehen; aber diese wilde Phantasie, die mit deu biblischen Mittheilungen, ""t geognostische» Untersuchungen, mit den skeptischen Fragen über Recht und An- "6)t in souverainer Freiheit ihr Spiel treibt, hat etwas Bezauberndes. Der dichter reißt uns überall in seiner Stimmung mit sich se'", er durchzittert uns ""t der dämonischen Lust seiner bösen Geister, mit dem Stolz und Hohn seines gefallenen Erzengels, und wenn er dadurch auch keinen Anspruch auf den Himmel ^irbt, so gewinnt er um so sicherer sei» Bürgerrecht im Garten der Poesie.^- ose beiden Dramen könnte man eher mit dem Faust vergleichen, als den Man- fred, den» die Empfindungen sind ideeller Natur, und die in ihnen erscheinende

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/57
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/57>, abgerufen am 24.07.2024.