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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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nicht ganz erwiederte; er war sehr unzufrieden mit ihrer Emancipation, und der
Geist der altenglischen Moral, das Bild eines geordneten, friedlichen Hausstandes
"ut die Reue, ihn verscherzt zu haben, quälten ihn selbst in der Stunde des
Rausches. Diese Stimmung, die während seines ganzen Lebens blieb, spricht
sich auch im Don Juan ans, trotz des wenigstens zum Theil heitern und komischen
Inhalts. Sein Don Juan ist übrigens nicht der mythische Don Juan, den kein
Sterblicher besser hätte schildern können, als er, weil er selber die Erfüllung dieses
Mythus war, sondern ein übcrkräftiger Junge, dem die Lust ungesucht entgegen¬
kommt, und der sie mit Behagen annimmt. Nicht er ist der eigentliche Held
des Stücks, sondern die verschiedenen Weiber, die sich in seine Arme drängen,
und die mit ganz anderer Virtuosität geschildert sind, als die bleichen Schatten
der frühern Gedichte. Die ersten Gesänge sind das Bedeutendste, was im komi¬
schen Epos geleistet ist; sie übertreffen an Kühnheit der Zeichnung, an Glanz des
Witzes und der Farbe selbst Ariost. Die eingestreuten skeptischen Reflexionen
stören diesen Eindruck keineswegs, sie erhöhen vielmehr den Reiz. Wir schaukeln
uns mit Behagen ans den wechselnden Wogen der Bilder und der Gedanken.
Die Meisterschaft, mit der er mit der Sprache spielt, und durch die er die etwas
eintönige Ottave zu einem ganz neuen, der Frivolität des Inhalts entsprechen¬
den Versmaß stempelt, ist von den neueren Dichtern nicht wieder erreicht worden.
Die Unstttlichkeit des Inhalts ist weniger bedenklich, als in irgend einem andern
ähnlichen Gedicht, weil sie in der Form der tollsten Laune erscheint. Er geht, was das -
Tactische betrifft, weiter als Faublas und Crvbillon, aber wir werden nicht, wie
bei Diesen, durch das Thierische der Leidenschaft beleidigt.

Allein zu einem weiter ausgearbeiteten Gedicht war der Stoff nicht geeig¬
net. Beständige Liebesabenteuer ermüden im Gedicht wie im Leben. Die fol¬
genden Gesänge werden immer matter und abgeblaßter. Hin und wieder erholen
uns bei einer glänzenden Schilderung, oder werden durch einen schlagenden
Unfall getroffen, das Ganze aber ist ermüdend und langweilig. Die Erzählung
selbst, die im Anfang von einer wunderbaren Lebhaftigkeit und Elasticität war, wird
unbestimmt und schattenhaft, und das Raisonnement, welches fast den ganzen Raum
eunnmmt, giebt uns zu wenig wirkliche Gedanken, um uns mit diesem Mangel
^ versöhnen. Man kann wol behaupten, daß Byron in den ersten Gesängen des
on Juan ^_ noch die in dem nämlichen Genre gehaltene kleine Vene-
wüsche Novelle Beppo zu rechnen ist, -- das Maximum seiner Poesie über¬
haupt erreicht hat. Auch dieses Gedicht, und zwar noch in höheren Grade, als
'e früheren poetischen Erzählungen, ist seiner Form wie seinem Inhalt nach tetl-
'es für die Aristokratie geschrieben; es hat einen Kant xoüt, der für das eigene-
")e Volk ungenießbar ist, und der nur von einer weit ausgebildeten und we-
Sstens in gewissem Sinn depravirten Eultur verstanden und gewürdigt werden kann.


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nicht ganz erwiederte; er war sehr unzufrieden mit ihrer Emancipation, und der
Geist der altenglischen Moral, das Bild eines geordneten, friedlichen Hausstandes
»ut die Reue, ihn verscherzt zu haben, quälten ihn selbst in der Stunde des
Rausches. Diese Stimmung, die während seines ganzen Lebens blieb, spricht
sich auch im Don Juan ans, trotz des wenigstens zum Theil heitern und komischen
Inhalts. Sein Don Juan ist übrigens nicht der mythische Don Juan, den kein
Sterblicher besser hätte schildern können, als er, weil er selber die Erfüllung dieses
Mythus war, sondern ein übcrkräftiger Junge, dem die Lust ungesucht entgegen¬
kommt, und der sie mit Behagen annimmt. Nicht er ist der eigentliche Held
des Stücks, sondern die verschiedenen Weiber, die sich in seine Arme drängen,
und die mit ganz anderer Virtuosität geschildert sind, als die bleichen Schatten
der frühern Gedichte. Die ersten Gesänge sind das Bedeutendste, was im komi¬
schen Epos geleistet ist; sie übertreffen an Kühnheit der Zeichnung, an Glanz des
Witzes und der Farbe selbst Ariost. Die eingestreuten skeptischen Reflexionen
stören diesen Eindruck keineswegs, sie erhöhen vielmehr den Reiz. Wir schaukeln
uns mit Behagen ans den wechselnden Wogen der Bilder und der Gedanken.
Die Meisterschaft, mit der er mit der Sprache spielt, und durch die er die etwas
eintönige Ottave zu einem ganz neuen, der Frivolität des Inhalts entsprechen¬
den Versmaß stempelt, ist von den neueren Dichtern nicht wieder erreicht worden.
Die Unstttlichkeit des Inhalts ist weniger bedenklich, als in irgend einem andern
ähnlichen Gedicht, weil sie in der Form der tollsten Laune erscheint. Er geht, was das -
Tactische betrifft, weiter als Faublas und Crvbillon, aber wir werden nicht, wie
bei Diesen, durch das Thierische der Leidenschaft beleidigt.

Allein zu einem weiter ausgearbeiteten Gedicht war der Stoff nicht geeig¬
net. Beständige Liebesabenteuer ermüden im Gedicht wie im Leben. Die fol¬
genden Gesänge werden immer matter und abgeblaßter. Hin und wieder erholen
uns bei einer glänzenden Schilderung, oder werden durch einen schlagenden
Unfall getroffen, das Ganze aber ist ermüdend und langweilig. Die Erzählung
selbst, die im Anfang von einer wunderbaren Lebhaftigkeit und Elasticität war, wird
unbestimmt und schattenhaft, und das Raisonnement, welches fast den ganzen Raum
eunnmmt, giebt uns zu wenig wirkliche Gedanken, um uns mit diesem Mangel
^ versöhnen. Man kann wol behaupten, daß Byron in den ersten Gesängen des
on Juan ^_ noch die in dem nämlichen Genre gehaltene kleine Vene-
wüsche Novelle Beppo zu rechnen ist, — das Maximum seiner Poesie über¬
haupt erreicht hat. Auch dieses Gedicht, und zwar noch in höheren Grade, als
'e früheren poetischen Erzählungen, ist seiner Form wie seinem Inhalt nach tetl-
'es für die Aristokratie geschrieben; es hat einen Kant xoüt, der für das eigene-
")e Volk ungenießbar ist, und der nur von einer weit ausgebildeten und we-
Sstens in gewissem Sinn depravirten Eultur verstanden und gewürdigt werden kann.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/55>, abgerufen am 24.07.2024.