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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Metamorphose ein. Die Helden seiner ersten dichterischen Periode sind zwar ins¬
gesammt Männer von sehr starker Leidenschaft, die viel gesündigt haben, allein
im Princip vertreten sie eine ziemlich streng prononcirte Sittlichkeit. Im Giaour,
im Corsar ze. wird mit großer Verachtung von den Menschen gesprochen, die
nicht an die Einheit und Ewigkeit einer wahren Liebe glauben. Davon ist im
Don Juan nicht mehr die Rede.

Der allgemeine Charakter dieser Poesien ist lyrischer Natur. Zwar finden
wir in deu eigentlichen Liedern, wenigstens im Ganzen genommen, nicht jene ins
Ohr fließende Melodie, wie sie Thomas Moore und Burns auszeichnet,
auch in den größeren Gedichten stört zuweilen der sehr verwickelte Periodenbau
den musikalischen Eindruck, dafür zeichnen sie sich aber durch eine Zartheit und
Innigkeit der Empfindung und durch eine Kraft und Energie des Ausdrucks
aus, wie sie in der Englischen Poesie seit Milton nicht wieder vorgekommen
ist. In der poetischen Sprache möchte ich Byron entschieden den Vorzug vor
W. Scott geben, und unsre Deutschen Leser, die der Englischen Sprache nicht
mächtig sind, mögen sich hüten, ans der Uebersetzung ein Urtheil zu bilden, die
auch im besten Fall die Gedrungenheit der Englischen Sprache nicht, wiederzu¬
geben im Stande ist. Zwar gehen die ausgedrückten Leidenschaften häufig über
jenes Maß der Bestimmtheit heraus, das uus allein ein klares Bild verstattet;
im Ausdruck selbst aber ist diese Maßlosigkeit nicht vorhanden, er ist immer edel
und einfach und spricht zur Seele. Wenn ich überhaupt im Vorigen die unde- ^
dingte Verherrlichung des Instincts bei Byron als eine verkehrte Richtung be¬
zeichnen mußte, so darf ich doch uicht verschweigen, daß dieser Jnstinct, in der
Regel wenigstens, das Edle und Gute traf. Seine Gedanken sind selten tief,
obgleich sie den Anschein haben, wie das überhaupt mit allein Skepticismus der
Fall ist, der in der Regel seine Oberflächlichkeit dnrch das Aphoristische u"b
Paradoxe seiner Darstellung versteckt; aber sie sind niemals trivial. Er s"^
wenigstens mit Leidenschaft und Ernst, obgleich seine Kraft nicht ausreicht, de"
betretenen Pfad zu vollenden. Durch die Macht und deu Ernst seines Gefühls
hat er jene Schulexercitieu im Sinne der öffentlichen Stimmung, in denen um"
sich mit Zweifeln quälte, weil es zum guten Ton gehörte, jene graziöse Lüge
einer milden Melancholie verdrängt, seine Schwermuth ist ernst gemeint, obgleich
sie keine feste Grundlage hat. Man muß sich hüten, die widerlich selbstgefällige
Coquetterie seiner Nachfolger, Heine's u. s. w., auf ihn anzuwenden. Monodon
in ihrem Wesen, sind seine Gedichte brillant in ihrer Variation. ES ist "m-
ener nnr eine und dieselbe Leidenschaft, und eigentlich nur eine Phase derselbe",
um die es sich handelt, aber die Giüib seiner Empfindung, die Elasticität sei""
sinnlichen Anschauung, die poetische Färbung seiner Stimmungen, sein sprudeln e
Witz und neben Dem allem seine Weltkenntniß und sein der ursprünglichen Anlage
nach vollkommen gesunder Menschenverstand bringen in diese Einfvrmigkett ">


Metamorphose ein. Die Helden seiner ersten dichterischen Periode sind zwar ins¬
gesammt Männer von sehr starker Leidenschaft, die viel gesündigt haben, allein
im Princip vertreten sie eine ziemlich streng prononcirte Sittlichkeit. Im Giaour,
im Corsar ze. wird mit großer Verachtung von den Menschen gesprochen, die
nicht an die Einheit und Ewigkeit einer wahren Liebe glauben. Davon ist im
Don Juan nicht mehr die Rede.

Der allgemeine Charakter dieser Poesien ist lyrischer Natur. Zwar finden
wir in deu eigentlichen Liedern, wenigstens im Ganzen genommen, nicht jene ins
Ohr fließende Melodie, wie sie Thomas Moore und Burns auszeichnet,
auch in den größeren Gedichten stört zuweilen der sehr verwickelte Periodenbau
den musikalischen Eindruck, dafür zeichnen sie sich aber durch eine Zartheit und
Innigkeit der Empfindung und durch eine Kraft und Energie des Ausdrucks
aus, wie sie in der Englischen Poesie seit Milton nicht wieder vorgekommen
ist. In der poetischen Sprache möchte ich Byron entschieden den Vorzug vor
W. Scott geben, und unsre Deutschen Leser, die der Englischen Sprache nicht
mächtig sind, mögen sich hüten, ans der Uebersetzung ein Urtheil zu bilden, die
auch im besten Fall die Gedrungenheit der Englischen Sprache nicht, wiederzu¬
geben im Stande ist. Zwar gehen die ausgedrückten Leidenschaften häufig über
jenes Maß der Bestimmtheit heraus, das uus allein ein klares Bild verstattet;
im Ausdruck selbst aber ist diese Maßlosigkeit nicht vorhanden, er ist immer edel
und einfach und spricht zur Seele. Wenn ich überhaupt im Vorigen die unde- ^
dingte Verherrlichung des Instincts bei Byron als eine verkehrte Richtung be¬
zeichnen mußte, so darf ich doch uicht verschweigen, daß dieser Jnstinct, in der
Regel wenigstens, das Edle und Gute traf. Seine Gedanken sind selten tief,
obgleich sie den Anschein haben, wie das überhaupt mit allein Skepticismus der
Fall ist, der in der Regel seine Oberflächlichkeit dnrch das Aphoristische u"b
Paradoxe seiner Darstellung versteckt; aber sie sind niemals trivial. Er s"^
wenigstens mit Leidenschaft und Ernst, obgleich seine Kraft nicht ausreicht, de"
betretenen Pfad zu vollenden. Durch die Macht und deu Ernst seines Gefühls
hat er jene Schulexercitieu im Sinne der öffentlichen Stimmung, in denen um»
sich mit Zweifeln quälte, weil es zum guten Ton gehörte, jene graziöse Lüge
einer milden Melancholie verdrängt, seine Schwermuth ist ernst gemeint, obgleich
sie keine feste Grundlage hat. Man muß sich hüten, die widerlich selbstgefällige
Coquetterie seiner Nachfolger, Heine's u. s. w., auf ihn anzuwenden. Monodon
in ihrem Wesen, sind seine Gedichte brillant in ihrer Variation. ES ist «m-
ener nnr eine und dieselbe Leidenschaft, und eigentlich nur eine Phase derselbe»,
um die es sich handelt, aber die Giüib seiner Empfindung, die Elasticität sei""
sinnlichen Anschauung, die poetische Färbung seiner Stimmungen, sein sprudeln e
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[0052] Metamorphose ein. Die Helden seiner ersten dichterischen Periode sind zwar ins¬ gesammt Männer von sehr starker Leidenschaft, die viel gesündigt haben, allein im Princip vertreten sie eine ziemlich streng prononcirte Sittlichkeit. Im Giaour, im Corsar ze. wird mit großer Verachtung von den Menschen gesprochen, die nicht an die Einheit und Ewigkeit einer wahren Liebe glauben. Davon ist im Don Juan nicht mehr die Rede. Der allgemeine Charakter dieser Poesien ist lyrischer Natur. Zwar finden wir in deu eigentlichen Liedern, wenigstens im Ganzen genommen, nicht jene ins Ohr fließende Melodie, wie sie Thomas Moore und Burns auszeichnet, auch in den größeren Gedichten stört zuweilen der sehr verwickelte Periodenbau den musikalischen Eindruck, dafür zeichnen sie sich aber durch eine Zartheit und Innigkeit der Empfindung und durch eine Kraft und Energie des Ausdrucks aus, wie sie in der Englischen Poesie seit Milton nicht wieder vorgekommen ist. In der poetischen Sprache möchte ich Byron entschieden den Vorzug vor W. Scott geben, und unsre Deutschen Leser, die der Englischen Sprache nicht mächtig sind, mögen sich hüten, ans der Uebersetzung ein Urtheil zu bilden, die auch im besten Fall die Gedrungenheit der Englischen Sprache nicht, wiederzu¬ geben im Stande ist. Zwar gehen die ausgedrückten Leidenschaften häufig über jenes Maß der Bestimmtheit heraus, das uus allein ein klares Bild verstattet; im Ausdruck selbst aber ist diese Maßlosigkeit nicht vorhanden, er ist immer edel und einfach und spricht zur Seele. Wenn ich überhaupt im Vorigen die unde- ^ dingte Verherrlichung des Instincts bei Byron als eine verkehrte Richtung be¬ zeichnen mußte, so darf ich doch uicht verschweigen, daß dieser Jnstinct, in der Regel wenigstens, das Edle und Gute traf. Seine Gedanken sind selten tief, obgleich sie den Anschein haben, wie das überhaupt mit allein Skepticismus der Fall ist, der in der Regel seine Oberflächlichkeit dnrch das Aphoristische u"b Paradoxe seiner Darstellung versteckt; aber sie sind niemals trivial. Er s"^ wenigstens mit Leidenschaft und Ernst, obgleich seine Kraft nicht ausreicht, de" betretenen Pfad zu vollenden. Durch die Macht und deu Ernst seines Gefühls hat er jene Schulexercitieu im Sinne der öffentlichen Stimmung, in denen um» sich mit Zweifeln quälte, weil es zum guten Ton gehörte, jene graziöse Lüge einer milden Melancholie verdrängt, seine Schwermuth ist ernst gemeint, obgleich sie keine feste Grundlage hat. Man muß sich hüten, die widerlich selbstgefällige Coquetterie seiner Nachfolger, Heine's u. s. w., auf ihn anzuwenden. Monodon in ihrem Wesen, sind seine Gedichte brillant in ihrer Variation. ES ist «m- ener nnr eine und dieselbe Leidenschaft, und eigentlich nur eine Phase derselbe», um die es sich handelt, aber die Giüib seiner Empfindung, die Elasticität sei"" sinnlichen Anschauung, die poetische Färbung seiner Stimmungen, sein sprudeln e Witz und neben Dem allem seine Weltkenntniß und sein der ursprünglichen Anlage nach vollkommen gesunder Menschenverstand bringen in diese Einfvrmigkett ">

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/52>, abgerufen am 23.07.2024.