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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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leidenschaftliche Verehrung. Freilich war diese ans eine gerechte Würdigung des
großen Dichters gegründet, der wenigstens auf die erste Periode von Byron's
schriftstellerischer Thätigkeit einen großen Einfluß ausübte, aber sie war doch ver¬
mittelt durch die persönliche Beziehung. -- Ueberhaupt möchte es zweifelhaft
sein, ob die Satyre das Recht hat, ein Genre für sich zu bilden, was mit der
allgemeinen Frage zusammenhängt, ob überhaupt die negative Seite des Lebens
im Stande ist, die Grundlage eines Gedichts auszumachen. Ich für meinen
Theil stehe nicht an, die Frage verneinend zu beantworten. Die einzelnen satyri¬
schen Ausfälle im Don Juan und in anderen Gedichten sind vortrefflich, sie spru¬
deln von Witz, und machen trotz ihrer Schärfe einen heitern Eindruck, aber eine
ganze Reihe von solchen Ausfällen unvermittelt hinter einander zu lesen, ist un¬
erträglich langweilig.

In seinem 21. Jahre i1809) trat Byron in das Haus der Lords ein. Der
Ruf seines dissolnten Lebens war schon so verbreitet, daß sich keiner der Peers
finden wollie, ihn dem Gebrauch gemäß in dasselbe einzuführen. Er machte um
Agenten Jahre seine große Europäische Reise, und trat uach seiner Rückkehr be¬
reits als gefeierte Erscheinung in den höchsten Cirkeln des Englischen Lebens auf.
In diese Zeit fällt die erste Periode seiner eigentlich poetischen Thätigkeit. Die
beiden ersten Gesäuge des Childe Harold erschienen 1812, der Giaour und
die Braut von Abydos 1813, der Corsar und Lara 181t, Parisina
'"'d die Belagerung von Korinth 1813, der Gefangene von Chil-
lon 1810. In dieselbe Reihe/gehört ans der spätern Zeit Mazevpa, die
Insel und der Fluch der Minerva; ferner fallen in dieselbe Zeit seine besten
Wischer Gedichte, darunter die Hebräischen Melodien, die !>ta>v/a" tuo
wühle" die Ovl^ionul und arm.!5l,lo i.iuoux. Er verheiratete sich
nud wurde im folgenden Jahre auf die Klage seiner Gattin geschieden,
^man ist die Veranlassung dazu uoch nicht erörtert worden, weil Moore die
daraus bezügliche" Papiere aus dem Nachlaß des Dichters unterdrückt hat. Daß
Lady Byron zu ihrem allerdings in einer sehr harten Form ausgeführten Schritt
hinreichende Veranlassung gehabt haben wird, läßt sich nicht blos aus unsrer
Kenntniß von dem Charakter des Dichters, sondern auch aus einigen Gestäud-
"lösen vermuthen, die ihm in seinen "häuslichen Gedichten" entschlüpfen. Er
"vpellirt niemals an das Rechtsgefühl, sondern an die Liebe und das Mitleid
seiner Gattin. Inwiefern von ihrer Seite gefehlt ist, könnten wir, wie bei allen
solchen Verhältnissen, nur dann entscheiden, wenn wir von den Einzelheiten ge¬
nau unterrichtet wären. Jedenfalls übte das Ereigniß aus Byron's Leben und
Dichtung deu entschiedensten Einfluß; nicht blos, daß in Folge desselben seine
Stellung in der Gesellschaft verscherzt war. und zwar bis zu einem solchen Grade.
seine nicht mehr aufgehobene Trennung vom Vaterlande dadurch fast noth¬
wendig bedingt wurde, sondern e" trat auch in seinen Ideen eine auffallende


leidenschaftliche Verehrung. Freilich war diese ans eine gerechte Würdigung des
großen Dichters gegründet, der wenigstens auf die erste Periode von Byron's
schriftstellerischer Thätigkeit einen großen Einfluß ausübte, aber sie war doch ver¬
mittelt durch die persönliche Beziehung. — Ueberhaupt möchte es zweifelhaft
sein, ob die Satyre das Recht hat, ein Genre für sich zu bilden, was mit der
allgemeinen Frage zusammenhängt, ob überhaupt die negative Seite des Lebens
im Stande ist, die Grundlage eines Gedichts auszumachen. Ich für meinen
Theil stehe nicht an, die Frage verneinend zu beantworten. Die einzelnen satyri¬
schen Ausfälle im Don Juan und in anderen Gedichten sind vortrefflich, sie spru¬
deln von Witz, und machen trotz ihrer Schärfe einen heitern Eindruck, aber eine
ganze Reihe von solchen Ausfällen unvermittelt hinter einander zu lesen, ist un¬
erträglich langweilig.

In seinem 21. Jahre i1809) trat Byron in das Haus der Lords ein. Der
Ruf seines dissolnten Lebens war schon so verbreitet, daß sich keiner der Peers
finden wollie, ihn dem Gebrauch gemäß in dasselbe einzuführen. Er machte um
Agenten Jahre seine große Europäische Reise, und trat uach seiner Rückkehr be¬
reits als gefeierte Erscheinung in den höchsten Cirkeln des Englischen Lebens auf.
In diese Zeit fällt die erste Periode seiner eigentlich poetischen Thätigkeit. Die
beiden ersten Gesäuge des Childe Harold erschienen 1812, der Giaour und
die Braut von Abydos 1813, der Corsar und Lara 181t, Parisina
'"'d die Belagerung von Korinth 1813, der Gefangene von Chil-
lon 1810. In dieselbe Reihe/gehört ans der spätern Zeit Mazevpa, die
Insel und der Fluch der Minerva; ferner fallen in dieselbe Zeit seine besten
Wischer Gedichte, darunter die Hebräischen Melodien, die !>ta>v/a« tuo
wühle„ die Ovl^ionul und arm.!5l,lo i.iuoux. Er verheiratete sich
nud wurde im folgenden Jahre auf die Klage seiner Gattin geschieden,
^man ist die Veranlassung dazu uoch nicht erörtert worden, weil Moore die
daraus bezügliche» Papiere aus dem Nachlaß des Dichters unterdrückt hat. Daß
Lady Byron zu ihrem allerdings in einer sehr harten Form ausgeführten Schritt
hinreichende Veranlassung gehabt haben wird, läßt sich nicht blos aus unsrer
Kenntniß von dem Charakter des Dichters, sondern auch aus einigen Gestäud-
"lösen vermuthen, die ihm in seinen „häuslichen Gedichten" entschlüpfen. Er
«vpellirt niemals an das Rechtsgefühl, sondern an die Liebe und das Mitleid
seiner Gattin. Inwiefern von ihrer Seite gefehlt ist, könnten wir, wie bei allen
solchen Verhältnissen, nur dann entscheiden, wenn wir von den Einzelheiten ge¬
nau unterrichtet wären. Jedenfalls übte das Ereigniß aus Byron's Leben und
Dichtung deu entschiedensten Einfluß; nicht blos, daß in Folge desselben seine
Stellung in der Gesellschaft verscherzt war. und zwar bis zu einem solchen Grade.
seine nicht mehr aufgehobene Trennung vom Vaterlande dadurch fast noth¬
wendig bedingt wurde, sondern e» trat auch in seinen Ideen eine auffallende


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[0051] leidenschaftliche Verehrung. Freilich war diese ans eine gerechte Würdigung des großen Dichters gegründet, der wenigstens auf die erste Periode von Byron's schriftstellerischer Thätigkeit einen großen Einfluß ausübte, aber sie war doch ver¬ mittelt durch die persönliche Beziehung. — Ueberhaupt möchte es zweifelhaft sein, ob die Satyre das Recht hat, ein Genre für sich zu bilden, was mit der allgemeinen Frage zusammenhängt, ob überhaupt die negative Seite des Lebens im Stande ist, die Grundlage eines Gedichts auszumachen. Ich für meinen Theil stehe nicht an, die Frage verneinend zu beantworten. Die einzelnen satyri¬ schen Ausfälle im Don Juan und in anderen Gedichten sind vortrefflich, sie spru¬ deln von Witz, und machen trotz ihrer Schärfe einen heitern Eindruck, aber eine ganze Reihe von solchen Ausfällen unvermittelt hinter einander zu lesen, ist un¬ erträglich langweilig. In seinem 21. Jahre i1809) trat Byron in das Haus der Lords ein. Der Ruf seines dissolnten Lebens war schon so verbreitet, daß sich keiner der Peers finden wollie, ihn dem Gebrauch gemäß in dasselbe einzuführen. Er machte um Agenten Jahre seine große Europäische Reise, und trat uach seiner Rückkehr be¬ reits als gefeierte Erscheinung in den höchsten Cirkeln des Englischen Lebens auf. In diese Zeit fällt die erste Periode seiner eigentlich poetischen Thätigkeit. Die beiden ersten Gesäuge des Childe Harold erschienen 1812, der Giaour und die Braut von Abydos 1813, der Corsar und Lara 181t, Parisina '"'d die Belagerung von Korinth 1813, der Gefangene von Chil- lon 1810. In dieselbe Reihe/gehört ans der spätern Zeit Mazevpa, die Insel und der Fluch der Minerva; ferner fallen in dieselbe Zeit seine besten Wischer Gedichte, darunter die Hebräischen Melodien, die !>ta>v/a« tuo wühle„ die Ovl^ionul und arm.!5l,lo i.iuoux. Er verheiratete sich nud wurde im folgenden Jahre auf die Klage seiner Gattin geschieden, ^man ist die Veranlassung dazu uoch nicht erörtert worden, weil Moore die daraus bezügliche» Papiere aus dem Nachlaß des Dichters unterdrückt hat. Daß Lady Byron zu ihrem allerdings in einer sehr harten Form ausgeführten Schritt hinreichende Veranlassung gehabt haben wird, läßt sich nicht blos aus unsrer Kenntniß von dem Charakter des Dichters, sondern auch aus einigen Gestäud- "lösen vermuthen, die ihm in seinen „häuslichen Gedichten" entschlüpfen. Er «vpellirt niemals an das Rechtsgefühl, sondern an die Liebe und das Mitleid seiner Gattin. Inwiefern von ihrer Seite gefehlt ist, könnten wir, wie bei allen solchen Verhältnissen, nur dann entscheiden, wenn wir von den Einzelheiten ge¬ nau unterrichtet wären. Jedenfalls übte das Ereigniß aus Byron's Leben und Dichtung deu entschiedensten Einfluß; nicht blos, daß in Folge desselben seine Stellung in der Gesellschaft verscherzt war. und zwar bis zu einem solchen Grade. seine nicht mehr aufgehobene Trennung vom Vaterlande dadurch fast noth¬ wendig bedingt wurde, sondern e» trat auch in seinen Ideen eine auffallende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/51>, abgerufen am 23.07.2024.