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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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gen, und in der That finden wir mehrere Balladen, die ihrem Ton wie ihrem
Inhalt nach wol von Heine herrühren könnten, so wie andere kaum von Nova¬
lis zu unterscheiden sind. Bei den meisten ist beides gemischt. So ungesund
übrigens jene Stimmung ist, so dürsten doch diejenigen Gedichte, die sie ausdrücken,
an poetischem Werth die übrigen überragen. Es kommt uns freilich seltsam vor,
wenn sich der Dichter in endlose Strophen über die Todesart, die er am
meisten vorziehen mochte, ausspricht, und die verschiedenen Stimmen der Natur,
die ihn zurückhalten wollen, bitter anklagt, oder wenn er in allen Liebchen, die
er anbetet, neben ihren Vorzügen eine vollständige Schlechtigkeit entdeckt. Aber
diese traurigen Melodien klingen uns doch besser ins Ohr, als die kindlichen
Reimereien von Trippel trippel drap, als die Prosa der Satyren und Gelegen¬
heitsgedichte und als der forcirte Humor, der sich in einzelnen Strophen vergeblich
abquält, dnrch ausschweifende Lustigkeit die trübe Grundstimmung zu verdecken.
Einzelne von diesen Liedern, z. B. die lustigen Musikanten, Lvreley n. s. w., sind
bekannt und mit Recht geschätzt. Es würde.sich noch eine ziemliche Zahl an sie
anreihen. Auffallend scheiden sich von den übrigen Gedichten die zur Zeit des
Freiheitskriegs geschriebenen, die ganz in der Manier Schenkendvrf's und Rückert's
gehalten sind, und die einfach und klar die angemessene Stimmung ausdrücken.
Recht hübsch ist z. B. ein Lied, welches er im Namen Körner's an die Victoria
richtet. Die Zahl der Gelegenheitsgedichte ist sehr groß und anch in den übri¬
gen finden sich weit mehr Anspielungen ans Familienspäße und Stichwörter,
als der gute Geschmack verstattet.

Der sünfte Band enthält den zweiten Theil der kleinen Schriften. Den
größten Theil füllt "Hinkel, Gockel und Gackeleia" aus. Dieses alberne und
ganz abgeschmackte Machwerk erschien zuerst im Jahre 1838,, und ist eine Fort¬
setzung des in unsrem vorigen Referat besprochenen armen Kindes von Henne-
gau, ein in unerträglicher Breite und Pedanterie ausgeführter Spaß, der auf
der fortwährenden Vermischung des Hühner- und Menschenlebens beruht, eine
kindische Märchenwelt, die aber den einzigen Vorzug entbehrt, der das Märchen
vor anderen Dichtungsarten auszeichnet, nämlich das Naive, Handgreifliche und
Entschlossene der Erzählung. Fortwährende Anspielungen auf künstliche Witze,
die mir einem kleinen Kreise verständlich sein können, eine Phantastik, die alle
Grenzen überschreitet, und dazwischen wieder der hausbackenste Realismus, das
sind die charakteristischen Eigenschaften dieses gestaltlosen Products. Wie alle
seiue Erzählungen, ist auch diese von vielen Gedichten durchwebt, von denen das
eine einen recht hübschen Klang hat:


gen, und in der That finden wir mehrere Balladen, die ihrem Ton wie ihrem
Inhalt nach wol von Heine herrühren könnten, so wie andere kaum von Nova¬
lis zu unterscheiden sind. Bei den meisten ist beides gemischt. So ungesund
übrigens jene Stimmung ist, so dürsten doch diejenigen Gedichte, die sie ausdrücken,
an poetischem Werth die übrigen überragen. Es kommt uns freilich seltsam vor,
wenn sich der Dichter in endlose Strophen über die Todesart, die er am
meisten vorziehen mochte, ausspricht, und die verschiedenen Stimmen der Natur,
die ihn zurückhalten wollen, bitter anklagt, oder wenn er in allen Liebchen, die
er anbetet, neben ihren Vorzügen eine vollständige Schlechtigkeit entdeckt. Aber
diese traurigen Melodien klingen uns doch besser ins Ohr, als die kindlichen
Reimereien von Trippel trippel drap, als die Prosa der Satyren und Gelegen¬
heitsgedichte und als der forcirte Humor, der sich in einzelnen Strophen vergeblich
abquält, dnrch ausschweifende Lustigkeit die trübe Grundstimmung zu verdecken.
Einzelne von diesen Liedern, z. B. die lustigen Musikanten, Lvreley n. s. w., sind
bekannt und mit Recht geschätzt. Es würde.sich noch eine ziemliche Zahl an sie
anreihen. Auffallend scheiden sich von den übrigen Gedichten die zur Zeit des
Freiheitskriegs geschriebenen, die ganz in der Manier Schenkendvrf's und Rückert's
gehalten sind, und die einfach und klar die angemessene Stimmung ausdrücken.
Recht hübsch ist z. B. ein Lied, welches er im Namen Körner's an die Victoria
richtet. Die Zahl der Gelegenheitsgedichte ist sehr groß und anch in den übri¬
gen finden sich weit mehr Anspielungen ans Familienspäße und Stichwörter,
als der gute Geschmack verstattet.

Der sünfte Band enthält den zweiten Theil der kleinen Schriften. Den
größten Theil füllt „Hinkel, Gockel und Gackeleia" aus. Dieses alberne und
ganz abgeschmackte Machwerk erschien zuerst im Jahre 1838,, und ist eine Fort¬
setzung des in unsrem vorigen Referat besprochenen armen Kindes von Henne-
gau, ein in unerträglicher Breite und Pedanterie ausgeführter Spaß, der auf
der fortwährenden Vermischung des Hühner- und Menschenlebens beruht, eine
kindische Märchenwelt, die aber den einzigen Vorzug entbehrt, der das Märchen
vor anderen Dichtungsarten auszeichnet, nämlich das Naive, Handgreifliche und
Entschlossene der Erzählung. Fortwährende Anspielungen auf künstliche Witze,
die mir einem kleinen Kreise verständlich sein können, eine Phantastik, die alle
Grenzen überschreitet, und dazwischen wieder der hausbackenste Realismus, das
sind die charakteristischen Eigenschaften dieses gestaltlosen Products. Wie alle
seiue Erzählungen, ist auch diese von vielen Gedichten durchwebt, von denen das
eine einen recht hübschen Klang hat:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/504>, abgerufen am 23.07.2024.