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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Diese vollständige Abwesenheit alles Idealismus hängt mit dem Mangel an
Ernst zusammen, der nicht nur bei Clemens Brentano, sondern bei seiner ganzen
dichterischen Familie gesunden wird, wenn er auch z. B. bei seiner Schwester
Bettiue einen ganz entgegengesetzten Ausdruck gewinnt. Aber die glänzenden,
mit einem gewissen Jnbel ausgeströmten Phantasten der Letzten haben doch im
Grunde eben so viel Fratzenhaftes, als die trüben Vorstellungen ihres Bruders.
Es ist wunderbar, wie durch die verkehrte Stimmung auch die Bilder und Vor¬
stellungen verwirrt werden. So beginnt eine Ballade: "Treulich ist verloren!"
mit dem Traum des Dichters, der sein Liebchen sucht. Sie ist zuerst bei einem
Hirten gewesen, dann hat sie ein Jäger entführt, dann ein Müllerbursche, ein
Reiter, ein Student, ein Schmidt, endlich ein Todtengräber. Auch bei Diesem
sucht sie der arme Dichter mit großer Angst; er erhält die Antwort:

Aber auch bei dem todten Juden in der Schindcrgrube sucht der Dichter sie
vergebens. Sie hat sich zuerst mit einem Gehenkten am Galgen abgegeben, und
ist dann mit dem Teufel zum Blocksberg geritten. Der Teufel endlich zeigt
sie ihm.

Diese seltsamen Phantasien erinnern auffallend an Heine's spätere Dichtnn-


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Diese vollständige Abwesenheit alles Idealismus hängt mit dem Mangel an
Ernst zusammen, der nicht nur bei Clemens Brentano, sondern bei seiner ganzen
dichterischen Familie gesunden wird, wenn er auch z. B. bei seiner Schwester
Bettiue einen ganz entgegengesetzten Ausdruck gewinnt. Aber die glänzenden,
mit einem gewissen Jnbel ausgeströmten Phantasten der Letzten haben doch im
Grunde eben so viel Fratzenhaftes, als die trüben Vorstellungen ihres Bruders.
Es ist wunderbar, wie durch die verkehrte Stimmung auch die Bilder und Vor¬
stellungen verwirrt werden. So beginnt eine Ballade: „Treulich ist verloren!"
mit dem Traum des Dichters, der sein Liebchen sucht. Sie ist zuerst bei einem
Hirten gewesen, dann hat sie ein Jäger entführt, dann ein Müllerbursche, ein
Reiter, ein Student, ein Schmidt, endlich ein Todtengräber. Auch bei Diesem
sucht sie der arme Dichter mit großer Angst; er erhält die Antwort:

Aber auch bei dem todten Juden in der Schindcrgrube sucht der Dichter sie
vergebens. Sie hat sich zuerst mit einem Gehenkten am Galgen abgegeben, und
ist dann mit dem Teufel zum Blocksberg geritten. Der Teufel endlich zeigt
sie ihm.

Diese seltsamen Phantasien erinnern auffallend an Heine's spätere Dichtnn-


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[0503] Diese vollständige Abwesenheit alles Idealismus hängt mit dem Mangel an Ernst zusammen, der nicht nur bei Clemens Brentano, sondern bei seiner ganzen dichterischen Familie gesunden wird, wenn er auch z. B. bei seiner Schwester Bettiue einen ganz entgegengesetzten Ausdruck gewinnt. Aber die glänzenden, mit einem gewissen Jnbel ausgeströmten Phantasten der Letzten haben doch im Grunde eben so viel Fratzenhaftes, als die trüben Vorstellungen ihres Bruders. Es ist wunderbar, wie durch die verkehrte Stimmung auch die Bilder und Vor¬ stellungen verwirrt werden. So beginnt eine Ballade: „Treulich ist verloren!" mit dem Traum des Dichters, der sein Liebchen sucht. Sie ist zuerst bei einem Hirten gewesen, dann hat sie ein Jäger entführt, dann ein Müllerbursche, ein Reiter, ein Student, ein Schmidt, endlich ein Todtengräber. Auch bei Diesem sucht sie der arme Dichter mit großer Angst; er erhält die Antwort: Aber auch bei dem todten Juden in der Schindcrgrube sucht der Dichter sie vergebens. Sie hat sich zuerst mit einem Gehenkten am Galgen abgegeben, und ist dann mit dem Teufel zum Blocksberg geritten. Der Teufel endlich zeigt sie ihm. Diese seltsamen Phantasien erinnern auffallend an Heine's spätere Dichtnn- 53*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/503>, abgerufen am 23.07.2024.