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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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So ist der Schriftsteller demnach mit freundlichen Banden an beide Länder
gebunden; geboren in Tyrol hat er seines Lebens Aufgabe und Ziel in Bayern
gefunden. Nicht zu verwundern, daß er mit mildem Sinne nach beiden Seiten
die historische Gerechtigkeit verwaltet, daß ihm die Schrecknisse des Krieges gleich
sehr zu Herzen gehen, ob sie die Tyroler treffen oder die Bayern. Unter der
Hand haben sich die beiden streitenden Parteien freilich auch schon längst versöhnt.
Die Tyroler kommen schon seit vielen Jahren zu Hunderten heraus, und arbeiten in
den bayrische" Ernten oder in den bayrischen Hochwäldern; viele Beamte, denen das
damalige bayerische Wesen besser gefiel, als das östreichische, blieben den neuen
Farben getreu; mancher ehrbare Handwerksmann hat in bayerischen Städten eine
Frau und einen eigenen Herd gesunden. Andererseits ist das schöne Land Tyrol die
große Sommerfrische für die bayerischen Honoratioren geworden -- man findet
sie in dichten Häuser bei der Tranbencnr in Meran und in den tyrolischen Bädern;
sie wandern über die tyrolischen Gletscher und 'schlafen in den tyrolischen Senn¬
hütten. Ueberall werden sie freundlich aufgenommen, lind die nachbarliche Feind¬
seligkeit, die im übrigen Deutschland so viel von sich reden macht, scheint zwischen
diesen beiden Ländern ganz entschlafen zu sein.

I. G. Mayr bringt nun diese Versöhnung gewissermaßen vor's große
Publicum; sein Buch ist, wenn es dessen noch bedürfte, auch eine Ehrenrettung
für die Bayern. Die alberne blinde Zuchtlosigkeit der bayerischen Bureaukratie
vor dem Jahre "1809 muß er zwar auch verurtheilen, allein dem bayerischen Helden¬
muth bei den Jselschlachten und in den gräßlichen Desil6erkämpfen am Jnn
und am Eisack läßt er seine Ehre. Gutmüthig, wie er ist, theilt er nach allen
Seiten gern freundliches Lob aus. Waren ja doch fast alle bekannteren Familien
Bayerns in jenem Kriege durch ihre Angehörigen vertreten, und mancher damalige
Lieutenant lebt jetzt noch in hohen Würden. "Todesmuthig, löwenkühn" läßt
er die Krieger mit einander kämpfen, und wenn er ins Feuer kommt, wird er
so freigebig mit schönen < rühmenden Wörtern, daß der Styl beinahe etwas klexig
wird, und fast zu sehr an die brillant veworrene Diction des Herrn von Hormayr
erinnert. Namentlich kommt auch Erzherzog Johann nicht ohne Aufmerksamkeit
durch, und ihm zu Liebe heißt ja das Buch: der Mann von Rinn, weil nämlich
jener Prinz in einem schönen Augenblicke gefühlvoller Erinnerung den Helden
also benannt. 'Etwas abweichend von der gewöhnlichen Praxis der Geschicht¬
schreiber ist es anch, wenn der Verfasser poetische Citate in seine Erzählung reichlich
vertheilt, so daß oft mitten in einer Tyrolcrschlacht Don Carlos oder Wilhelm
Teil zu sprechen anfängt. Eine nicht ganz unbedenkliche Concession für die
Gegenwart will es uns serner bedünken, daß der Geschichtschreiber seinem Haupt¬
helden so gut wie den anderen einen deutschen Sinn unterlegt. Dieser scheint
nur sehr latent vorhanden gewesen, und den Handelnden kaum je zum klaren
Bewußtsein geworden zu sein. So notorisch es eigentlich ist, daß Tyroler und


So ist der Schriftsteller demnach mit freundlichen Banden an beide Länder
gebunden; geboren in Tyrol hat er seines Lebens Aufgabe und Ziel in Bayern
gefunden. Nicht zu verwundern, daß er mit mildem Sinne nach beiden Seiten
die historische Gerechtigkeit verwaltet, daß ihm die Schrecknisse des Krieges gleich
sehr zu Herzen gehen, ob sie die Tyroler treffen oder die Bayern. Unter der
Hand haben sich die beiden streitenden Parteien freilich auch schon längst versöhnt.
Die Tyroler kommen schon seit vielen Jahren zu Hunderten heraus, und arbeiten in
den bayrische» Ernten oder in den bayrischen Hochwäldern; viele Beamte, denen das
damalige bayerische Wesen besser gefiel, als das östreichische, blieben den neuen
Farben getreu; mancher ehrbare Handwerksmann hat in bayerischen Städten eine
Frau und einen eigenen Herd gesunden. Andererseits ist das schöne Land Tyrol die
große Sommerfrische für die bayerischen Honoratioren geworden — man findet
sie in dichten Häuser bei der Tranbencnr in Meran und in den tyrolischen Bädern;
sie wandern über die tyrolischen Gletscher und 'schlafen in den tyrolischen Senn¬
hütten. Ueberall werden sie freundlich aufgenommen, lind die nachbarliche Feind¬
seligkeit, die im übrigen Deutschland so viel von sich reden macht, scheint zwischen
diesen beiden Ländern ganz entschlafen zu sein.

I. G. Mayr bringt nun diese Versöhnung gewissermaßen vor's große
Publicum; sein Buch ist, wenn es dessen noch bedürfte, auch eine Ehrenrettung
für die Bayern. Die alberne blinde Zuchtlosigkeit der bayerischen Bureaukratie
vor dem Jahre "1809 muß er zwar auch verurtheilen, allein dem bayerischen Helden¬
muth bei den Jselschlachten und in den gräßlichen Desil6erkämpfen am Jnn
und am Eisack läßt er seine Ehre. Gutmüthig, wie er ist, theilt er nach allen
Seiten gern freundliches Lob aus. Waren ja doch fast alle bekannteren Familien
Bayerns in jenem Kriege durch ihre Angehörigen vertreten, und mancher damalige
Lieutenant lebt jetzt noch in hohen Würden. „Todesmuthig, löwenkühn" läßt
er die Krieger mit einander kämpfen, und wenn er ins Feuer kommt, wird er
so freigebig mit schönen < rühmenden Wörtern, daß der Styl beinahe etwas klexig
wird, und fast zu sehr an die brillant veworrene Diction des Herrn von Hormayr
erinnert. Namentlich kommt auch Erzherzog Johann nicht ohne Aufmerksamkeit
durch, und ihm zu Liebe heißt ja das Buch: der Mann von Rinn, weil nämlich
jener Prinz in einem schönen Augenblicke gefühlvoller Erinnerung den Helden
also benannt. 'Etwas abweichend von der gewöhnlichen Praxis der Geschicht¬
schreiber ist es anch, wenn der Verfasser poetische Citate in seine Erzählung reichlich
vertheilt, so daß oft mitten in einer Tyrolcrschlacht Don Carlos oder Wilhelm
Teil zu sprechen anfängt. Eine nicht ganz unbedenkliche Concession für die
Gegenwart will es uns serner bedünken, daß der Geschichtschreiber seinem Haupt¬
helden so gut wie den anderen einen deutschen Sinn unterlegt. Dieser scheint
nur sehr latent vorhanden gewesen, und den Handelnden kaum je zum klaren
Bewußtsein geworden zu sein. So notorisch es eigentlich ist, daß Tyroler und


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[0489] So ist der Schriftsteller demnach mit freundlichen Banden an beide Länder gebunden; geboren in Tyrol hat er seines Lebens Aufgabe und Ziel in Bayern gefunden. Nicht zu verwundern, daß er mit mildem Sinne nach beiden Seiten die historische Gerechtigkeit verwaltet, daß ihm die Schrecknisse des Krieges gleich sehr zu Herzen gehen, ob sie die Tyroler treffen oder die Bayern. Unter der Hand haben sich die beiden streitenden Parteien freilich auch schon längst versöhnt. Die Tyroler kommen schon seit vielen Jahren zu Hunderten heraus, und arbeiten in den bayrische» Ernten oder in den bayrischen Hochwäldern; viele Beamte, denen das damalige bayerische Wesen besser gefiel, als das östreichische, blieben den neuen Farben getreu; mancher ehrbare Handwerksmann hat in bayerischen Städten eine Frau und einen eigenen Herd gesunden. Andererseits ist das schöne Land Tyrol die große Sommerfrische für die bayerischen Honoratioren geworden — man findet sie in dichten Häuser bei der Tranbencnr in Meran und in den tyrolischen Bädern; sie wandern über die tyrolischen Gletscher und 'schlafen in den tyrolischen Senn¬ hütten. Ueberall werden sie freundlich aufgenommen, lind die nachbarliche Feind¬ seligkeit, die im übrigen Deutschland so viel von sich reden macht, scheint zwischen diesen beiden Ländern ganz entschlafen zu sein. I. G. Mayr bringt nun diese Versöhnung gewissermaßen vor's große Publicum; sein Buch ist, wenn es dessen noch bedürfte, auch eine Ehrenrettung für die Bayern. Die alberne blinde Zuchtlosigkeit der bayerischen Bureaukratie vor dem Jahre "1809 muß er zwar auch verurtheilen, allein dem bayerischen Helden¬ muth bei den Jselschlachten und in den gräßlichen Desil6erkämpfen am Jnn und am Eisack läßt er seine Ehre. Gutmüthig, wie er ist, theilt er nach allen Seiten gern freundliches Lob aus. Waren ja doch fast alle bekannteren Familien Bayerns in jenem Kriege durch ihre Angehörigen vertreten, und mancher damalige Lieutenant lebt jetzt noch in hohen Würden. „Todesmuthig, löwenkühn" läßt er die Krieger mit einander kämpfen, und wenn er ins Feuer kommt, wird er so freigebig mit schönen < rühmenden Wörtern, daß der Styl beinahe etwas klexig wird, und fast zu sehr an die brillant veworrene Diction des Herrn von Hormayr erinnert. Namentlich kommt auch Erzherzog Johann nicht ohne Aufmerksamkeit durch, und ihm zu Liebe heißt ja das Buch: der Mann von Rinn, weil nämlich jener Prinz in einem schönen Augenblicke gefühlvoller Erinnerung den Helden also benannt. 'Etwas abweichend von der gewöhnlichen Praxis der Geschicht¬ schreiber ist es anch, wenn der Verfasser poetische Citate in seine Erzählung reichlich vertheilt, so daß oft mitten in einer Tyrolcrschlacht Don Carlos oder Wilhelm Teil zu sprechen anfängt. Eine nicht ganz unbedenkliche Concession für die Gegenwart will es uns serner bedünken, daß der Geschichtschreiber seinem Haupt¬ helden so gut wie den anderen einen deutschen Sinn unterlegt. Dieser scheint nur sehr latent vorhanden gewesen, und den Handelnden kaum je zum klaren Bewußtsein geworden zu sein. So notorisch es eigentlich ist, daß Tyroler und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/489>, abgerufen am 23.07.2024.