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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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entschlagen konnte, dnrch die Idee der Spinozistischcn Resignation überwunden,
was freilich etwas ganz Anderes ist, als die Hingebung ans Allgemeine. Wenn
man daher sein Leben zum Gegenstand des Studiums gemacht hat, so hat man
nichts Anderes entdeckt, als eine Reihe höchst zarter, intimer Verhältnisse, ein
beständiges Maß, welches mich widerwärtige Gegensätze ausgleicht, und eine
Bescheidung in die Gegenwart, die zwar die Ahnung und Sehnsucht nicht aus¬
schließt, wol aber die Leidenschaft, die Verzweiflung. Bei Byron ist es umge-
kehrt. Er ist darum für uns eine interessante Erscheinung, weil er die Maßlosig¬
keit bis zu einem Extrem getrieben hat, von dem wir bei uns kaum eine Ahnung
haben, und dabei eine Kraft entwickelt, die wenigstens bis zu einem gewissen
Grade auch der Unmöglichkeit gewachsen war. Darum ist sein Leben für das
junge Europa eine Art von Evangelium geworden, in weichem der Mythus des
Weltschmerzes sich verwirklicht wiederfand, und sein Portrait ersetzt gewissermaßen
die Heiligenbilder des Mittelalters: der sinnlich schöne Mensch mit dem Kains-
steinpel des unruhigen Gedankens.

Byron's Leben war stets in der Zukunft. Sein ganzes Wesen war von
jener jugendlichen Ungeduld getrieben, die von Idealen der Liebe und der Frei¬
heit träumt, nur um Schmerz und Zorn darüber zu empfinden, daß sie mahl
wirklich sind, die Phantome anbetet und sich in die Wirklichkeit nicht zu finden
weiß, weil sie in ihr nur das Echo ihrer eigenen Stimmung sucht. Auf die
Muth der Begeisterung folgt der Hohn und der Fluch. Beides ist nichts Anderes,
als das Gefühl der Leere, welches jedesmal erfolgt, wenn man nur in der Leiden¬
schaft sein Glück gesuchthat. Die Leidenschaft muß sich einmal verzehren, und
das geschieht um so schneller, je heftiger sie war. Darin liegt das Bedenkliche
der unbedingten Heiligung des Instincts und der Verachtung aller Regel. Schon
der sogenannten Humanität, die zu gutmüthig war, um mit dem Laster zu
Zürnen, jener vorherrschenden Richtung des philanthropischen 18. Jahrhunderts,
Uegt die erste Stufe zur Apotheose der zügellosen Leidenschaft; in der Leidenschaft
wechselt dann fliegende Gluth mit dem Verdruß, aber eine dauernde sittliche Er¬
hebung geht daraus uicht hervor. Der Blick umfaßt einen weiten Horizont,
"ber er hat nicht, die Energie, das Hauptsächliche auszusenden und aus dem
Einzelnen ein Ganzes zu machen. Empfindungen und Ideen sprudeln in
glänzender Improvisation hervor, aber sie führen zu keinem Schloß, der
fruchtbar für die Menschheit wäre. Es ist ein beständiges EWerimeutiren,
das die Grundlagen der Gesellschaft unterwühlt, und jede Existenz in Frage stellt,
"l)ne die Geduld zu haben, in irgend einem begonnenen Schacht bis auf den
^rund zu gehen. Aus diesem Maugel eines sittlichen Halts ergiebt sich, daß bei
den glänzendsten Gedanken und den' glühendsten Empfindungen wir doch niemals
den Eindruck eines tiefen Denkens und eines großen Herzens mit uns nehmen.
Bon dem Schmerz um dem großen Bruch, der nach seiner Ueberzeugung durch


entschlagen konnte, dnrch die Idee der Spinozistischcn Resignation überwunden,
was freilich etwas ganz Anderes ist, als die Hingebung ans Allgemeine. Wenn
man daher sein Leben zum Gegenstand des Studiums gemacht hat, so hat man
nichts Anderes entdeckt, als eine Reihe höchst zarter, intimer Verhältnisse, ein
beständiges Maß, welches mich widerwärtige Gegensätze ausgleicht, und eine
Bescheidung in die Gegenwart, die zwar die Ahnung und Sehnsucht nicht aus¬
schließt, wol aber die Leidenschaft, die Verzweiflung. Bei Byron ist es umge-
kehrt. Er ist darum für uns eine interessante Erscheinung, weil er die Maßlosig¬
keit bis zu einem Extrem getrieben hat, von dem wir bei uns kaum eine Ahnung
haben, und dabei eine Kraft entwickelt, die wenigstens bis zu einem gewissen
Grade auch der Unmöglichkeit gewachsen war. Darum ist sein Leben für das
junge Europa eine Art von Evangelium geworden, in weichem der Mythus des
Weltschmerzes sich verwirklicht wiederfand, und sein Portrait ersetzt gewissermaßen
die Heiligenbilder des Mittelalters: der sinnlich schöne Mensch mit dem Kains-
steinpel des unruhigen Gedankens.

Byron's Leben war stets in der Zukunft. Sein ganzes Wesen war von
jener jugendlichen Ungeduld getrieben, die von Idealen der Liebe und der Frei¬
heit träumt, nur um Schmerz und Zorn darüber zu empfinden, daß sie mahl
wirklich sind, die Phantome anbetet und sich in die Wirklichkeit nicht zu finden
weiß, weil sie in ihr nur das Echo ihrer eigenen Stimmung sucht. Auf die
Muth der Begeisterung folgt der Hohn und der Fluch. Beides ist nichts Anderes,
als das Gefühl der Leere, welches jedesmal erfolgt, wenn man nur in der Leiden¬
schaft sein Glück gesuchthat. Die Leidenschaft muß sich einmal verzehren, und
das geschieht um so schneller, je heftiger sie war. Darin liegt das Bedenkliche
der unbedingten Heiligung des Instincts und der Verachtung aller Regel. Schon
der sogenannten Humanität, die zu gutmüthig war, um mit dem Laster zu
Zürnen, jener vorherrschenden Richtung des philanthropischen 18. Jahrhunderts,
Uegt die erste Stufe zur Apotheose der zügellosen Leidenschaft; in der Leidenschaft
wechselt dann fliegende Gluth mit dem Verdruß, aber eine dauernde sittliche Er¬
hebung geht daraus uicht hervor. Der Blick umfaßt einen weiten Horizont,
"ber er hat nicht, die Energie, das Hauptsächliche auszusenden und aus dem
Einzelnen ein Ganzes zu machen. Empfindungen und Ideen sprudeln in
glänzender Improvisation hervor, aber sie führen zu keinem Schloß, der
fruchtbar für die Menschheit wäre. Es ist ein beständiges EWerimeutiren,
das die Grundlagen der Gesellschaft unterwühlt, und jede Existenz in Frage stellt,
"l)ne die Geduld zu haben, in irgend einem begonnenen Schacht bis auf den
^rund zu gehen. Aus diesem Maugel eines sittlichen Halts ergiebt sich, daß bei
den glänzendsten Gedanken und den' glühendsten Empfindungen wir doch niemals
den Eindruck eines tiefen Denkens und eines großen Herzens mit uns nehmen.
Bon dem Schmerz um dem großen Bruch, der nach seiner Ueberzeugung durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/47>, abgerufen am 23.07.2024.