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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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schichtliche Kenntniß zunahm, zu bestimmteren Anschauungen und klarcrciu Wissen
sich läuterte, um so mehr durchdrang eine Mannichfaltigkeit der Formen endlich
auch den Privatbau, gestaltete ihn reicher und geschmackvoller, so daß in der
That die Außenseite Berlins sich innerhalb der letzten zehn Jahre im hohen
Grade vorteilhaft verwandelte. Der Gegensatz des Barocken machte dieselbe
Entwickelung mit, und bemächtigte sich gleichfalls der neugewonnenen historischen
Elemente. So stieg am Exercirplatzc ein zweiter Ban in, Stier empor, nun
aber im historisch treuen Charakter normäuuischcr Burgen mit zahlreichen Erkern,
Zinnen und Thürmchen, ein gar wunderliches Gebilde neben modernen Ge¬
bäuden.

So wenig eine solche Ueberladung romantischer Motive, eine solche Nachah¬
mung historischer Forme" zu empfehlen ist, so sicher dürften doch andererseits ge¬
wisse mittelalterliche Motive der Schönheit des modernen Baues zu Statten kom¬
men, wenn mau sie uur richtig zu wählen und im Sinne unsres heutigen Le¬
bens uinzuschmelzcn weiß. Man muß sich dabei jedoch weniger an die reichs-
freihcrrlichcn oder baronlichcn Bauwerke wenden, alö an die reichsstädtischen
Architekturen. So kann namentlich der Erker eine in vieler Beziehung empfeh-
lenswerthe Form auch deö modernen Privatbancö abgeben. Vor allen Dingen
muß er freilich als ein organischer Theil des Bauwerks gedacht sein, und nicht,
wie an einem Hanse der Spandauer Straße zu Berlin, als ein häßlich schwerer,
viereckiger Kasten dem obern Stockwerke aufgeklebt werden. Der Nutzen des
Erkers liegt darin, daß er wohnlichen Raum ohne Grund nud Boden aus der
Luft schneidet. Durch freie, leichte Gestaltung wird er die Außenseite sehr ver¬
schonen, und für das Jnnere der Wohnung bietet er ein behaglich abgesondertes
Plätzchen, das in einen kleinen Garten umgewandelt werden kann. Als eine all¬
seitig geschützte, doch aber nach allen Seiten hin durch Fenster erhellte Warte
gestattet er zugleich den Ueberblick der Straße in der Länge wie in der Breite,
ohne daß der Bewohner nöthig hat, den Kopf in die Lust hinansznstrecken.

Häufiger als den Erker hat man den Altan oder Balcon bereits in Anwen¬
dung gebracht. In den meisten Fällen aber construirte man ihn aus dünnen
"und schwachen Eisenstäben, so daß er wie ein fremdes Stück dem Bauwerke nur
aufgeheftet schien. Das war häßlich genug, und wir dürfen uns freuen, daß
auch hiergegen schon ein besserer Geschmack sich geltend macht. Soll der Balcon
une bauliche Schönheit werden, so muß eine solide Architektur ihn als einen or¬
ganischen und edlen Theil des Ganzen bezeichnen. Die Armseligkeit im Bunde
mit dem an sich vornehmen Wesen des Altars erscheint dem Ange widerwärtig.
Andererseits macht es den Eindruck der Affectation, wenn man z. B. die übri¬
gens recht solid construirten Balcons an dem Langhansischen Hause unter den
Linden zu Berlin in prahlender Vergoldung strahlen sieht. Mir ist dabei zu
Muthe, als sähe ich die Eingeweide eine.s lebenden Wesens an das Licht gekehrt.


Grcnzbotc". IV. -I8L1.

schichtliche Kenntniß zunahm, zu bestimmteren Anschauungen und klarcrciu Wissen
sich läuterte, um so mehr durchdrang eine Mannichfaltigkeit der Formen endlich
auch den Privatbau, gestaltete ihn reicher und geschmackvoller, so daß in der
That die Außenseite Berlins sich innerhalb der letzten zehn Jahre im hohen
Grade vorteilhaft verwandelte. Der Gegensatz des Barocken machte dieselbe
Entwickelung mit, und bemächtigte sich gleichfalls der neugewonnenen historischen
Elemente. So stieg am Exercirplatzc ein zweiter Ban in, Stier empor, nun
aber im historisch treuen Charakter normäuuischcr Burgen mit zahlreichen Erkern,
Zinnen und Thürmchen, ein gar wunderliches Gebilde neben modernen Ge¬
bäuden.

So wenig eine solche Ueberladung romantischer Motive, eine solche Nachah¬
mung historischer Forme» zu empfehlen ist, so sicher dürften doch andererseits ge¬
wisse mittelalterliche Motive der Schönheit des modernen Baues zu Statten kom¬
men, wenn mau sie uur richtig zu wählen und im Sinne unsres heutigen Le¬
bens uinzuschmelzcn weiß. Man muß sich dabei jedoch weniger an die reichs-
freihcrrlichcn oder baronlichcn Bauwerke wenden, alö an die reichsstädtischen
Architekturen. So kann namentlich der Erker eine in vieler Beziehung empfeh-
lenswerthe Form auch deö modernen Privatbancö abgeben. Vor allen Dingen
muß er freilich als ein organischer Theil des Bauwerks gedacht sein, und nicht,
wie an einem Hanse der Spandauer Straße zu Berlin, als ein häßlich schwerer,
viereckiger Kasten dem obern Stockwerke aufgeklebt werden. Der Nutzen des
Erkers liegt darin, daß er wohnlichen Raum ohne Grund nud Boden aus der
Luft schneidet. Durch freie, leichte Gestaltung wird er die Außenseite sehr ver¬
schonen, und für das Jnnere der Wohnung bietet er ein behaglich abgesondertes
Plätzchen, das in einen kleinen Garten umgewandelt werden kann. Als eine all¬
seitig geschützte, doch aber nach allen Seiten hin durch Fenster erhellte Warte
gestattet er zugleich den Ueberblick der Straße in der Länge wie in der Breite,
ohne daß der Bewohner nöthig hat, den Kopf in die Lust hinansznstrecken.

Häufiger als den Erker hat man den Altan oder Balcon bereits in Anwen¬
dung gebracht. In den meisten Fällen aber construirte man ihn aus dünnen
"und schwachen Eisenstäben, so daß er wie ein fremdes Stück dem Bauwerke nur
aufgeheftet schien. Das war häßlich genug, und wir dürfen uns freuen, daß
auch hiergegen schon ein besserer Geschmack sich geltend macht. Soll der Balcon
une bauliche Schönheit werden, so muß eine solide Architektur ihn als einen or¬
ganischen und edlen Theil des Ganzen bezeichnen. Die Armseligkeit im Bunde
mit dem an sich vornehmen Wesen des Altars erscheint dem Ange widerwärtig.
Andererseits macht es den Eindruck der Affectation, wenn man z. B. die übri¬
gens recht solid construirten Balcons an dem Langhansischen Hause unter den
Linden zu Berlin in prahlender Vergoldung strahlen sieht. Mir ist dabei zu
Muthe, als sähe ich die Eingeweide eine.s lebenden Wesens an das Licht gekehrt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/469>, abgerufen am 23.07.2024.