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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Die Plauderei verschmäht keinen Gegenstand, und schreckt vor keinem zurück.
Sie befaßt sich mit der frivolen Theorie, und wagt sich eben so leicht an die
Unsterblichkeit der Seele. Das Object ist gleichgiltig, die Form sehr viel, aber
die Hauptsache, daß man amüsant bleibt. Seitdem die Politik sich so breit macht,
und den ganzen Vordergrund einnimmt, hat die leichte Konversation einen empfind-
lichen Stoß erlitten. Die Zeiten sind ernster geworden, und man hat auch nicht
Muße genug, die geselligen Talente so zu pflegen, wie sonst. Haben doch selbst
die Poeten ihre Muse verlassen und sind unter die Propheten gegangen. Auch
die Frauen sind von dem allgemeinen Schwindel erfaßt worden, und man kann die
.Salons, in denen die französische Konversation noch ein Asyl behalten, an den
Fingern zählen. Dort, wo die Meinungen so sehr gespalten sind, wo die socialen
Bestrebungen so sehr ans einander gehen, wie heute in Frankreich, findet sich
nur schwer jene angenehme, gleichförmige Temperatur, ohne welche die vertrau¬
liche Geselligkeit ganz unmöglich ist. Der eigentliche Conversatiousgcist hat sich
in die dramatischen ProvcrbeS der Bühne geflüchtet, und diese machen hauptsächlich
darum so viel Glück, weil der darin herrschende Geist im gewöhnlichen Leben so
selten geworden.

Diese Filigranarbeit subtiler Conversation, die ein die Fraueuherrschaft uuter
Ludwig XIV. und XV. erinnert, verursacht den Parisern Heimweh, wie den Juden
die Erinnerung an die Fleischtöpfe Aegyptens. Die Franzosen befinden sich über¬
haupt in der Spalte, die sich zwischen ganz ans einander gehenden Epochen bildet.

Die alte Gesellschaft ist ihrem Verfall nahe, die neue uoch uicht gegründet,
und so macht sich im Bewußtsein der Gesammtheit wie der Einzelnen eine gewisse
Unbehäbigkeit geltend, welche jede unbefangene Unterhaltung verbannt. Es ge¬
hören besondere zufällige Verhältnisse, eine günstige Stimmung des Moments
dazu/ damit der Einfluß der gegenwärtigen Zustände wenigstens vorübergehend
beseitigt werde, die Gemüther ausgehe" können, und sich in jener liebenswürdigen
Vertraulichkeit ergehen, die man nur hier in Frankreich kennt. Man muß gegen¬
seitiges Wohlwollen, eine gewisse Achtung für einander fühlen, um sein Inneres
"ufznthun und mit Lust unsre Neigungen nud Gefühle an den Tag zu legen.
Der Geist muß von jeder drückenden Sorge frei sein, man darf die Worte nicht
erst abwägen, keine unangenehme Berührung befürchten, soll der gesellige Umgang
jenen Neiz erhalten, den ihm die Franzosen zu verleihen wissen. Der französische
Esprit bedarf des Sonnenscheins der guten Laune, und wenn man jeden Tag
von Kanonendonner, einem Staatsstreiche oder einer sonstigen politischen Über¬
raschung geweckt zu werdeu bedroht ist, kann die gute Laune eben nicht alltäglich
sein. Man ist in Paris noch immer heiterer, als in sämmtlichen Hauptstädten
Europa's, aber jene leichtsinnige Sorglosigkeit, welche die französische Gesellschaft
von ehemals bezeichnete, wird immer seltener. Man macht noch immer Esprit,


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Die Plauderei verschmäht keinen Gegenstand, und schreckt vor keinem zurück.
Sie befaßt sich mit der frivolen Theorie, und wagt sich eben so leicht an die
Unsterblichkeit der Seele. Das Object ist gleichgiltig, die Form sehr viel, aber
die Hauptsache, daß man amüsant bleibt. Seitdem die Politik sich so breit macht,
und den ganzen Vordergrund einnimmt, hat die leichte Konversation einen empfind-
lichen Stoß erlitten. Die Zeiten sind ernster geworden, und man hat auch nicht
Muße genug, die geselligen Talente so zu pflegen, wie sonst. Haben doch selbst
die Poeten ihre Muse verlassen und sind unter die Propheten gegangen. Auch
die Frauen sind von dem allgemeinen Schwindel erfaßt worden, und man kann die
.Salons, in denen die französische Konversation noch ein Asyl behalten, an den
Fingern zählen. Dort, wo die Meinungen so sehr gespalten sind, wo die socialen
Bestrebungen so sehr ans einander gehen, wie heute in Frankreich, findet sich
nur schwer jene angenehme, gleichförmige Temperatur, ohne welche die vertrau¬
liche Geselligkeit ganz unmöglich ist. Der eigentliche Conversatiousgcist hat sich
in die dramatischen ProvcrbeS der Bühne geflüchtet, und diese machen hauptsächlich
darum so viel Glück, weil der darin herrschende Geist im gewöhnlichen Leben so
selten geworden.

Diese Filigranarbeit subtiler Conversation, die ein die Fraueuherrschaft uuter
Ludwig XIV. und XV. erinnert, verursacht den Parisern Heimweh, wie den Juden
die Erinnerung an die Fleischtöpfe Aegyptens. Die Franzosen befinden sich über¬
haupt in der Spalte, die sich zwischen ganz ans einander gehenden Epochen bildet.

Die alte Gesellschaft ist ihrem Verfall nahe, die neue uoch uicht gegründet,
und so macht sich im Bewußtsein der Gesammtheit wie der Einzelnen eine gewisse
Unbehäbigkeit geltend, welche jede unbefangene Unterhaltung verbannt. Es ge¬
hören besondere zufällige Verhältnisse, eine günstige Stimmung des Moments
dazu/ damit der Einfluß der gegenwärtigen Zustände wenigstens vorübergehend
beseitigt werde, die Gemüther ausgehe« können, und sich in jener liebenswürdigen
Vertraulichkeit ergehen, die man nur hier in Frankreich kennt. Man muß gegen¬
seitiges Wohlwollen, eine gewisse Achtung für einander fühlen, um sein Inneres
"ufznthun und mit Lust unsre Neigungen nud Gefühle an den Tag zu legen.
Der Geist muß von jeder drückenden Sorge frei sein, man darf die Worte nicht
erst abwägen, keine unangenehme Berührung befürchten, soll der gesellige Umgang
jenen Neiz erhalten, den ihm die Franzosen zu verleihen wissen. Der französische
Esprit bedarf des Sonnenscheins der guten Laune, und wenn man jeden Tag
von Kanonendonner, einem Staatsstreiche oder einer sonstigen politischen Über¬
raschung geweckt zu werdeu bedroht ist, kann die gute Laune eben nicht alltäglich
sein. Man ist in Paris noch immer heiterer, als in sämmtlichen Hauptstädten
Europa's, aber jene leichtsinnige Sorglosigkeit, welche die französische Gesellschaft
von ehemals bezeichnete, wird immer seltener. Man macht noch immer Esprit,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/463>, abgerufen am 23.07.2024.