Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.Deutsche Oper. Mozart s Lohi sgri tutte (So machen es Alle) auf der Leipziger Deutsche Oper. Mozart s Lohi sgri tutte (So machen es Alle) auf der Leipziger <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0438" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281055"/> </div> <div n="1"> <head> Deutsche Oper.</head><lb/> <p xml:id="ID_1252" next="#ID_1253"> Mozart s Lohi sgri tutte (So machen es Alle) auf der Leipziger<lb/> Bühne. Die Aufführung fand genau in der Form statt, wie sie in Berlin seit<lb/> mehreren Jahren gegeben wird. Leider ist auch Schneider'S Bearbeitung nicht im<lb/> Stande gewesen, in die Handlung Lehen zu bringen. Man muß sagen, daß selten<lb/> ein Opernsujct mit so viel Ungeschicklichkeit behandelt ist. An sich wäre der Stoff<lb/> nicht ungeeignet für eine komische Oper: Zwei Liebhaber, die durch einen alten Hage¬<lb/> stolz an der Treue ihrer Geliebten irre gemacht werden, sie daher unter einer Verkleidung<lb/> aus die Probe stellen und von ihnen durchschaut und dupirt werden, gäben zu den<lb/> drolligsten Scenen Veranlassung. Aber der Librettodichtcr hat einerseits die Fabel,<lb/> in der schon an sich etwas Unwahrscheinliches liegt, durch Rohheit und Plumpheit<lb/> noch unwahrscheinlicher gemacht, andererseits hat er die Gelegenheit zu Pointen und<lb/> Wendepunkten der Handlung unbenutzt gelassen. Z. B. die Entdeckung des Betrugs<lb/> geht hinter der Scene vor, aus der Bühne' selbst haben wir nichts, als eine Reihe<lb/> einförmiger und langweiliger Wiederholungen. Der Humor steckt nicht in der Handlung,<lb/> sondern vorzugsweise in den Späßen und Verkleidungen eines Kammermädchens, die<lb/> den Maschinisten der Handlung darstellt. — Das ist ein Uebelstand, der den Erfolg<lb/> des Stückes sehr erschweren wird, und dem auch nicht abzuhelfen ist, denn eine Aus¬<lb/> lassung einzelner Picken würde nichts nutzen. — Dennoch müssen wir wünschen, daß<lb/> sich die Oper aus dem Repertoir behauptet. Sie gehört zu dem Vollendetsten, was<lb/> Mozart geschrieben hat. Eine unnachahmliche Grazie in der Haltung, ein weises Maß,<lb/> auch bei den sonderbarsten Vorwürfen, z. B. bei einem Lachterzctt und einer komischen<lb/> Thränenarie; ein Reichthum an zierlichen und ansprechenden Melodien, wie sie nur<lb/> Mozart erfindet, und eine Feinheit und Correctheit des Styls, wie sie nur der Deutsche<lb/> kennt. — Ueberhaupt sollten die kleineren Bühnen, die nicht über jene Masse von<lb/> Kräften und jene Virtuosität einzelner Bravvurstuumcn disponiren können, welche die<lb/> moderne Pariser Oper verlangt, viel häufiger zu diesen älteren Stücken zurückkehren,<lb/> die nicht nur an inneren Gehalt jene Effcctstücke ungefähr so überragen, wie Goethe<lb/> Kotzebue überragt, sondern die auch im Ganzen leichter zu cxecntircn sind, obgleich sie<lb/> nach einer andern Seite hin ein gewissenhafteres Studium verlangen, als die bekannten<lb/> Gnaden- und Bcttlcrcirien. Das Leipziger Theater hat von solchen Stücken nur<lb/> Figaro's Hochzeit und den Barbier auf dem Aepcrtoir. Es war davon die Rede,<lb/> die heimliche Ehe darzustellen, aber diese sehr verständige Idee scheint wieder einge¬<lb/> schlafen zu sein. Warum wird nicht Mozart's Entführung aus dem Serail wieder<lb/> hervorgesucht? eine Oper, die sich noch dazu durch einen ziemlich leidlichen Text aus¬<lb/> zeichnet. Auch der Erfolg, den die Dittcrsdorffschcn Opern in Berlin gemacht haben,<lb/> sollte zu ähnlichen Versuchen veranlassen. — Uebrigens war die Ausführung im Ganzen<lb/> zu billigen. Die komische Hauptvartic, Dolorcs, wurde sogar bei weitem besser aus¬<lb/> geführt, als wir es in Berlin gesehen haben, und wenn das Spiel der Uebrigen auch<lb/> Manches zu wünschen übrig läßt, und durch seineUnbchilflichkeit gar zu sehr an die stereotype»<lb/> Formen des Pathos erinnert, wo der Sänger stets vor dem Sonfflenrkastcn steht, und nur<lb/> zuweilen die beiden Arme gen Himmel erhebt, zuweilen sich vor die Brust schlägt, so<lb/> sollte das gerade ein Sporn sein, sich häufiger im komischen Fach zu versuchen, wo es<lb/> mit diesen besten nicht abgemacht ist. Aus einer gewissenhaften Darstellung einer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0438]
Deutsche Oper.
Mozart s Lohi sgri tutte (So machen es Alle) auf der Leipziger
Bühne. Die Aufführung fand genau in der Form statt, wie sie in Berlin seit
mehreren Jahren gegeben wird. Leider ist auch Schneider'S Bearbeitung nicht im
Stande gewesen, in die Handlung Lehen zu bringen. Man muß sagen, daß selten
ein Opernsujct mit so viel Ungeschicklichkeit behandelt ist. An sich wäre der Stoff
nicht ungeeignet für eine komische Oper: Zwei Liebhaber, die durch einen alten Hage¬
stolz an der Treue ihrer Geliebten irre gemacht werden, sie daher unter einer Verkleidung
aus die Probe stellen und von ihnen durchschaut und dupirt werden, gäben zu den
drolligsten Scenen Veranlassung. Aber der Librettodichtcr hat einerseits die Fabel,
in der schon an sich etwas Unwahrscheinliches liegt, durch Rohheit und Plumpheit
noch unwahrscheinlicher gemacht, andererseits hat er die Gelegenheit zu Pointen und
Wendepunkten der Handlung unbenutzt gelassen. Z. B. die Entdeckung des Betrugs
geht hinter der Scene vor, aus der Bühne' selbst haben wir nichts, als eine Reihe
einförmiger und langweiliger Wiederholungen. Der Humor steckt nicht in der Handlung,
sondern vorzugsweise in den Späßen und Verkleidungen eines Kammermädchens, die
den Maschinisten der Handlung darstellt. — Das ist ein Uebelstand, der den Erfolg
des Stückes sehr erschweren wird, und dem auch nicht abzuhelfen ist, denn eine Aus¬
lassung einzelner Picken würde nichts nutzen. — Dennoch müssen wir wünschen, daß
sich die Oper aus dem Repertoir behauptet. Sie gehört zu dem Vollendetsten, was
Mozart geschrieben hat. Eine unnachahmliche Grazie in der Haltung, ein weises Maß,
auch bei den sonderbarsten Vorwürfen, z. B. bei einem Lachterzctt und einer komischen
Thränenarie; ein Reichthum an zierlichen und ansprechenden Melodien, wie sie nur
Mozart erfindet, und eine Feinheit und Correctheit des Styls, wie sie nur der Deutsche
kennt. — Ueberhaupt sollten die kleineren Bühnen, die nicht über jene Masse von
Kräften und jene Virtuosität einzelner Bravvurstuumcn disponiren können, welche die
moderne Pariser Oper verlangt, viel häufiger zu diesen älteren Stücken zurückkehren,
die nicht nur an inneren Gehalt jene Effcctstücke ungefähr so überragen, wie Goethe
Kotzebue überragt, sondern die auch im Ganzen leichter zu cxecntircn sind, obgleich sie
nach einer andern Seite hin ein gewissenhafteres Studium verlangen, als die bekannten
Gnaden- und Bcttlcrcirien. Das Leipziger Theater hat von solchen Stücken nur
Figaro's Hochzeit und den Barbier auf dem Aepcrtoir. Es war davon die Rede,
die heimliche Ehe darzustellen, aber diese sehr verständige Idee scheint wieder einge¬
schlafen zu sein. Warum wird nicht Mozart's Entführung aus dem Serail wieder
hervorgesucht? eine Oper, die sich noch dazu durch einen ziemlich leidlichen Text aus¬
zeichnet. Auch der Erfolg, den die Dittcrsdorffschcn Opern in Berlin gemacht haben,
sollte zu ähnlichen Versuchen veranlassen. — Uebrigens war die Ausführung im Ganzen
zu billigen. Die komische Hauptvartic, Dolorcs, wurde sogar bei weitem besser aus¬
geführt, als wir es in Berlin gesehen haben, und wenn das Spiel der Uebrigen auch
Manches zu wünschen übrig läßt, und durch seineUnbchilflichkeit gar zu sehr an die stereotype»
Formen des Pathos erinnert, wo der Sänger stets vor dem Sonfflenrkastcn steht, und nur
zuweilen die beiden Arme gen Himmel erhebt, zuweilen sich vor die Brust schlägt, so
sollte das gerade ein Sporn sein, sich häufiger im komischen Fach zu versuchen, wo es
mit diesen besten nicht abgemacht ist. Aus einer gewissenhaften Darstellung einer
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