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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Schatten gefolgt, den die Gestalt des todten Kaisers über ihn warf; es wird
ihm folgen und ihn verlassen, wie es die Bourbonen und die Orleans verlassen
hat. Der Bürger aber wird ihm zürnen und sich ihm fügen, ans Furcht vor
den Rothen, bis der Ueberdruß großer wird, als die Furcht. So lange dieser
Zustand der Apathie und des innern Zwiespalts in den Einzelnen dauert, mag
er sich mühsam behaupten; das erste Hervorbrechen eines activen Wollens im
Volk wird ihn stürzen und kläglich wird sein Fall werden. Es ist mehr
als wahrscheinlich, daß Louis Bnonaparte sich noch inniger an die legitimen
Mächte anschließen wird, welche seinem Staatsstreich wohlwollend zuwinken;
es ist wahrscheinlich, daß England dadurch noch mehr isolirt wird, und daß
wir auf dem Festland Enropa's noch Consequenzen des jetzt herrschenden
Systems erleben, welche wir uns nicht träumen lassen. Aber eben so fest steht
das Fant, daß durch die Folgen des 2. December das Schicksal Deutschlands
und des europäischen Continents wieder abhängig geworden ist von der finstern
Zukunft Frankreichs. Nie hätte der Präsident den Staatsstreich gewagt, wenn
ihm nicht andere Regierungen ein Vorbild gewesen wären. Durch die That hat
er Frankreich in eine noch schlimmere Lage gebracht, als die des östlichen Europa's
ist, und diese Kampfe und die Revolutionen, welche Frankreich seinetwegen durch¬
zumachen hat, bevor seine That gesühnt ist, werden auch zurückschlagen auf die
übrigen Staaten, und sie hineinreißen in die schweren Katastrophen zwischen Rhein
und Pyrenäen.

Rußland oder England, Militairstaat oder freie Verfassung, das siud die
Gegensätze, zwischen denen die Mitte Europa's in der nächsten Zeit umherschwantcu
muß. Der letzte Ausgang ist nicht zweifelhaft, wir aber werden das,Ende schwer¬
lich schauen. Und was unsre Zukunft bringt, wird schmerzvoll und niederbeugend
sein für alle Parteien. Wer ist noch so gläubig zu sagen, daß die Revolution
geschlossen sei?




Schatten gefolgt, den die Gestalt des todten Kaisers über ihn warf; es wird
ihm folgen und ihn verlassen, wie es die Bourbonen und die Orleans verlassen
hat. Der Bürger aber wird ihm zürnen und sich ihm fügen, ans Furcht vor
den Rothen, bis der Ueberdruß großer wird, als die Furcht. So lange dieser
Zustand der Apathie und des innern Zwiespalts in den Einzelnen dauert, mag
er sich mühsam behaupten; das erste Hervorbrechen eines activen Wollens im
Volk wird ihn stürzen und kläglich wird sein Fall werden. Es ist mehr
als wahrscheinlich, daß Louis Bnonaparte sich noch inniger an die legitimen
Mächte anschließen wird, welche seinem Staatsstreich wohlwollend zuwinken;
es ist wahrscheinlich, daß England dadurch noch mehr isolirt wird, und daß
wir auf dem Festland Enropa's noch Consequenzen des jetzt herrschenden
Systems erleben, welche wir uns nicht träumen lassen. Aber eben so fest steht
das Fant, daß durch die Folgen des 2. December das Schicksal Deutschlands
und des europäischen Continents wieder abhängig geworden ist von der finstern
Zukunft Frankreichs. Nie hätte der Präsident den Staatsstreich gewagt, wenn
ihm nicht andere Regierungen ein Vorbild gewesen wären. Durch die That hat
er Frankreich in eine noch schlimmere Lage gebracht, als die des östlichen Europa's
ist, und diese Kampfe und die Revolutionen, welche Frankreich seinetwegen durch¬
zumachen hat, bevor seine That gesühnt ist, werden auch zurückschlagen auf die
übrigen Staaten, und sie hineinreißen in die schweren Katastrophen zwischen Rhein
und Pyrenäen.

Rußland oder England, Militairstaat oder freie Verfassung, das siud die
Gegensätze, zwischen denen die Mitte Europa's in der nächsten Zeit umherschwantcu
muß. Der letzte Ausgang ist nicht zweifelhaft, wir aber werden das,Ende schwer¬
lich schauen. Und was unsre Zukunft bringt, wird schmerzvoll und niederbeugend
sein für alle Parteien. Wer ist noch so gläubig zu sagen, daß die Revolution
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[0435] Schatten gefolgt, den die Gestalt des todten Kaisers über ihn warf; es wird ihm folgen und ihn verlassen, wie es die Bourbonen und die Orleans verlassen hat. Der Bürger aber wird ihm zürnen und sich ihm fügen, ans Furcht vor den Rothen, bis der Ueberdruß großer wird, als die Furcht. So lange dieser Zustand der Apathie und des innern Zwiespalts in den Einzelnen dauert, mag er sich mühsam behaupten; das erste Hervorbrechen eines activen Wollens im Volk wird ihn stürzen und kläglich wird sein Fall werden. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß Louis Bnonaparte sich noch inniger an die legitimen Mächte anschließen wird, welche seinem Staatsstreich wohlwollend zuwinken; es ist wahrscheinlich, daß England dadurch noch mehr isolirt wird, und daß wir auf dem Festland Enropa's noch Consequenzen des jetzt herrschenden Systems erleben, welche wir uns nicht träumen lassen. Aber eben so fest steht das Fant, daß durch die Folgen des 2. December das Schicksal Deutschlands und des europäischen Continents wieder abhängig geworden ist von der finstern Zukunft Frankreichs. Nie hätte der Präsident den Staatsstreich gewagt, wenn ihm nicht andere Regierungen ein Vorbild gewesen wären. Durch die That hat er Frankreich in eine noch schlimmere Lage gebracht, als die des östlichen Europa's ist, und diese Kampfe und die Revolutionen, welche Frankreich seinetwegen durch¬ zumachen hat, bevor seine That gesühnt ist, werden auch zurückschlagen auf die übrigen Staaten, und sie hineinreißen in die schweren Katastrophen zwischen Rhein und Pyrenäen. Rußland oder England, Militairstaat oder freie Verfassung, das siud die Gegensätze, zwischen denen die Mitte Europa's in der nächsten Zeit umherschwantcu muß. Der letzte Ausgang ist nicht zweifelhaft, wir aber werden das,Ende schwer¬ lich schauen. Und was unsre Zukunft bringt, wird schmerzvoll und niederbeugend sein für alle Parteien. Wer ist noch so gläubig zu sagen, daß die Revolution geschlossen sei?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/435>, abgerufen am 23.07.2024.