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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Leben sehr verbittert und meinen Verdienst geschädigt hat, so werde ich mich der
wiedergewonnenen Nuhe und der vermehrten Einnahmen von Herzen erfreuen
dürfen, aber ich würde mit Recht für schlecht gehalten, wenn ich in meiner Freude
mit dem Mörder sympathisiren oder den Dachziegel in Gold fassen wollte. Wenn
also deutsche Tagesblätter von ihrem Parteistaudvuukie ans sich über die Wir¬
kungen des Staatsstreichs auf die deutschen Staaten freuete wollen, so bleibt ihnen
dies ganz unbenommen, wenn sie aber deshalb die That selbst preisen, so handeln
sie schlecht. -- Der Staatsregierung liegt es natürlich uicht ob, ihre verdammende
Ansicht über fremde Staatsoperationcn in Form eines officiellen Urtheils auszu¬
drücken, wenn ihr das Geschehene für den eigenen Staat vortheilhaft erscheint.
Sie wird sich die nützlichen Folgen sichern, und das Urtheil über den Thäter der
Zukunft und seinem eigenen Geschick überlassen. Aber noch mehr als die Presse
wird sich eine Regierung von Selbstgefühl hüten, dnrch irgendwelche ausdrückliche
Erklärung ihre Beistimmung zu einem solchen Streiche auszusprechen, und sie
wird die von ihr abhängigen Zeitungen anhalrett, durch discrete Zurückhaltung
eines Urtheils die Moralität der eigenen Staatsbürger sowol als die nothwen¬
digen politischen Cvnvenienzen zu achten. Mit Bedauern war in der letzten Woche
zu bemerken, daß die ministeriellen Blätter Oestreichs und Preußens dieses An-
standsgefühl nicht gehabt haben: sie haben die Gewaltthat Louis Bonaparte's
für Recht, die gewaltthätig" Opposition dagegen aber für ein Verbrechen erklärt.

Auffallend aber ist es, daß man in conservativen Kreisen den 2. December
als einen Gewinn für Frankreich und Europa betrachten kann. Selbst in dem
Fall, daß der neugewählte Präsident sich dnrch terroristische Maßregeln auf Jahre
behaupten konnte, ist die Lage des Landes eine wahrhaft verzweifelte geworden.
Die Legionen haben ihn erhoben und tragen ihn, das Heer ist an die Stelle des
Volkes getreten, ein kleiner uuproductiver und kostbarer Theil der Bevölkerung
an die Stelle der ungeheuren erwerbenden und producirenden Mehrzahl. Das
bedeutet ein theueres Regiment, welches mehr ausgiebt, als es einnimmt, ein über¬
müthiges und thatenlustiges Heer, das seine Bedeutung empfindet, und dessen
kriegerische Beschäftigung ein unvermeidliches Uebel wird, das bedeutet Kriegslust
und totalen Ruin der Finanzen, Belagerungszustände, exceptionelle Maßregeln und
Tyrannei der Beamten. Es gehört viel Vertrauen dazu, um von solchen Ver¬
hältnissen eine größere Sicherheit der Personen und des Eigenthums zu erwarten.
Die abenteuerliche Rücksichtslosigkeit der Arrestativnen und Fustlladen, die schlaue
Technik des Staatsstreichs, das ganze übermüthige, verzweifelte Auftreten drr Bouna-
partisten hat bereits in diesem Augenblick auch die Gleichgiltigeu in Frankreich er¬
schreckt und erbittert. Wie lange wird das eitelste Volk der Welt diese rücksichts¬
lose Demüthigung seines Selbstgefühls ertragen? von einem Manne ertragen, der
ihm noch gar keine Gelegenheit gegeben hat, zu bewundern und zu verzeihe"? Das
Heer selbst ist nicht dem Ruhe des jungen Herrn von Boulogne gefolgt, sondern dem


Leben sehr verbittert und meinen Verdienst geschädigt hat, so werde ich mich der
wiedergewonnenen Nuhe und der vermehrten Einnahmen von Herzen erfreuen
dürfen, aber ich würde mit Recht für schlecht gehalten, wenn ich in meiner Freude
mit dem Mörder sympathisiren oder den Dachziegel in Gold fassen wollte. Wenn
also deutsche Tagesblätter von ihrem Parteistaudvuukie ans sich über die Wir¬
kungen des Staatsstreichs auf die deutschen Staaten freuete wollen, so bleibt ihnen
dies ganz unbenommen, wenn sie aber deshalb die That selbst preisen, so handeln
sie schlecht. — Der Staatsregierung liegt es natürlich uicht ob, ihre verdammende
Ansicht über fremde Staatsoperationcn in Form eines officiellen Urtheils auszu¬
drücken, wenn ihr das Geschehene für den eigenen Staat vortheilhaft erscheint.
Sie wird sich die nützlichen Folgen sichern, und das Urtheil über den Thäter der
Zukunft und seinem eigenen Geschick überlassen. Aber noch mehr als die Presse
wird sich eine Regierung von Selbstgefühl hüten, dnrch irgendwelche ausdrückliche
Erklärung ihre Beistimmung zu einem solchen Streiche auszusprechen, und sie
wird die von ihr abhängigen Zeitungen anhalrett, durch discrete Zurückhaltung
eines Urtheils die Moralität der eigenen Staatsbürger sowol als die nothwen¬
digen politischen Cvnvenienzen zu achten. Mit Bedauern war in der letzten Woche
zu bemerken, daß die ministeriellen Blätter Oestreichs und Preußens dieses An-
standsgefühl nicht gehabt haben: sie haben die Gewaltthat Louis Bonaparte's
für Recht, die gewaltthätig« Opposition dagegen aber für ein Verbrechen erklärt.

Auffallend aber ist es, daß man in conservativen Kreisen den 2. December
als einen Gewinn für Frankreich und Europa betrachten kann. Selbst in dem
Fall, daß der neugewählte Präsident sich dnrch terroristische Maßregeln auf Jahre
behaupten konnte, ist die Lage des Landes eine wahrhaft verzweifelte geworden.
Die Legionen haben ihn erhoben und tragen ihn, das Heer ist an die Stelle des
Volkes getreten, ein kleiner uuproductiver und kostbarer Theil der Bevölkerung
an die Stelle der ungeheuren erwerbenden und producirenden Mehrzahl. Das
bedeutet ein theueres Regiment, welches mehr ausgiebt, als es einnimmt, ein über¬
müthiges und thatenlustiges Heer, das seine Bedeutung empfindet, und dessen
kriegerische Beschäftigung ein unvermeidliches Uebel wird, das bedeutet Kriegslust
und totalen Ruin der Finanzen, Belagerungszustände, exceptionelle Maßregeln und
Tyrannei der Beamten. Es gehört viel Vertrauen dazu, um von solchen Ver¬
hältnissen eine größere Sicherheit der Personen und des Eigenthums zu erwarten.
Die abenteuerliche Rücksichtslosigkeit der Arrestativnen und Fustlladen, die schlaue
Technik des Staatsstreichs, das ganze übermüthige, verzweifelte Auftreten drr Bouna-
partisten hat bereits in diesem Augenblick auch die Gleichgiltigeu in Frankreich er¬
schreckt und erbittert. Wie lange wird das eitelste Volk der Welt diese rücksichts¬
lose Demüthigung seines Selbstgefühls ertragen? von einem Manne ertragen, der
ihm noch gar keine Gelegenheit gegeben hat, zu bewundern und zu verzeihe»? Das
Heer selbst ist nicht dem Ruhe des jungen Herrn von Boulogne gefolgt, sondern dem


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[0434] Leben sehr verbittert und meinen Verdienst geschädigt hat, so werde ich mich der wiedergewonnenen Nuhe und der vermehrten Einnahmen von Herzen erfreuen dürfen, aber ich würde mit Recht für schlecht gehalten, wenn ich in meiner Freude mit dem Mörder sympathisiren oder den Dachziegel in Gold fassen wollte. Wenn also deutsche Tagesblätter von ihrem Parteistaudvuukie ans sich über die Wir¬ kungen des Staatsstreichs auf die deutschen Staaten freuete wollen, so bleibt ihnen dies ganz unbenommen, wenn sie aber deshalb die That selbst preisen, so handeln sie schlecht. — Der Staatsregierung liegt es natürlich uicht ob, ihre verdammende Ansicht über fremde Staatsoperationcn in Form eines officiellen Urtheils auszu¬ drücken, wenn ihr das Geschehene für den eigenen Staat vortheilhaft erscheint. Sie wird sich die nützlichen Folgen sichern, und das Urtheil über den Thäter der Zukunft und seinem eigenen Geschick überlassen. Aber noch mehr als die Presse wird sich eine Regierung von Selbstgefühl hüten, dnrch irgendwelche ausdrückliche Erklärung ihre Beistimmung zu einem solchen Streiche auszusprechen, und sie wird die von ihr abhängigen Zeitungen anhalrett, durch discrete Zurückhaltung eines Urtheils die Moralität der eigenen Staatsbürger sowol als die nothwen¬ digen politischen Cvnvenienzen zu achten. Mit Bedauern war in der letzten Woche zu bemerken, daß die ministeriellen Blätter Oestreichs und Preußens dieses An- standsgefühl nicht gehabt haben: sie haben die Gewaltthat Louis Bonaparte's für Recht, die gewaltthätig« Opposition dagegen aber für ein Verbrechen erklärt. Auffallend aber ist es, daß man in conservativen Kreisen den 2. December als einen Gewinn für Frankreich und Europa betrachten kann. Selbst in dem Fall, daß der neugewählte Präsident sich dnrch terroristische Maßregeln auf Jahre behaupten konnte, ist die Lage des Landes eine wahrhaft verzweifelte geworden. Die Legionen haben ihn erhoben und tragen ihn, das Heer ist an die Stelle des Volkes getreten, ein kleiner uuproductiver und kostbarer Theil der Bevölkerung an die Stelle der ungeheuren erwerbenden und producirenden Mehrzahl. Das bedeutet ein theueres Regiment, welches mehr ausgiebt, als es einnimmt, ein über¬ müthiges und thatenlustiges Heer, das seine Bedeutung empfindet, und dessen kriegerische Beschäftigung ein unvermeidliches Uebel wird, das bedeutet Kriegslust und totalen Ruin der Finanzen, Belagerungszustände, exceptionelle Maßregeln und Tyrannei der Beamten. Es gehört viel Vertrauen dazu, um von solchen Ver¬ hältnissen eine größere Sicherheit der Personen und des Eigenthums zu erwarten. Die abenteuerliche Rücksichtslosigkeit der Arrestativnen und Fustlladen, die schlaue Technik des Staatsstreichs, das ganze übermüthige, verzweifelte Auftreten drr Bouna- partisten hat bereits in diesem Augenblick auch die Gleichgiltigeu in Frankreich er¬ schreckt und erbittert. Wie lange wird das eitelste Volk der Welt diese rücksichts¬ lose Demüthigung seines Selbstgefühls ertragen? von einem Manne ertragen, der ihm noch gar keine Gelegenheit gegeben hat, zu bewundern und zu verzeihe»? Das Heer selbst ist nicht dem Ruhe des jungen Herrn von Boulogne gefolgt, sondern dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/434>, abgerufen am 23.07.2024.