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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Gesetz für ein Unglück Frankreichs. Er mußte ungesetzlich handeln zu seinem so-
wol als Frankreichs Wohl, und daß sein Privatinteresse in diesem Punkte mit
dem wahren Interesse seines Vaterlands zusammenfällt, das rechtfertigt den
Gewaltstreich. So ungefähr raisonniren seine Anhänger, und die Blätter, welche
dreist genug sind, die That selbst zu loben. Es soll hier nicht untersucht werden, ob
die Verfassung und ihr 68. Artikel gut oder schlecht, nützlich oder schädlich für
Frankreich waren, denn diese Frage würde nach dem Parteistandpnnkt sehr ver¬
schieden beantwortet werde". Aber selbst angenommen, daß die Verfassung
und ihr 68. Artikel ein Unglück für Frankreich waren, welches Recht, welchen
Schatten eines Rechts hat ein einzelner Franzose, ein Beamter der Nation,
durch eiuen Act der brutalsten Gewalt seine eigene Herrschaft und die Capricen
seiner Persönlichkeit willkürlich an die Stelle eines schlechten Gesetzes zu stellen?
Jede solche furchtbare Ueberhebung des Einzelnen, sei sie aus deu edelsten
Beweggründen und aus den Gefühl der größten menschlichen Kraft hervorgegangen,
muß in den Augen der Mitlebenden unter allen Umständen als ein -verhängniß-
volles Unrecht verurtheilt werden. Wol ist es dem Usurpator vielleicht möglich, wie
Jedem, der ein Unrecht begangen hat, dasselbe zu sühnen. Diese Sühne würde
darin liegen, daß er seinem Unrecht einen glänzenden, für das Land segensreichen
^folg zu geben weiß, daß er sich selbst und das Land gut und groß regiert.
Vermag er das dnrch Glück und Kraft, dann wird eine spätere Zeit in dem,
was ans die That folgte, seine relative Berechtigung zur That selbst erkennen,
"ud ihr wird es erlaubt sein, von ihrem weitern Gesichtsfeld ans seine Recht¬
fertigung zu schreibe", ja möglicher Weise in der verhängnisvollen Gewaltthat seine
Größe zu bewundern. Wir aber, die Mitlebenden, in dem Augenblick, wo wir
die That selbst erleben, haben gar kein Recht, dieselbe dnrch den Hinweis auf
ihre wahrscheinlichen Folgen zu beschönigen oder zu vertheidigen. Wir find nicht
allwissend und.allweise, und vermögen die Zukunft uicht zu durchdringen, wir haben
einfach und bescheiden die That darnach zu beurtheilen, wie sie sich zu den sitt¬
lichen Grundsätzen unsres gegenwärtigen Lebens verhält. Einen andern Maßstab
giebt es für das Gegenwärtige, Geschehende nicht, und alle sogenannten höheren
Standpunkte führen nur zur Sophisterei und Trugschlüssen. Die Tagespresse
vollends hat uicht die Aufgabe, im Interesse der Zukunft vom Standpunkt
späterer Generationen zu plaidiren, sondern vom Standpunkt der ehrlichen und
gewissenhaften Menschen, welche jetzt leben.

Aber der Staatsstreich ist wenigstens sür uns Deutsche nützlich. Er wird
die rothen Republikaner vernichten, er wird uns vor einem Kriege mit Frankreich
bewahren u. s. w. Wenn dies Alles in der That so fest stände, als es 'zweifel¬
est ist, so würden wir Deutsche allerdings das Recht haben, uns über die Fol¬
gen zu freuen, welche der Staatsstreich für uns hat. Wenn z. B. irgend ein
Dachziegel oder ein fremder Uebelthäter meinen Feind erschlägt, welcher mir das


Gesetz für ein Unglück Frankreichs. Er mußte ungesetzlich handeln zu seinem so-
wol als Frankreichs Wohl, und daß sein Privatinteresse in diesem Punkte mit
dem wahren Interesse seines Vaterlands zusammenfällt, das rechtfertigt den
Gewaltstreich. So ungefähr raisonniren seine Anhänger, und die Blätter, welche
dreist genug sind, die That selbst zu loben. Es soll hier nicht untersucht werden, ob
die Verfassung und ihr 68. Artikel gut oder schlecht, nützlich oder schädlich für
Frankreich waren, denn diese Frage würde nach dem Parteistandpnnkt sehr ver¬
schieden beantwortet werde». Aber selbst angenommen, daß die Verfassung
und ihr 68. Artikel ein Unglück für Frankreich waren, welches Recht, welchen
Schatten eines Rechts hat ein einzelner Franzose, ein Beamter der Nation,
durch eiuen Act der brutalsten Gewalt seine eigene Herrschaft und die Capricen
seiner Persönlichkeit willkürlich an die Stelle eines schlechten Gesetzes zu stellen?
Jede solche furchtbare Ueberhebung des Einzelnen, sei sie aus deu edelsten
Beweggründen und aus den Gefühl der größten menschlichen Kraft hervorgegangen,
muß in den Augen der Mitlebenden unter allen Umständen als ein -verhängniß-
volles Unrecht verurtheilt werden. Wol ist es dem Usurpator vielleicht möglich, wie
Jedem, der ein Unrecht begangen hat, dasselbe zu sühnen. Diese Sühne würde
darin liegen, daß er seinem Unrecht einen glänzenden, für das Land segensreichen
^folg zu geben weiß, daß er sich selbst und das Land gut und groß regiert.
Vermag er das dnrch Glück und Kraft, dann wird eine spätere Zeit in dem,
was ans die That folgte, seine relative Berechtigung zur That selbst erkennen,
«ud ihr wird es erlaubt sein, von ihrem weitern Gesichtsfeld ans seine Recht¬
fertigung zu schreibe», ja möglicher Weise in der verhängnisvollen Gewaltthat seine
Größe zu bewundern. Wir aber, die Mitlebenden, in dem Augenblick, wo wir
die That selbst erleben, haben gar kein Recht, dieselbe dnrch den Hinweis auf
ihre wahrscheinlichen Folgen zu beschönigen oder zu vertheidigen. Wir find nicht
allwissend und.allweise, und vermögen die Zukunft uicht zu durchdringen, wir haben
einfach und bescheiden die That darnach zu beurtheilen, wie sie sich zu den sitt¬
lichen Grundsätzen unsres gegenwärtigen Lebens verhält. Einen andern Maßstab
giebt es für das Gegenwärtige, Geschehende nicht, und alle sogenannten höheren
Standpunkte führen nur zur Sophisterei und Trugschlüssen. Die Tagespresse
vollends hat uicht die Aufgabe, im Interesse der Zukunft vom Standpunkt
späterer Generationen zu plaidiren, sondern vom Standpunkt der ehrlichen und
gewissenhaften Menschen, welche jetzt leben.

Aber der Staatsstreich ist wenigstens sür uns Deutsche nützlich. Er wird
die rothen Republikaner vernichten, er wird uns vor einem Kriege mit Frankreich
bewahren u. s. w. Wenn dies Alles in der That so fest stände, als es 'zweifel¬
est ist, so würden wir Deutsche allerdings das Recht haben, uns über die Fol¬
gen zu freuen, welche der Staatsstreich für uns hat. Wenn z. B. irgend ein
Dachziegel oder ein fremder Uebelthäter meinen Feind erschlägt, welcher mir das


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[0433] Gesetz für ein Unglück Frankreichs. Er mußte ungesetzlich handeln zu seinem so- wol als Frankreichs Wohl, und daß sein Privatinteresse in diesem Punkte mit dem wahren Interesse seines Vaterlands zusammenfällt, das rechtfertigt den Gewaltstreich. So ungefähr raisonniren seine Anhänger, und die Blätter, welche dreist genug sind, die That selbst zu loben. Es soll hier nicht untersucht werden, ob die Verfassung und ihr 68. Artikel gut oder schlecht, nützlich oder schädlich für Frankreich waren, denn diese Frage würde nach dem Parteistandpnnkt sehr ver¬ schieden beantwortet werde». Aber selbst angenommen, daß die Verfassung und ihr 68. Artikel ein Unglück für Frankreich waren, welches Recht, welchen Schatten eines Rechts hat ein einzelner Franzose, ein Beamter der Nation, durch eiuen Act der brutalsten Gewalt seine eigene Herrschaft und die Capricen seiner Persönlichkeit willkürlich an die Stelle eines schlechten Gesetzes zu stellen? Jede solche furchtbare Ueberhebung des Einzelnen, sei sie aus deu edelsten Beweggründen und aus den Gefühl der größten menschlichen Kraft hervorgegangen, muß in den Augen der Mitlebenden unter allen Umständen als ein -verhängniß- volles Unrecht verurtheilt werden. Wol ist es dem Usurpator vielleicht möglich, wie Jedem, der ein Unrecht begangen hat, dasselbe zu sühnen. Diese Sühne würde darin liegen, daß er seinem Unrecht einen glänzenden, für das Land segensreichen ^folg zu geben weiß, daß er sich selbst und das Land gut und groß regiert. Vermag er das dnrch Glück und Kraft, dann wird eine spätere Zeit in dem, was ans die That folgte, seine relative Berechtigung zur That selbst erkennen, «ud ihr wird es erlaubt sein, von ihrem weitern Gesichtsfeld ans seine Recht¬ fertigung zu schreibe», ja möglicher Weise in der verhängnisvollen Gewaltthat seine Größe zu bewundern. Wir aber, die Mitlebenden, in dem Augenblick, wo wir die That selbst erleben, haben gar kein Recht, dieselbe dnrch den Hinweis auf ihre wahrscheinlichen Folgen zu beschönigen oder zu vertheidigen. Wir find nicht allwissend und.allweise, und vermögen die Zukunft uicht zu durchdringen, wir haben einfach und bescheiden die That darnach zu beurtheilen, wie sie sich zu den sitt¬ lichen Grundsätzen unsres gegenwärtigen Lebens verhält. Einen andern Maßstab giebt es für das Gegenwärtige, Geschehende nicht, und alle sogenannten höheren Standpunkte führen nur zur Sophisterei und Trugschlüssen. Die Tagespresse vollends hat uicht die Aufgabe, im Interesse der Zukunft vom Standpunkt späterer Generationen zu plaidiren, sondern vom Standpunkt der ehrlichen und gewissenhaften Menschen, welche jetzt leben. Aber der Staatsstreich ist wenigstens sür uns Deutsche nützlich. Er wird die rothen Republikaner vernichten, er wird uns vor einem Kriege mit Frankreich bewahren u. s. w. Wenn dies Alles in der That so fest stände, als es 'zweifel¬ est ist, so würden wir Deutsche allerdings das Recht haben, uns über die Fol¬ gen zu freuen, welche der Staatsstreich für uns hat. Wenn z. B. irgend ein Dachziegel oder ein fremder Uebelthäter meinen Feind erschlägt, welcher mir das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/433>, abgerufen am 23.07.2024.