Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Neberblicks über die AbstimnumgSverhältnisse oftmals überrascht. Graf Hegnen-
berg-Dur, ist in seiner Art und Weise jedenfalls ein eben so ausgezeichneter Prä¬
sident, als Heinrich Gagern mit viel imponirenderen Mitteln, als Graf Schwerin
unter mannichfach günstigeren Verhältnissen es waren. Die Energie verläßt ihn
nie, die scharfe Aufmerksamkeit selten. Und namentlich in letzterer Beziehung, in
jeuer gewissermaßen stachelnden Anregung, wie sie ohne Eingriff in die Debatte
durch blos formelle Geschicklichkeit in der Präsidialführung stattfinden kann --
namentlich in dieser Beziehung steht der zweite Präsident, Dr. Ludwig Weiß,
weit hinter jenem zurück. Allerdings ist der Mangel an aufmerksamer Verfolgung
des Gesprochenen bei ihm nur scheinbar. Dies beweist seine Zusammenfassung
der Debatte, welche vielleicht noch conciser, als jene des Grafen ist. Allein während
dieser unwillkürlich immer vorwärts tritt, damit keine Secunde verschleudert werde,
läßt Herr Weiß die Kombattanten mit einer bis zur Indifferenz gesteigerten Ge¬
duld ihre Streitrvsse in allen Richtungen der Windrose umhertummeln. Dies
aber ist es vor Allem, was der zweiten Kammer Bayerns fehlt: das genaue Be¬
harren bei dem Fragpunkte. Geschah es doch selbst unter Hegnenberg's Leitung,
daß halbe Tage an unfruchtbare Nebenfragen vergeudet wurden, und schließlich
dennoch ohne alles Resultat. Wie viel mehr, wenn Niemand den irrlichtcrirende"
Gedankengang zu stätigen Schritte nöthigt, wenn Niemand die häufige Unklar¬
heit zwingt, sich schweigend ihrer Existenz zu schämen. Wallerstein-Döllinger'sche,
Lassaulx-Tafel'sche, Lerchenfeld-Morgensterissche Wvrtdnelle über reine Persönlich¬
keiten werden sich allerdings wol niemals gänzlich vermeiden lassen; doch aber ein
völliges Auseinandergehen der Verhandlung. Und dies Vermögen übt Graf
Hegneuberg mit außerordentlichem Takte.

Der Mühe werth wäre es wol, auch auf die Galerien noch einen Blick Z"
werfen. Nicht auf jene, zu denen eine einfache Karte den Zutritt öffnet; denn
sie sind eben wie überall, etwa davon abgesehen, daß Gras Hegueuberg ihr schweig¬
sames Zuhören bereits zu einer Zeit erzwang, wo heute sehr reactionaire Leute
seine pedantische Handhabung der OrdnuugSpvlizci wie einen Eingriff in die
Rechte des souverainen Volkes tadelten natürlich nur privatim, hinter dem
Bierkruge. Weit interessanter wären dagegen die reservirten, meistens leeren, u"r
bei außerordentlichen Gelegenheiten besetzten Logen des Neichsrathes^ Hofes und
der Diplomatie. Indessen die polizeilichen Auslegungen des Preßgesetzeö, die
GcgenseitigkeitSverträge zwistheil Bayern und Sachsen gerade über die erhabenste"
Paragraphen haben uns schweige" gelehrt. Man kann in wichtigen Dingen eine
Confiscation und einen Preßprvceß vor geheimem Gerichtshöfe wagen, in minder
wichtigen wär's blanke Renommisterei. Und unwichtig sind die Mienen, das Ge¬
flüster, die Bewegungen dort oben, ob auch die Gegenwart sie wieder zu Ereig-
nissen erheben möchte. Beinahe so unwichtig sind sie, als ihnen dies "inferieure


Neberblicks über die AbstimnumgSverhältnisse oftmals überrascht. Graf Hegnen-
berg-Dur, ist in seiner Art und Weise jedenfalls ein eben so ausgezeichneter Prä¬
sident, als Heinrich Gagern mit viel imponirenderen Mitteln, als Graf Schwerin
unter mannichfach günstigeren Verhältnissen es waren. Die Energie verläßt ihn
nie, die scharfe Aufmerksamkeit selten. Und namentlich in letzterer Beziehung, in
jeuer gewissermaßen stachelnden Anregung, wie sie ohne Eingriff in die Debatte
durch blos formelle Geschicklichkeit in der Präsidialführung stattfinden kann —
namentlich in dieser Beziehung steht der zweite Präsident, Dr. Ludwig Weiß,
weit hinter jenem zurück. Allerdings ist der Mangel an aufmerksamer Verfolgung
des Gesprochenen bei ihm nur scheinbar. Dies beweist seine Zusammenfassung
der Debatte, welche vielleicht noch conciser, als jene des Grafen ist. Allein während
dieser unwillkürlich immer vorwärts tritt, damit keine Secunde verschleudert werde,
läßt Herr Weiß die Kombattanten mit einer bis zur Indifferenz gesteigerten Ge¬
duld ihre Streitrvsse in allen Richtungen der Windrose umhertummeln. Dies
aber ist es vor Allem, was der zweiten Kammer Bayerns fehlt: das genaue Be¬
harren bei dem Fragpunkte. Geschah es doch selbst unter Hegnenberg's Leitung,
daß halbe Tage an unfruchtbare Nebenfragen vergeudet wurden, und schließlich
dennoch ohne alles Resultat. Wie viel mehr, wenn Niemand den irrlichtcrirende»
Gedankengang zu stätigen Schritte nöthigt, wenn Niemand die häufige Unklar¬
heit zwingt, sich schweigend ihrer Existenz zu schämen. Wallerstein-Döllinger'sche,
Lassaulx-Tafel'sche, Lerchenfeld-Morgensterissche Wvrtdnelle über reine Persönlich¬
keiten werden sich allerdings wol niemals gänzlich vermeiden lassen; doch aber ein
völliges Auseinandergehen der Verhandlung. Und dies Vermögen übt Graf
Hegneuberg mit außerordentlichem Takte.

Der Mühe werth wäre es wol, auch auf die Galerien noch einen Blick Z»
werfen. Nicht auf jene, zu denen eine einfache Karte den Zutritt öffnet; denn
sie sind eben wie überall, etwa davon abgesehen, daß Gras Hegueuberg ihr schweig¬
sames Zuhören bereits zu einer Zeit erzwang, wo heute sehr reactionaire Leute
seine pedantische Handhabung der OrdnuugSpvlizci wie einen Eingriff in die
Rechte des souverainen Volkes tadelten natürlich nur privatim, hinter dem
Bierkruge. Weit interessanter wären dagegen die reservirten, meistens leeren, u»r
bei außerordentlichen Gelegenheiten besetzten Logen des Neichsrathes^ Hofes und
der Diplomatie. Indessen die polizeilichen Auslegungen des Preßgesetzeö, die
GcgenseitigkeitSverträge zwistheil Bayern und Sachsen gerade über die erhabenste»
Paragraphen haben uns schweige» gelehrt. Man kann in wichtigen Dingen eine
Confiscation und einen Preßprvceß vor geheimem Gerichtshöfe wagen, in minder
wichtigen wär's blanke Renommisterei. Und unwichtig sind die Mienen, das Ge¬
flüster, die Bewegungen dort oben, ob auch die Gegenwart sie wieder zu Ereig-
nissen erheben möchte. Beinahe so unwichtig sind sie, als ihnen dies „inferieure


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0386" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281003"/>
          <p xml:id="ID_1122" prev="#ID_1121"> Neberblicks über die AbstimnumgSverhältnisse oftmals überrascht. Graf Hegnen-<lb/>
berg-Dur, ist in seiner Art und Weise jedenfalls ein eben so ausgezeichneter Prä¬<lb/>
sident, als Heinrich Gagern mit viel imponirenderen Mitteln, als Graf Schwerin<lb/>
unter mannichfach günstigeren Verhältnissen es waren. Die Energie verläßt ihn<lb/>
nie, die scharfe Aufmerksamkeit selten. Und namentlich in letzterer Beziehung, in<lb/>
jeuer gewissermaßen stachelnden Anregung, wie sie ohne Eingriff in die Debatte<lb/>
durch blos formelle Geschicklichkeit in der Präsidialführung stattfinden kann &#x2014;<lb/>
namentlich in dieser Beziehung steht der zweite Präsident, Dr. Ludwig Weiß,<lb/>
weit hinter jenem zurück. Allerdings ist der Mangel an aufmerksamer Verfolgung<lb/>
des Gesprochenen bei ihm nur scheinbar. Dies beweist seine Zusammenfassung<lb/>
der Debatte, welche vielleicht noch conciser, als jene des Grafen ist. Allein während<lb/>
dieser unwillkürlich immer vorwärts tritt, damit keine Secunde verschleudert werde,<lb/>
läßt Herr Weiß die Kombattanten mit einer bis zur Indifferenz gesteigerten Ge¬<lb/>
duld ihre Streitrvsse in allen Richtungen der Windrose umhertummeln. Dies<lb/>
aber ist es vor Allem, was der zweiten Kammer Bayerns fehlt: das genaue Be¬<lb/>
harren bei dem Fragpunkte. Geschah es doch selbst unter Hegnenberg's Leitung,<lb/>
daß halbe Tage an unfruchtbare Nebenfragen vergeudet wurden, und schließlich<lb/>
dennoch ohne alles Resultat. Wie viel mehr, wenn Niemand den irrlichtcrirende»<lb/>
Gedankengang zu stätigen Schritte nöthigt, wenn Niemand die häufige Unklar¬<lb/>
heit zwingt, sich schweigend ihrer Existenz zu schämen. Wallerstein-Döllinger'sche,<lb/>
Lassaulx-Tafel'sche, Lerchenfeld-Morgensterissche Wvrtdnelle über reine Persönlich¬<lb/>
keiten werden sich allerdings wol niemals gänzlich vermeiden lassen; doch aber ein<lb/>
völliges Auseinandergehen der Verhandlung. Und dies Vermögen übt Graf<lb/>
Hegneuberg mit außerordentlichem Takte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1123" next="#ID_1124"> Der Mühe werth wäre es wol, auch auf die Galerien noch einen Blick Z»<lb/>
werfen. Nicht auf jene, zu denen eine einfache Karte den Zutritt öffnet; denn<lb/>
sie sind eben wie überall, etwa davon abgesehen, daß Gras Hegueuberg ihr schweig¬<lb/>
sames Zuhören bereits zu einer Zeit erzwang, wo heute sehr reactionaire Leute<lb/>
seine pedantische Handhabung der OrdnuugSpvlizci wie einen Eingriff in die<lb/>
Rechte des souverainen Volkes tadelten natürlich nur privatim, hinter dem<lb/>
Bierkruge. Weit interessanter wären dagegen die reservirten, meistens leeren, u»r<lb/>
bei außerordentlichen Gelegenheiten besetzten Logen des Neichsrathes^ Hofes und<lb/>
der Diplomatie. Indessen die polizeilichen Auslegungen des Preßgesetzeö, die<lb/>
GcgenseitigkeitSverträge zwistheil Bayern und Sachsen gerade über die erhabenste»<lb/>
Paragraphen haben uns schweige» gelehrt. Man kann in wichtigen Dingen eine<lb/>
Confiscation und einen Preßprvceß vor geheimem Gerichtshöfe wagen, in minder<lb/>
wichtigen wär's blanke Renommisterei. Und unwichtig sind die Mienen, das Ge¬<lb/>
flüster, die Bewegungen dort oben, ob auch die Gegenwart sie wieder zu Ereig-<lb/>
nissen erheben möchte.  Beinahe so unwichtig sind sie, als ihnen dies &#x201E;inferieure</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0386] Neberblicks über die AbstimnumgSverhältnisse oftmals überrascht. Graf Hegnen- berg-Dur, ist in seiner Art und Weise jedenfalls ein eben so ausgezeichneter Prä¬ sident, als Heinrich Gagern mit viel imponirenderen Mitteln, als Graf Schwerin unter mannichfach günstigeren Verhältnissen es waren. Die Energie verläßt ihn nie, die scharfe Aufmerksamkeit selten. Und namentlich in letzterer Beziehung, in jeuer gewissermaßen stachelnden Anregung, wie sie ohne Eingriff in die Debatte durch blos formelle Geschicklichkeit in der Präsidialführung stattfinden kann — namentlich in dieser Beziehung steht der zweite Präsident, Dr. Ludwig Weiß, weit hinter jenem zurück. Allerdings ist der Mangel an aufmerksamer Verfolgung des Gesprochenen bei ihm nur scheinbar. Dies beweist seine Zusammenfassung der Debatte, welche vielleicht noch conciser, als jene des Grafen ist. Allein während dieser unwillkürlich immer vorwärts tritt, damit keine Secunde verschleudert werde, läßt Herr Weiß die Kombattanten mit einer bis zur Indifferenz gesteigerten Ge¬ duld ihre Streitrvsse in allen Richtungen der Windrose umhertummeln. Dies aber ist es vor Allem, was der zweiten Kammer Bayerns fehlt: das genaue Be¬ harren bei dem Fragpunkte. Geschah es doch selbst unter Hegnenberg's Leitung, daß halbe Tage an unfruchtbare Nebenfragen vergeudet wurden, und schließlich dennoch ohne alles Resultat. Wie viel mehr, wenn Niemand den irrlichtcrirende» Gedankengang zu stätigen Schritte nöthigt, wenn Niemand die häufige Unklar¬ heit zwingt, sich schweigend ihrer Existenz zu schämen. Wallerstein-Döllinger'sche, Lassaulx-Tafel'sche, Lerchenfeld-Morgensterissche Wvrtdnelle über reine Persönlich¬ keiten werden sich allerdings wol niemals gänzlich vermeiden lassen; doch aber ein völliges Auseinandergehen der Verhandlung. Und dies Vermögen übt Graf Hegneuberg mit außerordentlichem Takte. Der Mühe werth wäre es wol, auch auf die Galerien noch einen Blick Z» werfen. Nicht auf jene, zu denen eine einfache Karte den Zutritt öffnet; denn sie sind eben wie überall, etwa davon abgesehen, daß Gras Hegueuberg ihr schweig¬ sames Zuhören bereits zu einer Zeit erzwang, wo heute sehr reactionaire Leute seine pedantische Handhabung der OrdnuugSpvlizci wie einen Eingriff in die Rechte des souverainen Volkes tadelten natürlich nur privatim, hinter dem Bierkruge. Weit interessanter wären dagegen die reservirten, meistens leeren, u»r bei außerordentlichen Gelegenheiten besetzten Logen des Neichsrathes^ Hofes und der Diplomatie. Indessen die polizeilichen Auslegungen des Preßgesetzeö, die GcgenseitigkeitSverträge zwistheil Bayern und Sachsen gerade über die erhabenste» Paragraphen haben uns schweige» gelehrt. Man kann in wichtigen Dingen eine Confiscation und einen Preßprvceß vor geheimem Gerichtshöfe wagen, in minder wichtigen wär's blanke Renommisterei. Und unwichtig sind die Mienen, das Ge¬ flüster, die Bewegungen dort oben, ob auch die Gegenwart sie wieder zu Ereig- nissen erheben möchte. Beinahe so unwichtig sind sie, als ihnen dies „inferieure

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/386
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/386>, abgerufen am 23.07.2024.