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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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geschürt, daß gar von Absetzung, und als man sich von deren Unmöglichkeit überzeugte,
doch mindestens von einem durch eine circulirende Adresse zu erwirkenden, consistorialen
Verweise die Rede war, obwol man sonst im Thale jedwede Berührung mit dem Kon¬
sistorium als mit der Würde der Presbyterialversassung ganz unverträglich er¬
achtet. Die locale Presse bemächtigte sich gereimt und ungereimt des Gegen¬
standes, es drohte eine gesellschaftliche Spaltung, die ganze Leidenschaftlichkeit
der getrennten Bekenntnißverwandten wurde erregt, und der Anfangs dem Bor-
urtheil zu trotzen geneigte Pastor war am Ende ganz froh, eine passende Ge¬
legenheit zu finden, sich mit einigem Anstande aus der Affaire zu ziehen.

Die zahlreichste Gemeinde dürste die lutherische sein, wie auch erst neuerdings
hat dem Bedürfniß einer zweiten Kirche für dieselbe genügt werden müssen.
So ist auch ihre Geistlichkeit die zahlreichste, und bietet den Gemeindegliedern
Gelegenheit, je nach Neigung und Abneigung ihren speciellen Tröster sich zu
wählen. Der meisten Anhänger erfreut sich ein gutmüthiger, runder Herr, dessen
Rede oft warm und etwas polternd, dessen Praxis aber mild ist. Man möchte
glauben, er sei verdrüßlich, daß die Welt so schlecht nicht sei, als er sie gern
hätte, um Raum für seinen Eiser zu gewinnen -- im Grnnde ist das aber nicht
so schlimm gemeint, und wie man zu Zeiten ein derbes Wort liebt, so liebt die
Gemeinde auch insonders diesen ihren "Seelenpauker". Wer sich zu den Geist¬
reicheren zählt, hält es mehr mit dem langen, hagern Herrn, dessen Gesichtszüge,
trotz des gebleichten Haares, noch die unverkennbaren Spuren männlicher Schön¬
heit an sich tragen. -- Die poetischen Gemüther des-Thales sprechen von einem
"Johanniskopfe". Auch er gehört zu den Erleuchteten, die sich wol selbst beson¬
derer Offenbarungen rühmen. So machte wenigstens vor noch kaum Jahr und
Tag ein Histörchen die Runde, das nicht ohne gewisse ehrfurchtsvolle Scheu
weiter erzählt wurde. Der Johannes kann eine Nacht nicht schlafen; es dünkt
ihm, Jemand müsse nach seinem Troste verlangen; erstehtauf, kleidet sich an und
verläßt das Haus mit dem Entschluß, wo durch die Straßen wandelnd ihm ein
Licht auffallen sollte, dort einzusprechen. Da erblickt er ein Licht, düster bren¬
nend auf einem Speicherzimmer. Er schellt, man thut ihm auf; er fragt, ob
wer krank sei im Hause, ob wer sonst, ans welchem Grunde immer, seines Zu¬
spruchs bedürftig? -- Nein! -- Aber dort oben im vierten Stock? -- Es se>
das Schlafgemach des Dienstmädchens; sie müsse längst zur Nuhe sein! Nun,
es treibe ihn, so solle man ihn hinausbegleiten. Man willfahrt dem geistliche"
Herrn und -- findet das Mädchen, eine Waise, in einem Anfall von Schwer¬
mut!) ersangen. Da es uicht längst geschehen, gelingen die Wiederbelebungs¬
versuche, und eine kleine Aureole strahlt um des "Johannes" Haupt. So etwas
wirkt, und man versteht's auch, es zu nützen.

Jenem schwärzlichen Herrn aus der Hölle, welcher die unpassende Gewohnheit
hat, als brüllender Löwe umherzuschweifen, soll es nicht selten gelingen, aus einem


geschürt, daß gar von Absetzung, und als man sich von deren Unmöglichkeit überzeugte,
doch mindestens von einem durch eine circulirende Adresse zu erwirkenden, consistorialen
Verweise die Rede war, obwol man sonst im Thale jedwede Berührung mit dem Kon¬
sistorium als mit der Würde der Presbyterialversassung ganz unverträglich er¬
achtet. Die locale Presse bemächtigte sich gereimt und ungereimt des Gegen¬
standes, es drohte eine gesellschaftliche Spaltung, die ganze Leidenschaftlichkeit
der getrennten Bekenntnißverwandten wurde erregt, und der Anfangs dem Bor-
urtheil zu trotzen geneigte Pastor war am Ende ganz froh, eine passende Ge¬
legenheit zu finden, sich mit einigem Anstande aus der Affaire zu ziehen.

Die zahlreichste Gemeinde dürste die lutherische sein, wie auch erst neuerdings
hat dem Bedürfniß einer zweiten Kirche für dieselbe genügt werden müssen.
So ist auch ihre Geistlichkeit die zahlreichste, und bietet den Gemeindegliedern
Gelegenheit, je nach Neigung und Abneigung ihren speciellen Tröster sich zu
wählen. Der meisten Anhänger erfreut sich ein gutmüthiger, runder Herr, dessen
Rede oft warm und etwas polternd, dessen Praxis aber mild ist. Man möchte
glauben, er sei verdrüßlich, daß die Welt so schlecht nicht sei, als er sie gern
hätte, um Raum für seinen Eiser zu gewinnen — im Grnnde ist das aber nicht
so schlimm gemeint, und wie man zu Zeiten ein derbes Wort liebt, so liebt die
Gemeinde auch insonders diesen ihren „Seelenpauker". Wer sich zu den Geist¬
reicheren zählt, hält es mehr mit dem langen, hagern Herrn, dessen Gesichtszüge,
trotz des gebleichten Haares, noch die unverkennbaren Spuren männlicher Schön¬
heit an sich tragen. — Die poetischen Gemüther des-Thales sprechen von einem
„Johanniskopfe". Auch er gehört zu den Erleuchteten, die sich wol selbst beson¬
derer Offenbarungen rühmen. So machte wenigstens vor noch kaum Jahr und
Tag ein Histörchen die Runde, das nicht ohne gewisse ehrfurchtsvolle Scheu
weiter erzählt wurde. Der Johannes kann eine Nacht nicht schlafen; es dünkt
ihm, Jemand müsse nach seinem Troste verlangen; erstehtauf, kleidet sich an und
verläßt das Haus mit dem Entschluß, wo durch die Straßen wandelnd ihm ein
Licht auffallen sollte, dort einzusprechen. Da erblickt er ein Licht, düster bren¬
nend auf einem Speicherzimmer. Er schellt, man thut ihm auf; er fragt, ob
wer krank sei im Hause, ob wer sonst, ans welchem Grunde immer, seines Zu¬
spruchs bedürftig? — Nein! — Aber dort oben im vierten Stock? — Es se>
das Schlafgemach des Dienstmädchens; sie müsse längst zur Nuhe sein! Nun,
es treibe ihn, so solle man ihn hinausbegleiten. Man willfahrt dem geistliche»
Herrn und — findet das Mädchen, eine Waise, in einem Anfall von Schwer¬
mut!) ersangen. Da es uicht längst geschehen, gelingen die Wiederbelebungs¬
versuche, und eine kleine Aureole strahlt um des „Johannes" Haupt. So etwas
wirkt, und man versteht's auch, es zu nützen.

Jenem schwärzlichen Herrn aus der Hölle, welcher die unpassende Gewohnheit
hat, als brüllender Löwe umherzuschweifen, soll es nicht selten gelingen, aus einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/372>, abgerufen am 23.07.2024.