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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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und zwar muß das in allen drei Scenen geschehen, denn anch die erste Scene
beim Aufgehen des Vorhangs darf nicht ausgelassen werden, weil sie uns die
Existenz und das Eingreifen der übersinnlichen Welt in die Handlung des Stücks
andeutet, durch das wir sonst später zu sehr überrascht würden. Die Natur dieser
kurzen Scene zeigt aber bereits deutlich, daß wir es eigentlich mit einem Operneffect
zu thun haben. Daß übrigens die drei Orakelworte in der Hexenküche nicht von
Kindern in dem schülerhaften Declamirton gesprochen werden dürfen, an den man
bei unsren Kotzebue'schen Kindcrscenen gewöhnt ist, sondern von einer mächtigen
Stimme hinter der Scene, die nach Macbeth's Ausdruck im Stande ist, drei
Ohren zu erfüllen, versteht sich so von selbst, daß es uur noch dem Leipziger Theater
gesagt werdeu darf.

Wenn wir die Anwendung der Musik im Macbeth empfehlen, fo darf das
nur als eine Ausnahme gelten, die zu Gunsten der Aufführung eines einmal
vorhandenen Stücks stattfindet. Daß wir im Allgemeinen die Anwendung der
Mittel einer fremden Kunst entschieden mißbilligen, haben wir schon mehrfach aus¬
gesprochen. Das Drama wie die Poesie überhaupt soll nur durch das Medium
des Begriffs auf das Gemüth wirken, die Musik dagegen wirkt unmittelbar ans
die Sinne. Wenn man die letztere also nöthig hat, um ans die Stimmung den¬
jenigen Eindruck auszuüben, den man beabsichtigt, so ist das ein Zeichen, daß
die dramatische Kraft nicht ausreicht.

Das beziehen wir aber nicht auf die Aufführung des S vmmeruachtstrau-
mes, die uns gleichfalls das Leipziger Theater gegeben hat. Der Sommernachts¬
traum ist ein Polterabendscherz, der nicht eine dramatische Handlung enthält, son¬
dern eine Reihe komischer Situationen, die vorzugsweise durch den Contrast der
luftigen Elfen einerseits, der Liebenden und Tölpel andererseits herbeigeführt wer¬
deu. Dieser Contrast wird durch die reizende Mendelssohn'sche Musik, die genau
in die Stellen eingeflochten ist, wo sie hingehört, nur noch erhöht. Ueberhaupt
finde ich das Tiecksche Arrangement dieses Stücks sehr verständig, und kann der
abweichenden Meinung von Gewinns nicht beitreten. Die mittleren drei Acte,
von Tieck mit einer idealisirten Anwendung des Shakspeare'schen Bretergernstes
in eine einzelne Handlung zusammengezogen, machen einen sehr heitern Eindruck,
und zu diesem Eindruck ist die anmuthige Decoration, die lustigen Costume der
im Waldesgrün herumlaufenden Elfen wesentlich. Wenn mau die Elfen ebenfalls
als Tölpel darstellen wollte, so würde der Kontrast gegen die athenischen Spie߬
bürger wegfallen, und dieser Contrast ist vou Shakspeare selbst beabsichtigt, wie
es die Scene mit Titauia und die lyrische" Stellen hinläuglich zeigen. Es wi¬
derspricht zwar unsren gewöhnlichen Vorstellungen von Puck, sich diesen täppischen
Gesellen als ein hübsches Weib in rothem Florkleide vorzustellen, aber einerseits
sind wir schon ans Weber's Oberon daran gewöhnt, andererseits ist eine Schau¬
spielerin besser geeignet, diese stofflose, lustige Heiterkeit auszudrücken, als el"


und zwar muß das in allen drei Scenen geschehen, denn anch die erste Scene
beim Aufgehen des Vorhangs darf nicht ausgelassen werden, weil sie uns die
Existenz und das Eingreifen der übersinnlichen Welt in die Handlung des Stücks
andeutet, durch das wir sonst später zu sehr überrascht würden. Die Natur dieser
kurzen Scene zeigt aber bereits deutlich, daß wir es eigentlich mit einem Operneffect
zu thun haben. Daß übrigens die drei Orakelworte in der Hexenküche nicht von
Kindern in dem schülerhaften Declamirton gesprochen werden dürfen, an den man
bei unsren Kotzebue'schen Kindcrscenen gewöhnt ist, sondern von einer mächtigen
Stimme hinter der Scene, die nach Macbeth's Ausdruck im Stande ist, drei
Ohren zu erfüllen, versteht sich so von selbst, daß es uur noch dem Leipziger Theater
gesagt werdeu darf.

Wenn wir die Anwendung der Musik im Macbeth empfehlen, fo darf das
nur als eine Ausnahme gelten, die zu Gunsten der Aufführung eines einmal
vorhandenen Stücks stattfindet. Daß wir im Allgemeinen die Anwendung der
Mittel einer fremden Kunst entschieden mißbilligen, haben wir schon mehrfach aus¬
gesprochen. Das Drama wie die Poesie überhaupt soll nur durch das Medium
des Begriffs auf das Gemüth wirken, die Musik dagegen wirkt unmittelbar ans
die Sinne. Wenn man die letztere also nöthig hat, um ans die Stimmung den¬
jenigen Eindruck auszuüben, den man beabsichtigt, so ist das ein Zeichen, daß
die dramatische Kraft nicht ausreicht.

Das beziehen wir aber nicht auf die Aufführung des S vmmeruachtstrau-
mes, die uns gleichfalls das Leipziger Theater gegeben hat. Der Sommernachts¬
traum ist ein Polterabendscherz, der nicht eine dramatische Handlung enthält, son¬
dern eine Reihe komischer Situationen, die vorzugsweise durch den Contrast der
luftigen Elfen einerseits, der Liebenden und Tölpel andererseits herbeigeführt wer¬
deu. Dieser Contrast wird durch die reizende Mendelssohn'sche Musik, die genau
in die Stellen eingeflochten ist, wo sie hingehört, nur noch erhöht. Ueberhaupt
finde ich das Tiecksche Arrangement dieses Stücks sehr verständig, und kann der
abweichenden Meinung von Gewinns nicht beitreten. Die mittleren drei Acte,
von Tieck mit einer idealisirten Anwendung des Shakspeare'schen Bretergernstes
in eine einzelne Handlung zusammengezogen, machen einen sehr heitern Eindruck,
und zu diesem Eindruck ist die anmuthige Decoration, die lustigen Costume der
im Waldesgrün herumlaufenden Elfen wesentlich. Wenn mau die Elfen ebenfalls
als Tölpel darstellen wollte, so würde der Kontrast gegen die athenischen Spie߬
bürger wegfallen, und dieser Contrast ist vou Shakspeare selbst beabsichtigt, wie
es die Scene mit Titauia und die lyrische» Stellen hinläuglich zeigen. Es wi¬
derspricht zwar unsren gewöhnlichen Vorstellungen von Puck, sich diesen täppischen
Gesellen als ein hübsches Weib in rothem Florkleide vorzustellen, aber einerseits
sind wir schon ans Weber's Oberon daran gewöhnt, andererseits ist eine Schau¬
spielerin besser geeignet, diese stofflose, lustige Heiterkeit auszudrücken, als el»


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[0348] und zwar muß das in allen drei Scenen geschehen, denn anch die erste Scene beim Aufgehen des Vorhangs darf nicht ausgelassen werden, weil sie uns die Existenz und das Eingreifen der übersinnlichen Welt in die Handlung des Stücks andeutet, durch das wir sonst später zu sehr überrascht würden. Die Natur dieser kurzen Scene zeigt aber bereits deutlich, daß wir es eigentlich mit einem Operneffect zu thun haben. Daß übrigens die drei Orakelworte in der Hexenküche nicht von Kindern in dem schülerhaften Declamirton gesprochen werden dürfen, an den man bei unsren Kotzebue'schen Kindcrscenen gewöhnt ist, sondern von einer mächtigen Stimme hinter der Scene, die nach Macbeth's Ausdruck im Stande ist, drei Ohren zu erfüllen, versteht sich so von selbst, daß es uur noch dem Leipziger Theater gesagt werdeu darf. Wenn wir die Anwendung der Musik im Macbeth empfehlen, fo darf das nur als eine Ausnahme gelten, die zu Gunsten der Aufführung eines einmal vorhandenen Stücks stattfindet. Daß wir im Allgemeinen die Anwendung der Mittel einer fremden Kunst entschieden mißbilligen, haben wir schon mehrfach aus¬ gesprochen. Das Drama wie die Poesie überhaupt soll nur durch das Medium des Begriffs auf das Gemüth wirken, die Musik dagegen wirkt unmittelbar ans die Sinne. Wenn man die letztere also nöthig hat, um ans die Stimmung den¬ jenigen Eindruck auszuüben, den man beabsichtigt, so ist das ein Zeichen, daß die dramatische Kraft nicht ausreicht. Das beziehen wir aber nicht auf die Aufführung des S vmmeruachtstrau- mes, die uns gleichfalls das Leipziger Theater gegeben hat. Der Sommernachts¬ traum ist ein Polterabendscherz, der nicht eine dramatische Handlung enthält, son¬ dern eine Reihe komischer Situationen, die vorzugsweise durch den Contrast der luftigen Elfen einerseits, der Liebenden und Tölpel andererseits herbeigeführt wer¬ deu. Dieser Contrast wird durch die reizende Mendelssohn'sche Musik, die genau in die Stellen eingeflochten ist, wo sie hingehört, nur noch erhöht. Ueberhaupt finde ich das Tiecksche Arrangement dieses Stücks sehr verständig, und kann der abweichenden Meinung von Gewinns nicht beitreten. Die mittleren drei Acte, von Tieck mit einer idealisirten Anwendung des Shakspeare'schen Bretergernstes in eine einzelne Handlung zusammengezogen, machen einen sehr heitern Eindruck, und zu diesem Eindruck ist die anmuthige Decoration, die lustigen Costume der im Waldesgrün herumlaufenden Elfen wesentlich. Wenn mau die Elfen ebenfalls als Tölpel darstellen wollte, so würde der Kontrast gegen die athenischen Spie߬ bürger wegfallen, und dieser Contrast ist vou Shakspeare selbst beabsichtigt, wie es die Scene mit Titauia und die lyrische» Stellen hinläuglich zeigen. Es wi¬ derspricht zwar unsren gewöhnlichen Vorstellungen von Puck, sich diesen täppischen Gesellen als ein hübsches Weib in rothem Florkleide vorzustellen, aber einerseits sind wir schon ans Weber's Oberon daran gewöhnt, andererseits ist eine Schau¬ spielerin besser geeignet, diese stofflose, lustige Heiterkeit auszudrücken, als el»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/348>, abgerufen am 23.07.2024.