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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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stelle. In den Uebergangssceueu wird Schiller zuweilen zu breit und zu bequem; es
würde hier erlaubt sein, Vieles zu streichen, wodurch die dramatische Stimmung
wesentlich gefördert würde, ohne daß das Verständniß darunter litte.

Eine andere Erinnerung an Schiller bot uns die wunderlicher Weise am
Schillerfest ausgeführte Uebersetzung des Macbeth. Daß die weiter ausgeführten
und ius Moralische gezogenen Hexensccnen keineswegs eine Verbesserung Shak-
speare's sind, darüber dürfte alle Welt einig sein. Es ist daher nicht recht
abzusehen, warum man zu dieser Uebersetzung zurückkehrt, da auch sonst wenig¬
stens im Ganzen die Sprache der Tieckschm Uebersetzung dem Charakter der
Handlung besser entspricht, wenn auch Einzelnes von Schiller besser wiedergegeben
ist, wie das Tieck bei deu neuen Ausgaben zum Theil stillschweigend anerkannt
hat. -- Die Aufführung des Macbeth wird durch drei Umstände erschwert. --
Einmal durch das Zerhackte des Stücks, welches bei unsren Theatcreiurichtungeu
einen fortwährenden, sehr störenden Scenenwechsel erfordert; nnr der zweite
Act, vielleicht das Glänzendste, was Shakspeare geschrieben hat, macht eine Aus-
nahme davon. Zum Theil läßt sich übrigens dieser Uebelstand vermeiden durch Aus¬
merzen einiger minder nöthigen Scenen und durch das Zusammenziehen von andere",
die wenigstens ohne zu große Unbequemlichkeit als unmittelbar zusammengehörig
betrachtet werden können. Namentlich im fünften Act, wo der Uebelstand am
größten ist, muß der Verlauf als eine geschlossene Continuität dargestellt werden,
wobei die physische Unmöglichkeit, sich so viele Dinge in dem engen Zeitraum
eines Actes zusammendrängen zu sehen, nicht in Betracht kommt, denn im Feuer
der Action vergessen wir gern, die Uhr ans der Tasche zu ziehen. Außerdem ist
in diesem Act, wie überhaupt bei allen Shakspearischen Schlachtscenen, nothwendig,
wie es übrigens anch bei allen besseren Theatern geschieht, durch vielfache Conpi-
rung des Terrains, durch einen perspectivischen Hintergrund, der verschiedenartige
Wendungen verstattet, auf welchem einzelne sich bewegende Soldaten den Eindruck
des massenhaften Getümmels versinnlichen, wenigstens einigermaßen der Phantast
des Publicums zu Hilfe zu kommen. Sie ist einmal nicht mehr so naiv wie
zu Shakspeare's Zeiten, und außerdem bot das Shakspearische Theater sür eine
solche Entwickelung große Hilfsmittel, die wir nur nach unsren Begriffen von
Decoration etwas rationeller und der äußern Wahrscheinlichkeit angemessener an¬
wenden dürfen. -- Ein zweiter, weit größerer Uebelstand ist, daß Shakspeare in
diesem Stück noch mehr als in seinen andern, anch in Beziehung auf die Cha¬
raktere dem Publicum starke Zumuthungen macht, die nnr dnrch eine bedeutende
Persönlichkeit des Schauspielers aufgewogen werden können. Da es ihm viel¬
mehr darauf ankommt, eine große Leidenschaft, eine mächtige Gemüthsbewegung
in voller Kraft darzustellen, als sie zu entwickeln und zu motiviren, so muß uns
zugleich das Austreten des Helden mit dem Glauben durchdringen, daß wir ^
mit einer ungewöhnlichen Natur zu thun haben. Schon bei Macbeth selbst >se


stelle. In den Uebergangssceueu wird Schiller zuweilen zu breit und zu bequem; es
würde hier erlaubt sein, Vieles zu streichen, wodurch die dramatische Stimmung
wesentlich gefördert würde, ohne daß das Verständniß darunter litte.

Eine andere Erinnerung an Schiller bot uns die wunderlicher Weise am
Schillerfest ausgeführte Uebersetzung des Macbeth. Daß die weiter ausgeführten
und ius Moralische gezogenen Hexensccnen keineswegs eine Verbesserung Shak-
speare's sind, darüber dürfte alle Welt einig sein. Es ist daher nicht recht
abzusehen, warum man zu dieser Uebersetzung zurückkehrt, da auch sonst wenig¬
stens im Ganzen die Sprache der Tieckschm Uebersetzung dem Charakter der
Handlung besser entspricht, wenn auch Einzelnes von Schiller besser wiedergegeben
ist, wie das Tieck bei deu neuen Ausgaben zum Theil stillschweigend anerkannt
hat. — Die Aufführung des Macbeth wird durch drei Umstände erschwert. —
Einmal durch das Zerhackte des Stücks, welches bei unsren Theatcreiurichtungeu
einen fortwährenden, sehr störenden Scenenwechsel erfordert; nnr der zweite
Act, vielleicht das Glänzendste, was Shakspeare geschrieben hat, macht eine Aus-
nahme davon. Zum Theil läßt sich übrigens dieser Uebelstand vermeiden durch Aus¬
merzen einiger minder nöthigen Scenen und durch das Zusammenziehen von andere»,
die wenigstens ohne zu große Unbequemlichkeit als unmittelbar zusammengehörig
betrachtet werden können. Namentlich im fünften Act, wo der Uebelstand am
größten ist, muß der Verlauf als eine geschlossene Continuität dargestellt werden,
wobei die physische Unmöglichkeit, sich so viele Dinge in dem engen Zeitraum
eines Actes zusammendrängen zu sehen, nicht in Betracht kommt, denn im Feuer
der Action vergessen wir gern, die Uhr ans der Tasche zu ziehen. Außerdem ist
in diesem Act, wie überhaupt bei allen Shakspearischen Schlachtscenen, nothwendig,
wie es übrigens anch bei allen besseren Theatern geschieht, durch vielfache Conpi-
rung des Terrains, durch einen perspectivischen Hintergrund, der verschiedenartige
Wendungen verstattet, auf welchem einzelne sich bewegende Soldaten den Eindruck
des massenhaften Getümmels versinnlichen, wenigstens einigermaßen der Phantast
des Publicums zu Hilfe zu kommen. Sie ist einmal nicht mehr so naiv wie
zu Shakspeare's Zeiten, und außerdem bot das Shakspearische Theater sür eine
solche Entwickelung große Hilfsmittel, die wir nur nach unsren Begriffen von
Decoration etwas rationeller und der äußern Wahrscheinlichkeit angemessener an¬
wenden dürfen. — Ein zweiter, weit größerer Uebelstand ist, daß Shakspeare in
diesem Stück noch mehr als in seinen andern, anch in Beziehung auf die Cha¬
raktere dem Publicum starke Zumuthungen macht, die nnr dnrch eine bedeutende
Persönlichkeit des Schauspielers aufgewogen werden können. Da es ihm viel¬
mehr darauf ankommt, eine große Leidenschaft, eine mächtige Gemüthsbewegung
in voller Kraft darzustellen, als sie zu entwickeln und zu motiviren, so muß uns
zugleich das Austreten des Helden mit dem Glauben durchdringen, daß wir ^
mit einer ungewöhnlichen Natur zu thun haben. Schon bei Macbeth selbst >se


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/346>, abgerufen am 23.07.2024.