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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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sellschaft zusammen, und Jeder mußte etwas Geistreiches zu Tage fördern. Das
stille, andächtige Studium acht in einem sM)en Treiben unter. Doch war dieses
Leben sehr anregend für Alle, die daran Theil nahmen. Fran v. StaiU war
der wirkliche Mittelpunkt. Sie war keineswegs so abhängig in ihrem Urtheil,
wie man es zuweilen dargestellt hat. Sie las mit unverdrossenem Eifer und
einer ans Wunderbare grenzenden Schnelligkeit des Empfäugnisseö. Außerdem
wirkten die edlen Eigenschaften ihres Herzens so erwärmend ans diesen Kreis,
daß selbst eine ihrer heftigsten Gegnerinnen, Fran v. Genlis, davon gerührt
wurde und in ihrem Roman ^tkvmü" on 1e cIMerm alö Ooppvt vn < 807 eine
sehr anerkennende Schilderung davon gab. Athenais ist beiläufig Madame Ne-
camier, die intimste Freundin der Frau v. StaÄ und Chateaubriand's, die in der
schönen Literatur Frankreichs eine ähnliche Rolle spielt, wie bei uns die Nadel, die
Hertz n. s. w. -- Aber etwas Unbefriedigendes war doch über diese Studien und
Versuche verbreitet. Vor allen Dingen krankte Frau v. Stavl an einer unbe-
zwinglichen Sehnsucht nach Paris, das ihr versagt war. Sie umkreiste die ihr
auferlegte Grenze in unruhiger Hast, und wagte es sogar einmal, heimlich sich in
Paris einzuschleichen.

Etwas von dieser Bitterkeit breitet sich über ihr vollendetstes Werk, die
Corinna (1807). In der Schilderung Italiens, namentlich aber in der Con¬
ception des Charakters der Heldin, eines starkgcistigen Weibes von tiefen Empfin¬
dungen und großen Leidenschaften, ist echte und hohe Poesie, und keiner ihrer
spätern Nachfolger, auch G. Sand nicht, hat dieses Vorbild erreicht. Wir kön¬
nen auch die Härte, womit dieser edle Charakter nach dem allgemeinen Gesetz,
daß das Aufgeben des regelmäßigen Laufes auch für den Genius verderblich ist,
zuletzt niedergedrückt wird, nicht mißbilligen, aber die Formen, in denen die Re¬
gel nild die Convenienz dem Genius gegenüber tritt, sind gar zu kleinlicher
Natur. Der Geliebte Corinna'S, der auch in den Augenblicken der Leidenschaft
fortwährend von dem Gespenst der britischen conventionellen Sittlichkeit verfolgt
wird, wie sie sich ihm in den Lehren seines Vaters eingeprägt hatte, ist eine
höchst uninteressante Figur, und erinnert gar zu sehr an die Rousseau'sehen Re¬
flexionen. Trotz dieser Sehnsucht uach den leguimen Banden der Liebe, trotz
der harten Kritik gegen die Abweichungen des Genius vom Gesetz, war das
meisterhaft geschriebene Buch sehr heftigen Angriffen ausgesetzt, und es war
wieder der unermüdliche Abbe- Feletz, der die angebliche Unsittlichkeit desselben
enthüllte. Diesmal aber stand das Publicum entschieden auf Seiten deS Genius,
und Frau v. StaÄ war seit der Zeit neben Chateaubriand als die erste Dichterin
Frankreichs anerkannt.

Das berühmte Buch 1).; I'.'Uwu^'no wurde 1810 gedruckt, aber die ganze
Auflage wurde von der französischen Polizei confiscire, und es konnte erst 1813
in London erscheinen. Dieses strenge Verbot giebt uns ein anschauliches Bild


sellschaft zusammen, und Jeder mußte etwas Geistreiches zu Tage fördern. Das
stille, andächtige Studium acht in einem sM)en Treiben unter. Doch war dieses
Leben sehr anregend für Alle, die daran Theil nahmen. Fran v. StaiU war
der wirkliche Mittelpunkt. Sie war keineswegs so abhängig in ihrem Urtheil,
wie man es zuweilen dargestellt hat. Sie las mit unverdrossenem Eifer und
einer ans Wunderbare grenzenden Schnelligkeit des Empfäugnisseö. Außerdem
wirkten die edlen Eigenschaften ihres Herzens so erwärmend ans diesen Kreis,
daß selbst eine ihrer heftigsten Gegnerinnen, Fran v. Genlis, davon gerührt
wurde und in ihrem Roman ^tkvmü» on 1e cIMerm alö Ooppvt vn < 807 eine
sehr anerkennende Schilderung davon gab. Athenais ist beiläufig Madame Ne-
camier, die intimste Freundin der Frau v. StaÄ und Chateaubriand's, die in der
schönen Literatur Frankreichs eine ähnliche Rolle spielt, wie bei uns die Nadel, die
Hertz n. s. w. — Aber etwas Unbefriedigendes war doch über diese Studien und
Versuche verbreitet. Vor allen Dingen krankte Frau v. Stavl an einer unbe-
zwinglichen Sehnsucht nach Paris, das ihr versagt war. Sie umkreiste die ihr
auferlegte Grenze in unruhiger Hast, und wagte es sogar einmal, heimlich sich in
Paris einzuschleichen.

Etwas von dieser Bitterkeit breitet sich über ihr vollendetstes Werk, die
Corinna (1807). In der Schilderung Italiens, namentlich aber in der Con¬
ception des Charakters der Heldin, eines starkgcistigen Weibes von tiefen Empfin¬
dungen und großen Leidenschaften, ist echte und hohe Poesie, und keiner ihrer
spätern Nachfolger, auch G. Sand nicht, hat dieses Vorbild erreicht. Wir kön¬
nen auch die Härte, womit dieser edle Charakter nach dem allgemeinen Gesetz,
daß das Aufgeben des regelmäßigen Laufes auch für den Genius verderblich ist,
zuletzt niedergedrückt wird, nicht mißbilligen, aber die Formen, in denen die Re¬
gel nild die Convenienz dem Genius gegenüber tritt, sind gar zu kleinlicher
Natur. Der Geliebte Corinna'S, der auch in den Augenblicken der Leidenschaft
fortwährend von dem Gespenst der britischen conventionellen Sittlichkeit verfolgt
wird, wie sie sich ihm in den Lehren seines Vaters eingeprägt hatte, ist eine
höchst uninteressante Figur, und erinnert gar zu sehr an die Rousseau'sehen Re¬
flexionen. Trotz dieser Sehnsucht uach den leguimen Banden der Liebe, trotz
der harten Kritik gegen die Abweichungen des Genius vom Gesetz, war das
meisterhaft geschriebene Buch sehr heftigen Angriffen ausgesetzt, und es war
wieder der unermüdliche Abbe- Feletz, der die angebliche Unsittlichkeit desselben
enthüllte. Diesmal aber stand das Publicum entschieden auf Seiten deS Genius,
und Frau v. StaÄ war seit der Zeit neben Chateaubriand als die erste Dichterin
Frankreichs anerkannt.

Das berühmte Buch 1).; I'.'Uwu^'no wurde 1810 gedruckt, aber die ganze
Auflage wurde von der französischen Polizei confiscire, und es konnte erst 1813
in London erscheinen. Dieses strenge Verbot giebt uns ein anschauliches Bild


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/300>, abgerufen am 23.07.2024.