Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

des Weges betrachten, welche durch ihre verschiedene Farbe der Landschaft das
Ansehen geben, als sei sie ans zahllosen grünen und gelben Lappen zusammen¬
geflickt. Freilich reicht diese Erscheinung über Thüringen hinaus durch Hessen bis
in das Badische hinein, fast eben so weit, als die kleinen Staaten reichen. Die¬
selbe eigenthümliche Richtung des Gemüthes und eine ähnliche Beschaffenheit des
Terrains hat dieSvuveraiue zu wiederholter Theilung der Herrschaft unter ihreNach-
kommen nud die Bauern zu endloser Theilung der Hufen unter ihre Binder geführt.

Es lohnt auch für solche Leser, welche dem Landbau kein großes Interesse
gönnen, bei dieser Zersplitterung des Grundbesitzes zu verweilen und sich klar zu
wachen, wie verhängnißvoll eine einzelne Sitte für das Leben ganzer Volksstämme
werden kann. Im Allgemeinen ist in Thüringen das alte Herkommen folgendes:
Die gestimmte Ackerfläche der Gemeinde ist nach dem Princip der Dreifelder¬
wirthschaft in drei Theile (Schläge) getheilt. In diesen drei Feldern liegen
die Hufen (Ackermaße von verschiedener Große, im Gothaischen z. B. von 30
Ackern zu 140 s^jNuthen) der einzelnen Eigenthümer so getheilt, daß in jedem
der drei Schläge ungefähr ein Drittel der Hufe liegt, und der Besitzer einer Hufe
^ete in alter Zeit seinen Grundbesitz in nicht mehr als drei Ackerstücken, welche
^ verschiedenen Gegenden der Dorfflur lagen. Nun aber ist seit alter Zeit in
Thüringen nicht Landesbrauch gewesen, ein Kind dadurch zu bevorzuge", daß ihm
der väterliche Hof ganz überlassen wurde unter der Verpflichtung, die Geschwister
entschädigen, sondern das Gemüth des Thüringers machte ihn geneigt, unter
seine Kinder weichherzig den Ackerbcsitz zu zerschlagen. Und so kam es, daß die Hufen
getheilt wurden in vier Theile, in acht Theile, in einzelne Aecker; und serner,
^ß auch in den einzelnen Schlägen ungehufte Länderei, einzelne Stücke entstanden,
hiiufig lange Bectstreifen (Gelänge) von ungefähr zwei Ruthen Breite und einer
^arge zuweilen von hundert Ruthen und mehr; daß diese Ackerbänder wieder der,
^nge nach in zwei Theile getheilt wurden, von denen jeder nur ungefähr eine Ruthe
^eit war (sollet oder Göttlich, Söldling), und dieser schmale Streifen wurde uoch
zwei Theile getheilt, welche nur fünf bis sechs Fuß breit sind (Strick oder Striegel),
^ud so kam es ferner, daß im Laufe der Zeit durch Zertheilung und Zusammenlauf
^ Grundbesitz der Einzelnen in der Art zerrissen wurde, daß der Besitzer einer
Hufe gegenwärtig vielleicht 10, 1ü, 20 kleine Ackerstücke in den verschiedensten
legenden der Dvrfflnr zu bestellen hat, daß größere Güter aus mehreren hun¬
dert kleinen zerstreuten Ackerstücken bestehen. Bis zum achten Theil eines Ackers
sendet sich der Grundbesitz zertheilt, und sehr viele kleine Leute haben nnr solche
euizelne Lappen Land in dem einen oder dem andern Schlage der Dvrfflnr.

Die Grundbücher und Hypothckcnordnnngen und die Grnndstenerlisten sind
gemäß diesem Landesbrauch eingerichtet. Im Hypothekenbnch wurde die Flur
unes Dorfes zunächst in Viertelhnfen getheilt. Jedes Viertel konnte sein beson-
eres Folium haben; aber diese Theilung genügte nicht, die Viertelhufcn wurden


3b"

des Weges betrachten, welche durch ihre verschiedene Farbe der Landschaft das
Ansehen geben, als sei sie ans zahllosen grünen und gelben Lappen zusammen¬
geflickt. Freilich reicht diese Erscheinung über Thüringen hinaus durch Hessen bis
in das Badische hinein, fast eben so weit, als die kleinen Staaten reichen. Die¬
selbe eigenthümliche Richtung des Gemüthes und eine ähnliche Beschaffenheit des
Terrains hat dieSvuveraiue zu wiederholter Theilung der Herrschaft unter ihreNach-
kommen nud die Bauern zu endloser Theilung der Hufen unter ihre Binder geführt.

Es lohnt auch für solche Leser, welche dem Landbau kein großes Interesse
gönnen, bei dieser Zersplitterung des Grundbesitzes zu verweilen und sich klar zu
wachen, wie verhängnißvoll eine einzelne Sitte für das Leben ganzer Volksstämme
werden kann. Im Allgemeinen ist in Thüringen das alte Herkommen folgendes:
Die gestimmte Ackerfläche der Gemeinde ist nach dem Princip der Dreifelder¬
wirthschaft in drei Theile (Schläge) getheilt. In diesen drei Feldern liegen
die Hufen (Ackermaße von verschiedener Große, im Gothaischen z. B. von 30
Ackern zu 140 s^jNuthen) der einzelnen Eigenthümer so getheilt, daß in jedem
der drei Schläge ungefähr ein Drittel der Hufe liegt, und der Besitzer einer Hufe
^ete in alter Zeit seinen Grundbesitz in nicht mehr als drei Ackerstücken, welche
^ verschiedenen Gegenden der Dorfflur lagen. Nun aber ist seit alter Zeit in
Thüringen nicht Landesbrauch gewesen, ein Kind dadurch zu bevorzuge», daß ihm
der väterliche Hof ganz überlassen wurde unter der Verpflichtung, die Geschwister
entschädigen, sondern das Gemüth des Thüringers machte ihn geneigt, unter
seine Kinder weichherzig den Ackerbcsitz zu zerschlagen. Und so kam es, daß die Hufen
getheilt wurden in vier Theile, in acht Theile, in einzelne Aecker; und serner,
^ß auch in den einzelnen Schlägen ungehufte Länderei, einzelne Stücke entstanden,
hiiufig lange Bectstreifen (Gelänge) von ungefähr zwei Ruthen Breite und einer
^arge zuweilen von hundert Ruthen und mehr; daß diese Ackerbänder wieder der,
^nge nach in zwei Theile getheilt wurden, von denen jeder nur ungefähr eine Ruthe
^eit war (sollet oder Göttlich, Söldling), und dieser schmale Streifen wurde uoch
zwei Theile getheilt, welche nur fünf bis sechs Fuß breit sind (Strick oder Striegel),
^ud so kam es ferner, daß im Laufe der Zeit durch Zertheilung und Zusammenlauf
^ Grundbesitz der Einzelnen in der Art zerrissen wurde, daß der Besitzer einer
Hufe gegenwärtig vielleicht 10, 1ü, 20 kleine Ackerstücke in den verschiedensten
legenden der Dvrfflnr zu bestellen hat, daß größere Güter aus mehreren hun¬
dert kleinen zerstreuten Ackerstücken bestehen. Bis zum achten Theil eines Ackers
sendet sich der Grundbesitz zertheilt, und sehr viele kleine Leute haben nnr solche
euizelne Lappen Land in dem einen oder dem andern Schlage der Dvrfflnr.

Die Grundbücher und Hypothckcnordnnngen und die Grnndstenerlisten sind
gemäß diesem Landesbrauch eingerichtet. Im Hypothekenbnch wurde die Flur
unes Dorfes zunächst in Viertelhnfen getheilt. Jedes Viertel konnte sein beson-
eres Folium haben; aber diese Theilung genügte nicht, die Viertelhufcn wurden


3b»
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280904"/>
          <p xml:id="ID_861" prev="#ID_860"> des Weges betrachten, welche durch ihre verschiedene Farbe der Landschaft das<lb/>
Ansehen geben, als sei sie ans zahllosen grünen und gelben Lappen zusammen¬<lb/>
geflickt. Freilich reicht diese Erscheinung über Thüringen hinaus durch Hessen bis<lb/>
in das Badische hinein, fast eben so weit, als die kleinen Staaten reichen. Die¬<lb/>
selbe eigenthümliche Richtung des Gemüthes und eine ähnliche Beschaffenheit des<lb/>
Terrains hat dieSvuveraiue zu wiederholter Theilung der Herrschaft unter ihreNach-<lb/>
kommen nud die Bauern zu endloser Theilung der Hufen unter ihre Binder geführt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_862"> Es lohnt auch für solche Leser, welche dem Landbau kein großes Interesse<lb/>
gönnen, bei dieser Zersplitterung des Grundbesitzes zu verweilen und sich klar zu<lb/>
wachen, wie verhängnißvoll eine einzelne Sitte für das Leben ganzer Volksstämme<lb/>
werden kann. Im Allgemeinen ist in Thüringen das alte Herkommen folgendes:<lb/>
Die gestimmte Ackerfläche der Gemeinde ist nach dem Princip der Dreifelder¬<lb/>
wirthschaft in drei Theile (Schläge) getheilt. In diesen drei Feldern liegen<lb/>
die Hufen (Ackermaße von verschiedener Große, im Gothaischen z. B. von 30<lb/>
Ackern zu 140 s^jNuthen) der einzelnen Eigenthümer so getheilt, daß in jedem<lb/>
der drei Schläge ungefähr ein Drittel der Hufe liegt, und der Besitzer einer Hufe<lb/>
^ete in alter Zeit seinen Grundbesitz in nicht mehr als drei Ackerstücken, welche<lb/>
^ verschiedenen Gegenden der Dorfflur lagen. Nun aber ist seit alter Zeit in<lb/>
Thüringen nicht Landesbrauch gewesen, ein Kind dadurch zu bevorzuge», daß ihm<lb/>
der väterliche Hof ganz überlassen wurde unter der Verpflichtung, die Geschwister<lb/>
entschädigen, sondern das Gemüth des Thüringers machte ihn geneigt, unter<lb/>
seine Kinder weichherzig den Ackerbcsitz zu zerschlagen. Und so kam es, daß die Hufen<lb/>
getheilt wurden in vier Theile, in acht Theile, in einzelne Aecker; und serner,<lb/>
^ß auch in den einzelnen Schlägen ungehufte Länderei, einzelne Stücke entstanden,<lb/>
hiiufig lange Bectstreifen (Gelänge) von ungefähr zwei Ruthen Breite und einer<lb/>
^arge zuweilen von hundert Ruthen und mehr; daß diese Ackerbänder wieder der,<lb/>
^nge nach in zwei Theile getheilt wurden, von denen jeder nur ungefähr eine Ruthe<lb/>
^eit war (sollet oder Göttlich, Söldling), und dieser schmale Streifen wurde uoch<lb/>
zwei Theile getheilt, welche nur fünf bis sechs Fuß breit sind (Strick oder Striegel),<lb/>
^ud so kam es ferner, daß im Laufe der Zeit durch Zertheilung und Zusammenlauf<lb/>
^ Grundbesitz der Einzelnen in der Art zerrissen wurde, daß der Besitzer einer<lb/>
Hufe gegenwärtig vielleicht 10, 1ü, 20 kleine Ackerstücke in den verschiedensten<lb/>
legenden der Dvrfflnr zu bestellen hat, daß größere Güter aus mehreren hun¬<lb/>
dert kleinen zerstreuten Ackerstücken bestehen. Bis zum achten Theil eines Ackers<lb/>
sendet sich der Grundbesitz zertheilt, und sehr viele kleine Leute haben nnr solche<lb/>
euizelne Lappen Land in dem einen oder dem andern Schlage der Dvrfflnr.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_863" next="#ID_864"> Die Grundbücher und Hypothckcnordnnngen und die Grnndstenerlisten sind<lb/>
gemäß diesem Landesbrauch eingerichtet.  Im Hypothekenbnch wurde die Flur<lb/>
unes Dorfes zunächst in Viertelhnfen getheilt. Jedes Viertel konnte sein beson-<lb/>
eres Folium haben; aber diese Theilung genügte nicht, die Viertelhufcn wurden</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 3b»</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0287] des Weges betrachten, welche durch ihre verschiedene Farbe der Landschaft das Ansehen geben, als sei sie ans zahllosen grünen und gelben Lappen zusammen¬ geflickt. Freilich reicht diese Erscheinung über Thüringen hinaus durch Hessen bis in das Badische hinein, fast eben so weit, als die kleinen Staaten reichen. Die¬ selbe eigenthümliche Richtung des Gemüthes und eine ähnliche Beschaffenheit des Terrains hat dieSvuveraiue zu wiederholter Theilung der Herrschaft unter ihreNach- kommen nud die Bauern zu endloser Theilung der Hufen unter ihre Binder geführt. Es lohnt auch für solche Leser, welche dem Landbau kein großes Interesse gönnen, bei dieser Zersplitterung des Grundbesitzes zu verweilen und sich klar zu wachen, wie verhängnißvoll eine einzelne Sitte für das Leben ganzer Volksstämme werden kann. Im Allgemeinen ist in Thüringen das alte Herkommen folgendes: Die gestimmte Ackerfläche der Gemeinde ist nach dem Princip der Dreifelder¬ wirthschaft in drei Theile (Schläge) getheilt. In diesen drei Feldern liegen die Hufen (Ackermaße von verschiedener Große, im Gothaischen z. B. von 30 Ackern zu 140 s^jNuthen) der einzelnen Eigenthümer so getheilt, daß in jedem der drei Schläge ungefähr ein Drittel der Hufe liegt, und der Besitzer einer Hufe ^ete in alter Zeit seinen Grundbesitz in nicht mehr als drei Ackerstücken, welche ^ verschiedenen Gegenden der Dorfflur lagen. Nun aber ist seit alter Zeit in Thüringen nicht Landesbrauch gewesen, ein Kind dadurch zu bevorzuge», daß ihm der väterliche Hof ganz überlassen wurde unter der Verpflichtung, die Geschwister entschädigen, sondern das Gemüth des Thüringers machte ihn geneigt, unter seine Kinder weichherzig den Ackerbcsitz zu zerschlagen. Und so kam es, daß die Hufen getheilt wurden in vier Theile, in acht Theile, in einzelne Aecker; und serner, ^ß auch in den einzelnen Schlägen ungehufte Länderei, einzelne Stücke entstanden, hiiufig lange Bectstreifen (Gelänge) von ungefähr zwei Ruthen Breite und einer ^arge zuweilen von hundert Ruthen und mehr; daß diese Ackerbänder wieder der, ^nge nach in zwei Theile getheilt wurden, von denen jeder nur ungefähr eine Ruthe ^eit war (sollet oder Göttlich, Söldling), und dieser schmale Streifen wurde uoch zwei Theile getheilt, welche nur fünf bis sechs Fuß breit sind (Strick oder Striegel), ^ud so kam es ferner, daß im Laufe der Zeit durch Zertheilung und Zusammenlauf ^ Grundbesitz der Einzelnen in der Art zerrissen wurde, daß der Besitzer einer Hufe gegenwärtig vielleicht 10, 1ü, 20 kleine Ackerstücke in den verschiedensten legenden der Dvrfflnr zu bestellen hat, daß größere Güter aus mehreren hun¬ dert kleinen zerstreuten Ackerstücken bestehen. Bis zum achten Theil eines Ackers sendet sich der Grundbesitz zertheilt, und sehr viele kleine Leute haben nnr solche euizelne Lappen Land in dem einen oder dem andern Schlage der Dvrfflnr. Die Grundbücher und Hypothckcnordnnngen und die Grnndstenerlisten sind gemäß diesem Landesbrauch eingerichtet. Im Hypothekenbnch wurde die Flur unes Dorfes zunächst in Viertelhnfen getheilt. Jedes Viertel konnte sein beson- eres Folium haben; aber diese Theilung genügte nicht, die Viertelhufcn wurden 3b»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/287
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/287>, abgerufen am 23.07.2024.