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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Im Relief des Sockels liegt Brunhilde mit Schwert und Schild in den Flammen,
aus denen nnr der Sieg eines Tapfern nach gefährlichem Kampfe sie erlösen
kann. Damit haben wir die ernste Wurzel der lieblichen Mähr vom Dornröslcin.
Wie jenseits König und Königin, sitzen hier am Fuße des Kandelabers Koch
"ud Spinnerin. Jener, ein dicker Gesell in streifigen Wamms, die Zipfelmütze
auf dem Kopf, mit aufgekrämpten Hemdsärmeln und vorgebundeuer Küchcnschürze-
halt den Bratspieß, woran zwei gerupfte Hühner stecken, in der Rechten. Im
Gürtel hat er den Kochlöffel, an einem Bande hängen die im Futteral befind¬
lichen Messer herab. Ueber das feiste Gesicht hat der Schlummer seiue Fittige
gebreitet, doch aber das Leben in diesem fetten Burschen noch nicht in vollständige
Ruhe versenkt. Die liute Hand des schlaftrunkenen Kochs zaust einen Knaben,
welcher unten in der Mitte vor dem Caudelaberfuße hockt und ebenfalls süß ent¬
schlummerte, unsanft am Haare. Er will wol selber schlafen, aber nicht schlafen
lassen. Neben dem Knaben stehen Krug und Becher, und bezeichnen ihn als den
Mundschenken. Auf der andern Seite nickt an ihrer Spindel auch die alte
Spinnerin. Durch Küche und Spinnstube must die Sage von der gefährlichen
Brautfahrt zur flammeuumlvderteu BruulMe wandern, damit im träumerischen
Boltsverstandc sich die humoristische Version des Märchens vou der verzauberten
Prinzessin gestalte. Von Königen und ritterlichen Kämpen ging die hohe Helden¬
sage eins; im unscheinbaren Kreise der Niederen und Gehorchenden hat das Volks¬
märchen seinen Ursprung zu suchen/ Am dornigen Stamme des Kandelabers
schwingen sich über den Köpfen von Koch und Spinnerin DörnrvsleinS Freier
e'Npvr. Unten, im Beginn des Weges, sehen wir sie lustig klettern. Der eine
b^t sein Barret mit fröhlichem Gruße, der zweite stößt lustig ins Horn. Aber
schou auf dem Mittclrande liegen zwei andere Prinzlein in völliger Erschöpfung,
"Ad dicht unter dem obern Rande, kurz vor dem Ziel, verunglückt ein drittes
P"ar und stürzt herab. Einer von ihnen bleibt mit seinem Gewände in den
Domen hängen. Ans dem mit Rosen umkränzten Schilde sitzt Dornröslein mit
Spindel. Der glückliche Freier, der das Ziel gewann, ein munterer Jung-
,^"g mit fliegenden Locken, wendet ihr Antlitz zu sich herum, sie wach zu küssen,
^der ihnen schwebt ein Taubenpaar. DaS Altertümliche wie das Leichte,
Dnftartigc, Phantastische des Märcheulebenö ist in den Gestalten wie im Costum
""d M der ganzen Anordnung dieser Komposition auf das Anziehendste versinnlicht.
Der Künstler fand hier überhaupt deu treffendsten Ausdruck für das Märchen,
"'dem er es ohne deu Schein wahrer Existenz als graziöses Ornament der Allc-
lwic zur Darstellung brachte.

Die Geschichte ist ein schönes, jugendliches Weib in edler Fülle der
^rperformcn, die lebendige, blühend entfaltete, zum Genuß des Daseins ge¬
lassene Gegenwart. Aber die Gestalt athmet kräftige Ruhe und Hoheit; keine
Spur vou Ueppigkeit. Milder Ernst belebt ihre Zuge. Die Vergangenheit


Grenzboten. IV. <8S4. 32

Im Relief des Sockels liegt Brunhilde mit Schwert und Schild in den Flammen,
aus denen nnr der Sieg eines Tapfern nach gefährlichem Kampfe sie erlösen
kann. Damit haben wir die ernste Wurzel der lieblichen Mähr vom Dornröslcin.
Wie jenseits König und Königin, sitzen hier am Fuße des Kandelabers Koch
»ud Spinnerin. Jener, ein dicker Gesell in streifigen Wamms, die Zipfelmütze
auf dem Kopf, mit aufgekrämpten Hemdsärmeln und vorgebundeuer Küchcnschürze-
halt den Bratspieß, woran zwei gerupfte Hühner stecken, in der Rechten. Im
Gürtel hat er den Kochlöffel, an einem Bande hängen die im Futteral befind¬
lichen Messer herab. Ueber das feiste Gesicht hat der Schlummer seiue Fittige
gebreitet, doch aber das Leben in diesem fetten Burschen noch nicht in vollständige
Ruhe versenkt. Die liute Hand des schlaftrunkenen Kochs zaust einen Knaben,
welcher unten in der Mitte vor dem Caudelaberfuße hockt und ebenfalls süß ent¬
schlummerte, unsanft am Haare. Er will wol selber schlafen, aber nicht schlafen
lassen. Neben dem Knaben stehen Krug und Becher, und bezeichnen ihn als den
Mundschenken. Auf der andern Seite nickt an ihrer Spindel auch die alte
Spinnerin. Durch Küche und Spinnstube must die Sage von der gefährlichen
Brautfahrt zur flammeuumlvderteu BruulMe wandern, damit im träumerischen
Boltsverstandc sich die humoristische Version des Märchens vou der verzauberten
Prinzessin gestalte. Von Königen und ritterlichen Kämpen ging die hohe Helden¬
sage eins; im unscheinbaren Kreise der Niederen und Gehorchenden hat das Volks¬
märchen seinen Ursprung zu suchen/ Am dornigen Stamme des Kandelabers
schwingen sich über den Köpfen von Koch und Spinnerin DörnrvsleinS Freier
e'Npvr. Unten, im Beginn des Weges, sehen wir sie lustig klettern. Der eine
b^t sein Barret mit fröhlichem Gruße, der zweite stößt lustig ins Horn. Aber
schou auf dem Mittclrande liegen zwei andere Prinzlein in völliger Erschöpfung,
"Ad dicht unter dem obern Rande, kurz vor dem Ziel, verunglückt ein drittes
P"ar und stürzt herab. Einer von ihnen bleibt mit seinem Gewände in den
Domen hängen. Ans dem mit Rosen umkränzten Schilde sitzt Dornröslein mit
Spindel. Der glückliche Freier, der das Ziel gewann, ein munterer Jung-
,^«g mit fliegenden Locken, wendet ihr Antlitz zu sich herum, sie wach zu küssen,
^der ihnen schwebt ein Taubenpaar. DaS Altertümliche wie das Leichte,
Dnftartigc, Phantastische des Märcheulebenö ist in den Gestalten wie im Costum
""d M der ganzen Anordnung dieser Komposition auf das Anziehendste versinnlicht.
Der Künstler fand hier überhaupt deu treffendsten Ausdruck für das Märchen,
"'dem er es ohne deu Schein wahrer Existenz als graziöses Ornament der Allc-
lwic zur Darstellung brachte.

Die Geschichte ist ein schönes, jugendliches Weib in edler Fülle der
^rperformcn, die lebendige, blühend entfaltete, zum Genuß des Daseins ge¬
lassene Gegenwart. Aber die Gestalt athmet kräftige Ruhe und Hoheit; keine
Spur vou Ueppigkeit. Milder Ernst belebt ihre Zuge. Die Vergangenheit


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[0253] Im Relief des Sockels liegt Brunhilde mit Schwert und Schild in den Flammen, aus denen nnr der Sieg eines Tapfern nach gefährlichem Kampfe sie erlösen kann. Damit haben wir die ernste Wurzel der lieblichen Mähr vom Dornröslcin. Wie jenseits König und Königin, sitzen hier am Fuße des Kandelabers Koch »ud Spinnerin. Jener, ein dicker Gesell in streifigen Wamms, die Zipfelmütze auf dem Kopf, mit aufgekrämpten Hemdsärmeln und vorgebundeuer Küchcnschürze- halt den Bratspieß, woran zwei gerupfte Hühner stecken, in der Rechten. Im Gürtel hat er den Kochlöffel, an einem Bande hängen die im Futteral befind¬ lichen Messer herab. Ueber das feiste Gesicht hat der Schlummer seiue Fittige gebreitet, doch aber das Leben in diesem fetten Burschen noch nicht in vollständige Ruhe versenkt. Die liute Hand des schlaftrunkenen Kochs zaust einen Knaben, welcher unten in der Mitte vor dem Caudelaberfuße hockt und ebenfalls süß ent¬ schlummerte, unsanft am Haare. Er will wol selber schlafen, aber nicht schlafen lassen. Neben dem Knaben stehen Krug und Becher, und bezeichnen ihn als den Mundschenken. Auf der andern Seite nickt an ihrer Spindel auch die alte Spinnerin. Durch Küche und Spinnstube must die Sage von der gefährlichen Brautfahrt zur flammeuumlvderteu BruulMe wandern, damit im träumerischen Boltsverstandc sich die humoristische Version des Märchens vou der verzauberten Prinzessin gestalte. Von Königen und ritterlichen Kämpen ging die hohe Helden¬ sage eins; im unscheinbaren Kreise der Niederen und Gehorchenden hat das Volks¬ märchen seinen Ursprung zu suchen/ Am dornigen Stamme des Kandelabers schwingen sich über den Köpfen von Koch und Spinnerin DörnrvsleinS Freier e'Npvr. Unten, im Beginn des Weges, sehen wir sie lustig klettern. Der eine b^t sein Barret mit fröhlichem Gruße, der zweite stößt lustig ins Horn. Aber schou auf dem Mittclrande liegen zwei andere Prinzlein in völliger Erschöpfung, "Ad dicht unter dem obern Rande, kurz vor dem Ziel, verunglückt ein drittes P"ar und stürzt herab. Einer von ihnen bleibt mit seinem Gewände in den Domen hängen. Ans dem mit Rosen umkränzten Schilde sitzt Dornröslein mit Spindel. Der glückliche Freier, der das Ziel gewann, ein munterer Jung- ,^«g mit fliegenden Locken, wendet ihr Antlitz zu sich herum, sie wach zu küssen, ^der ihnen schwebt ein Taubenpaar. DaS Altertümliche wie das Leichte, Dnftartigc, Phantastische des Märcheulebenö ist in den Gestalten wie im Costum ""d M der ganzen Anordnung dieser Komposition auf das Anziehendste versinnlicht. Der Künstler fand hier überhaupt deu treffendsten Ausdruck für das Märchen, "'dem er es ohne deu Schein wahrer Existenz als graziöses Ornament der Allc- lwic zur Darstellung brachte. Die Geschichte ist ein schönes, jugendliches Weib in edler Fülle der ^rperformcn, die lebendige, blühend entfaltete, zum Genuß des Daseins ge¬ lassene Gegenwart. Aber die Gestalt athmet kräftige Ruhe und Hoheit; keine Spur vou Ueppigkeit. Milder Ernst belebt ihre Zuge. Die Vergangenheit Grenzboten. IV. <8S4. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/253>, abgerufen am 23.07.2024.