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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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ist Meister Punch eine erfreuliche Erscheinung; bei einem blasirten und gedrückten
Volk dagegen müssen wir im Kladderadatsch ein böses Krankheitssymptom erblicken.
Nur eine gesunde Natur hat das Recht, sich ungestraft über ihre Schattenseiten
zu belustigen.

Diese Stimmung des Publicums wirkt auch auf deu Dichter zurück. Heine
phantasirt sich von Zeit zu Zeit in die Vorstellung hinein, daß sein Gemüth
etwas Positives enthalte. Er wird sentimental, pathetisch, selbst larmoyant, kurz
er coquettirt. Diese Coquetterie wird um so widerlicher, wenn man.erkennen muß,
daß uur der Zufall die Quelle seiner Empfindungen ist, daß ihm jener feste und
sichere Jnstinct fehlt, der überall auf deu Kern der Sache eindringt. Es ist nicht
schwer und ein Zeichen schwacher und weibischer Charaktere, die kleinen Schwä¬
chen der Menschen, die kleinen Widersprüche der Ideen schnell aufzufinden, und
dann in der Gefühlsseligkeit zu schwelgen, daß man über seine Zeit erhaben sei.
Wir Deutsche sollten gegen diese Charaktere sehr auf der Hut sein. In einer
der einflußreichsten Personen unsrer Zeit würden wir dieselbe Mischung von sou-
verainen Witz, der über Alles hinaus ist, und von siecher Empfindsamkeit, die
sich dnrch den Zufall bestimmen läßt, nachweisen können.

Das Licht, welches auf jene umgekehrte Weltanschaun.ug fällt, ist doch immer
ein romantisches, eine bengalische Flamme. Die Gegenstände, wie die Ideen, bleiben
nicht in ihrem richtigen Verhältniß, die Perspektiven verwandeln sich, die Forme"
gewinnen eine andere Bedeutung. Der Dichter, der diese Phantasmagorie
aufführt, muß sehr sicher in sich selbst sein, wenn er nicht in den Wahn ver¬
fallen soll, sein Gemüth sei nicht blos der Spiegel, soudern die Quelle aller der
wunderbaren Bilder, die er darstellt. Die Verrückung der Perspektive" führt M
Unwahrheit gegen sich selbst, und da diese Unwahrheit mit Unsicherheit verknüpft
ist, zu einer eitlen Empfindlichkeit, die größern Spott verdient, als Alles, was
sie selber verspottet.

Diese Renommisterei des Gefühls, die viel unangenehmer ist, als die Fal-
staff'sche Renommisterei, macht mir Heine'S Erscheinung um so widerwärtiger, da
sie der Typus in der Physiognomie der meisten unsrer "großen Männer" ist.
habe mich in einem frühern Anfsäiz darüber ausgesprochen, und begnüge mich !M
damit, das Verhältniß seiner nettesten Schriften zu seinen frühere" festzustellen.

Zunächst haben wir den "Doctor Faust, ein Tanzpvem", wie er es nennt, an¬
geblich für Lnmley's Gesellschaft bestimmt, mit kritischen Anmerkungen über die
Entstehung der Faustsage. Ueber dieses Tauzpoem ist nichts weiter zu sag"',
als daß es wider Wissen und Willen des Dichters von seinem realen Verhältniß
zur Poesie ein Bild giebt. Auch er sieht in der Welt und in ihren idealen
Combinationen eigentlich nnr Opern- und Balleteffeete, und er zeigt in dem
Arrangement dieses Ballets dasselbe Geschick, das er früher i" der kaleidoskopi¬
schen Vermischung der herrschenden Ideen, Wünsche "ud^ Hoffnungen gezeigt hat.


ist Meister Punch eine erfreuliche Erscheinung; bei einem blasirten und gedrückten
Volk dagegen müssen wir im Kladderadatsch ein böses Krankheitssymptom erblicken.
Nur eine gesunde Natur hat das Recht, sich ungestraft über ihre Schattenseiten
zu belustigen.

Diese Stimmung des Publicums wirkt auch auf deu Dichter zurück. Heine
phantasirt sich von Zeit zu Zeit in die Vorstellung hinein, daß sein Gemüth
etwas Positives enthalte. Er wird sentimental, pathetisch, selbst larmoyant, kurz
er coquettirt. Diese Coquetterie wird um so widerlicher, wenn man.erkennen muß,
daß uur der Zufall die Quelle seiner Empfindungen ist, daß ihm jener feste und
sichere Jnstinct fehlt, der überall auf deu Kern der Sache eindringt. Es ist nicht
schwer und ein Zeichen schwacher und weibischer Charaktere, die kleinen Schwä¬
chen der Menschen, die kleinen Widersprüche der Ideen schnell aufzufinden, und
dann in der Gefühlsseligkeit zu schwelgen, daß man über seine Zeit erhaben sei.
Wir Deutsche sollten gegen diese Charaktere sehr auf der Hut sein. In einer
der einflußreichsten Personen unsrer Zeit würden wir dieselbe Mischung von sou-
verainen Witz, der über Alles hinaus ist, und von siecher Empfindsamkeit, die
sich dnrch den Zufall bestimmen läßt, nachweisen können.

Das Licht, welches auf jene umgekehrte Weltanschaun.ug fällt, ist doch immer
ein romantisches, eine bengalische Flamme. Die Gegenstände, wie die Ideen, bleiben
nicht in ihrem richtigen Verhältniß, die Perspektiven verwandeln sich, die Forme»
gewinnen eine andere Bedeutung. Der Dichter, der diese Phantasmagorie
aufführt, muß sehr sicher in sich selbst sein, wenn er nicht in den Wahn ver¬
fallen soll, sein Gemüth sei nicht blos der Spiegel, soudern die Quelle aller der
wunderbaren Bilder, die er darstellt. Die Verrückung der Perspektive» führt M
Unwahrheit gegen sich selbst, und da diese Unwahrheit mit Unsicherheit verknüpft
ist, zu einer eitlen Empfindlichkeit, die größern Spott verdient, als Alles, was
sie selber verspottet.

Diese Renommisterei des Gefühls, die viel unangenehmer ist, als die Fal-
staff'sche Renommisterei, macht mir Heine'S Erscheinung um so widerwärtiger, da
sie der Typus in der Physiognomie der meisten unsrer „großen Männer" ist.
habe mich in einem frühern Anfsäiz darüber ausgesprochen, und begnüge mich !M
damit, das Verhältniß seiner nettesten Schriften zu seinen frühere» festzustellen.

Zunächst haben wir den „Doctor Faust, ein Tanzpvem", wie er es nennt, an¬
geblich für Lnmley's Gesellschaft bestimmt, mit kritischen Anmerkungen über die
Entstehung der Faustsage. Ueber dieses Tauzpoem ist nichts weiter zu sag"',
als daß es wider Wissen und Willen des Dichters von seinem realen Verhältniß
zur Poesie ein Bild giebt. Auch er sieht in der Welt und in ihren idealen
Combinationen eigentlich nnr Opern- und Balleteffeete, und er zeigt in dem
Arrangement dieses Ballets dasselbe Geschick, das er früher i» der kaleidoskopi¬
schen Vermischung der herrschenden Ideen, Wünsche «ud^ Hoffnungen gezeigt hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/248>, abgerufen am 23.07.2024.