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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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belustigen. Indeß liegen doch zu viel historische Gründe vor, als daß wir diesem
Zweifel ernstlich Raum geben sollten. Wir nehmen den Abschied vom Publi-
cum, an das er sich nach seiner Erklärung endlich so gewohnt hat, daß er in
ihm eine Art von vernünftigem Wesen sah, ernsthaft, und versuchen es, ihm, wie
es sich gegen einen Scheidenden ziemt, gerecht zu werden.

Heine hat für die deutsche Literatur viel Gutes und viel Böses gewirkt.
Seine Reisebilder waren im Jahre 1826 das erste freie Aufathmen, nachdem
Deutschland lange Zeit von einer schweren und schwülen Atmosphäre nieder¬
gedrückt war. Zum ersten Mal horte man inmitten der Nachtmcholdc, mit denen
die Leicheuphantasie der Nestaurationsdichter uns beschenkt hatte, ein lautes, über¬
müthiges und aus der Seele kommendes Gelächter. Dieses große Verdienst
dürfen wir Heine nicht vergessen. Der absolute Unsinn, der in unsrem Denken
und Dichten damals herrschend war, wäre dnrch kritischen Ernst und Gelehrsamkeit
allein niemals unterdrückt worden. Ein deutscher Gelehrter ist viel zu unbehilf-
lich und viel zu gewissenhaft in seinem Studium des Vorhandenen, als daß er
mit diesen Pagoden und Götzenbildern, die man damals auf deu Altar gestellt
hatte, jemals zu Rande gekommen wäre; es war nöthig, daß ein kecker Hanswurst
mitten unter diesen wüsten Naritäteutram sprang, mit seinem hölzernen Schwert
rechts und links um sich schlug, und durch seine possenhaften Sprünge im Volke
jene Heiterkeit erregte, die allein im Stande war, den trüben, umwölkten Blick
aufzuhellen. Heine hat aber uoch mehr gethan. Er hat den Spuk nicht blos
verscheucht, er hat ihn auch zu einem komischen Ideal umgeschaffen. Er ist der
Dichter jener umgekehrten Weltordnung, in der das Chaos zu seinem Recht kommt.
Im Atta Troll findet sich ein allerliebstes Traumgesicht, ein Tanz von Bären
und Gespenstern, der durch den Ort des Traums, die Hexenküche, in welcher der
durchnäßte Dichter unruhig schläft, und durch die dazwischen klingenden zerstreuten
Accorde einer halbvergessenen Rührung und Wehmuth ein noch komischeres Ansehen
gewinnt. Es ist ein Bild von Heine'S Poesie überhaupt. Zwar finden sich unter
seinen Gedichten einzelne, in denen uns ein positives, ursprüngliches Gefühl ohne
Beimischung störender Elemente anspricht, aber die Zahl derselben ist sehr gering,
und anch sie gewinnen dnrch die danebenstehenden Poesien eine ganz andere Be¬
leuchtung. Die wirkliche Liebe, das Gefühl für Freiheit, für das Vaterland,
selbst für die Religion, findet in seiner Poesie seine Stelle, aber es ist nicht
die Grundlage derselben. Die toll ausgelassene Lust, mit der ein Kind die
widersprechendsten Gegenstände durchciuauderwirft, athmet in seinen Gedichten, nur
mit.dem Unterschied, daß sein Verhältniß zu den Gegenständen kein kindliches ist,,
sondern vermittelt durch eine unendliche Reihe von Nester.lonen, dnrch welche da
frühere Zeitalter diese babylonische Verwirrung zusammengehäuft hatte, und du
sich alle in der Seele des Dichters Wiederspiegel".

Diese Poesie des Chaos verlangt zweierlei, wenn sie ihre Berechtigung


belustigen. Indeß liegen doch zu viel historische Gründe vor, als daß wir diesem
Zweifel ernstlich Raum geben sollten. Wir nehmen den Abschied vom Publi-
cum, an das er sich nach seiner Erklärung endlich so gewohnt hat, daß er in
ihm eine Art von vernünftigem Wesen sah, ernsthaft, und versuchen es, ihm, wie
es sich gegen einen Scheidenden ziemt, gerecht zu werden.

Heine hat für die deutsche Literatur viel Gutes und viel Böses gewirkt.
Seine Reisebilder waren im Jahre 1826 das erste freie Aufathmen, nachdem
Deutschland lange Zeit von einer schweren und schwülen Atmosphäre nieder¬
gedrückt war. Zum ersten Mal horte man inmitten der Nachtmcholdc, mit denen
die Leicheuphantasie der Nestaurationsdichter uns beschenkt hatte, ein lautes, über¬
müthiges und aus der Seele kommendes Gelächter. Dieses große Verdienst
dürfen wir Heine nicht vergessen. Der absolute Unsinn, der in unsrem Denken
und Dichten damals herrschend war, wäre dnrch kritischen Ernst und Gelehrsamkeit
allein niemals unterdrückt worden. Ein deutscher Gelehrter ist viel zu unbehilf-
lich und viel zu gewissenhaft in seinem Studium des Vorhandenen, als daß er
mit diesen Pagoden und Götzenbildern, die man damals auf deu Altar gestellt
hatte, jemals zu Rande gekommen wäre; es war nöthig, daß ein kecker Hanswurst
mitten unter diesen wüsten Naritäteutram sprang, mit seinem hölzernen Schwert
rechts und links um sich schlug, und durch seine possenhaften Sprünge im Volke
jene Heiterkeit erregte, die allein im Stande war, den trüben, umwölkten Blick
aufzuhellen. Heine hat aber uoch mehr gethan. Er hat den Spuk nicht blos
verscheucht, er hat ihn auch zu einem komischen Ideal umgeschaffen. Er ist der
Dichter jener umgekehrten Weltordnung, in der das Chaos zu seinem Recht kommt.
Im Atta Troll findet sich ein allerliebstes Traumgesicht, ein Tanz von Bären
und Gespenstern, der durch den Ort des Traums, die Hexenküche, in welcher der
durchnäßte Dichter unruhig schläft, und durch die dazwischen klingenden zerstreuten
Accorde einer halbvergessenen Rührung und Wehmuth ein noch komischeres Ansehen
gewinnt. Es ist ein Bild von Heine'S Poesie überhaupt. Zwar finden sich unter
seinen Gedichten einzelne, in denen uns ein positives, ursprüngliches Gefühl ohne
Beimischung störender Elemente anspricht, aber die Zahl derselben ist sehr gering,
und anch sie gewinnen dnrch die danebenstehenden Poesien eine ganz andere Be¬
leuchtung. Die wirkliche Liebe, das Gefühl für Freiheit, für das Vaterland,
selbst für die Religion, findet in seiner Poesie seine Stelle, aber es ist nicht
die Grundlage derselben. Die toll ausgelassene Lust, mit der ein Kind die
widersprechendsten Gegenstände durchciuauderwirft, athmet in seinen Gedichten, nur
mit.dem Unterschied, daß sein Verhältniß zu den Gegenständen kein kindliches ist,,
sondern vermittelt durch eine unendliche Reihe von Nester.lonen, dnrch welche da
frühere Zeitalter diese babylonische Verwirrung zusammengehäuft hatte, und du
sich alle in der Seele des Dichters Wiederspiegel».

Diese Poesie des Chaos verlangt zweierlei, wenn sie ihre Berechtigung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/246>, abgerufen am 23.07.2024.