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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Polnischen Nachbildungen hingegen zeigt sich die Armuth immer nnr im Einzelnen
als etwas Zufälliges. Der ehrliche Schneider- oder Schustermeister ist verarmt,
weil er bestohlen worden, oder weil ihm sein Hans abgebrannt ist. Das ist ein
Unglück, die Gesellschaft aber und ihre Institutionen sind daran ganz unschuldig,
"ut um dein guten Mann zu helfen, bedarf es keiner Radicalreform derselben
"ut keiner Organisation der Arbeit auf einer neuen Grundlage; eine kleine
Collecte oder ein Treffer in der Lotterie ist vollkommen ausreichend. Es fehlte
daher deu traurigen Geschichten die rechte Tendenz, und die eigentliche Tendenz
fiel beinahe ans der Erzählung heraus.

Und doch hatte man hier ein großes sociales Uebel bei der Hand, und brauchte
nur hineinzugreifen, um Stoff zu vielen Bänden von Tendenzromanen zu gewinnen,
nämlich das Unterthanenverhältniß mit seinen traurigen Folgen und mit allen
Mißbräuchen, zu denen es Anlaß giebt.

Da hatte mau ja, was die Socialisten Ausbeutung des Menschen durch den
Menschen nennen, in einer viel reinern und primitivem Form, als im Verhält¬
nisse zwischen dem Fabrikanten und dem Arbeiter. Was ist die Abhängigkeit
des industriellen Arbeiters von seinem Arbeitsgeber gegen die Abhängigkeit des
rvbothpflichtigen Baners von seiner Gutsherrschaft? Auch war hier das Uebel
ein solches, welches offenbar blos in den Institutionen lag, und somit ganz gewiß
durch die Gesetzgebung beseitigt werden konnte, was doch bei dem Pauperismus
zum mindesten sehr problematisch ist. Und dennoch findet man nicht, daß dieser
Stoff gehörig benutzt worden wäre; die Poeten ließen sich von der Gesetzgebung
Zuvorkommen, und das Unterthansverhältniß wurde aufgehoben, bevor sie daran
gedacht hatten, es ästhetisch auszubeuten. Worin liegt die Ursache? Ist etwa
der dem Volke mangelnde industrielle Geist daran schuld, daß man seine heiml-
ichen Verhältnisse und Zustände nicht poetisch verarbeiten kann, wie man auch
sonst seine Rohstoffe nicht zu veredeln weiß? Das wäre möglich. In der That
aber vermied man dieses Thema geflissentlich, weil man die Noth der Bauern
'naht grell schildern konnte, ohne daß der Edelmann in der Rolle des Drängers
^schienen wäre; und das vertrüge sich schlecht mit den Sympathien der schrei¬
benden Demokraten für den niedern Adel. Wir wollen daraus Niemand einen
Vorwurf machen, hier zu Lande sind die demokratischen Autoren einmal Junker
"ut Gutsbesitzer; -- aber wir constatiren ein Factum.

Es fehlt hier durchgängig an Mitgefühl und Verständniß für die Lage des
Bauers. Ein Gutsherr, der zur Erntezeit nicht genug Arbeiter austreiben kann, ist in
den Augen der Meisten weit eher ein Gegenstand des Bedauerns, als ein Bauer,
der drei Tage in der Woche robothen muß. Das Recht aus Arbeit, von dem
die Socialisten reden, faßt man hier eher, als das Recht des Arbeitgebers aus
b>e Leistungen des Arbeiters aus, und als Organisation derselben sähe man am


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Polnischen Nachbildungen hingegen zeigt sich die Armuth immer nnr im Einzelnen
als etwas Zufälliges. Der ehrliche Schneider- oder Schustermeister ist verarmt,
weil er bestohlen worden, oder weil ihm sein Hans abgebrannt ist. Das ist ein
Unglück, die Gesellschaft aber und ihre Institutionen sind daran ganz unschuldig,
»ut um dein guten Mann zu helfen, bedarf es keiner Radicalreform derselben
»ut keiner Organisation der Arbeit auf einer neuen Grundlage; eine kleine
Collecte oder ein Treffer in der Lotterie ist vollkommen ausreichend. Es fehlte
daher deu traurigen Geschichten die rechte Tendenz, und die eigentliche Tendenz
fiel beinahe ans der Erzählung heraus.

Und doch hatte man hier ein großes sociales Uebel bei der Hand, und brauchte
nur hineinzugreifen, um Stoff zu vielen Bänden von Tendenzromanen zu gewinnen,
nämlich das Unterthanenverhältniß mit seinen traurigen Folgen und mit allen
Mißbräuchen, zu denen es Anlaß giebt.

Da hatte mau ja, was die Socialisten Ausbeutung des Menschen durch den
Menschen nennen, in einer viel reinern und primitivem Form, als im Verhält¬
nisse zwischen dem Fabrikanten und dem Arbeiter. Was ist die Abhängigkeit
des industriellen Arbeiters von seinem Arbeitsgeber gegen die Abhängigkeit des
rvbothpflichtigen Baners von seiner Gutsherrschaft? Auch war hier das Uebel
ein solches, welches offenbar blos in den Institutionen lag, und somit ganz gewiß
durch die Gesetzgebung beseitigt werden konnte, was doch bei dem Pauperismus
zum mindesten sehr problematisch ist. Und dennoch findet man nicht, daß dieser
Stoff gehörig benutzt worden wäre; die Poeten ließen sich von der Gesetzgebung
Zuvorkommen, und das Unterthansverhältniß wurde aufgehoben, bevor sie daran
gedacht hatten, es ästhetisch auszubeuten. Worin liegt die Ursache? Ist etwa
der dem Volke mangelnde industrielle Geist daran schuld, daß man seine heiml-
ichen Verhältnisse und Zustände nicht poetisch verarbeiten kann, wie man auch
sonst seine Rohstoffe nicht zu veredeln weiß? Das wäre möglich. In der That
aber vermied man dieses Thema geflissentlich, weil man die Noth der Bauern
'naht grell schildern konnte, ohne daß der Edelmann in der Rolle des Drängers
^schienen wäre; und das vertrüge sich schlecht mit den Sympathien der schrei¬
benden Demokraten für den niedern Adel. Wir wollen daraus Niemand einen
Vorwurf machen, hier zu Lande sind die demokratischen Autoren einmal Junker
"ut Gutsbesitzer; — aber wir constatiren ein Factum.

Es fehlt hier durchgängig an Mitgefühl und Verständniß für die Lage des
Bauers. Ein Gutsherr, der zur Erntezeit nicht genug Arbeiter austreiben kann, ist in
den Augen der Meisten weit eher ein Gegenstand des Bedauerns, als ein Bauer,
der drei Tage in der Woche robothen muß. Das Recht aus Arbeit, von dem
die Socialisten reden, faßt man hier eher, als das Recht des Arbeitgebers aus
b>e Leistungen des Arbeiters aus, und als Organisation derselben sähe man am


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[0239] Polnischen Nachbildungen hingegen zeigt sich die Armuth immer nnr im Einzelnen als etwas Zufälliges. Der ehrliche Schneider- oder Schustermeister ist verarmt, weil er bestohlen worden, oder weil ihm sein Hans abgebrannt ist. Das ist ein Unglück, die Gesellschaft aber und ihre Institutionen sind daran ganz unschuldig, »ut um dein guten Mann zu helfen, bedarf es keiner Radicalreform derselben »ut keiner Organisation der Arbeit auf einer neuen Grundlage; eine kleine Collecte oder ein Treffer in der Lotterie ist vollkommen ausreichend. Es fehlte daher deu traurigen Geschichten die rechte Tendenz, und die eigentliche Tendenz fiel beinahe ans der Erzählung heraus. Und doch hatte man hier ein großes sociales Uebel bei der Hand, und brauchte nur hineinzugreifen, um Stoff zu vielen Bänden von Tendenzromanen zu gewinnen, nämlich das Unterthanenverhältniß mit seinen traurigen Folgen und mit allen Mißbräuchen, zu denen es Anlaß giebt. Da hatte mau ja, was die Socialisten Ausbeutung des Menschen durch den Menschen nennen, in einer viel reinern und primitivem Form, als im Verhält¬ nisse zwischen dem Fabrikanten und dem Arbeiter. Was ist die Abhängigkeit des industriellen Arbeiters von seinem Arbeitsgeber gegen die Abhängigkeit des rvbothpflichtigen Baners von seiner Gutsherrschaft? Auch war hier das Uebel ein solches, welches offenbar blos in den Institutionen lag, und somit ganz gewiß durch die Gesetzgebung beseitigt werden konnte, was doch bei dem Pauperismus zum mindesten sehr problematisch ist. Und dennoch findet man nicht, daß dieser Stoff gehörig benutzt worden wäre; die Poeten ließen sich von der Gesetzgebung Zuvorkommen, und das Unterthansverhältniß wurde aufgehoben, bevor sie daran gedacht hatten, es ästhetisch auszubeuten. Worin liegt die Ursache? Ist etwa der dem Volke mangelnde industrielle Geist daran schuld, daß man seine heiml- ichen Verhältnisse und Zustände nicht poetisch verarbeiten kann, wie man auch sonst seine Rohstoffe nicht zu veredeln weiß? Das wäre möglich. In der That aber vermied man dieses Thema geflissentlich, weil man die Noth der Bauern 'naht grell schildern konnte, ohne daß der Edelmann in der Rolle des Drängers ^schienen wäre; und das vertrüge sich schlecht mit den Sympathien der schrei¬ benden Demokraten für den niedern Adel. Wir wollen daraus Niemand einen Vorwurf machen, hier zu Lande sind die demokratischen Autoren einmal Junker "ut Gutsbesitzer; — aber wir constatiren ein Factum. Es fehlt hier durchgängig an Mitgefühl und Verständniß für die Lage des Bauers. Ein Gutsherr, der zur Erntezeit nicht genug Arbeiter austreiben kann, ist in den Augen der Meisten weit eher ein Gegenstand des Bedauerns, als ein Bauer, der drei Tage in der Woche robothen muß. Das Recht aus Arbeit, von dem die Socialisten reden, faßt man hier eher, als das Recht des Arbeitgebers aus b>e Leistungen des Arbeiters aus, und als Organisation derselben sähe man am 30*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/239>, abgerufen am 23.07.2024.