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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Schlachziz und der Tochter eines Magnaten kann in der Regel nicht vor dem
fünften Acte im Drama oder dem dritten Bande im Roman stattfinden, und
der Poet hat mit dem Zustandebringen derselben eben so viel und noch mehr
Noth, als ein deutscher Dichter vor funfzig Jahren mit seinen Mesalliancen.

Das Vorherrschen der demokratischen Richtung bei den meisten belletristischen
Autoren äußert sich hierbei vorzüglich dadurch, daß sich im Ganzen in den Charakter¬
schilderungen eine gewisse Vorliebe für den niedern Adel und eine Parteilichkeit
zu Gunsten desselben gegenüber dem höhern kund giebt. Man hat zwar darüber
noch keine genauen statistische" Tabelle", aber man kann annehmen, daß in polni¬
schen Romanen im Durchschnitte auf drei edle Landjunker kaum ein leidlich tugend¬
hafter 8'i'!uiä-"c!iKnmu- kommt. Ein besonders oft wiederkehrender Charakter ist
der Schlachziz, wie er sein soll. Ein alter Landedelmann, lebt er auf seinem Gute
schlecht nud recht, wirthschaftet jedoch, ohne Geld zu sparen, ist gastfrei, höflich,
tapfer, gutmüthig, liebt das Vaterland und die gute alte Zeit, und kaun das neue
fremdländische Wesen nicht leiden. Ihm gegenüber steht dann als Kontrast der
übermüthige Magnat. Der ist viel zu lange im Auslande geblieben, spricht allzu
gut französisch und verachtet die heimische Sprache nud Sitte. Dann und wann
entgeht freilich auch die Schlacht" uicht der Censur. Aber das geschieht fast nnr,
wenn der Schlachziz aus seiner eigentlichen Stellung hinausgehen und den Mag¬
naten spielen will. Dann erscheint er ungefähr in der Rolle des KourAvoi^-KvU'
Mwlmuv oder, wie man hier zu Lande sagt, als viol^ na "ana, das heißt als
Einer, der an der Herrnsncht leidet, äfft den hohen Adel äußerst plump nach,
und wird höchst lächerlich.

In neuester Zeit hat man, wie überall, auch hier angefangen, nach franzö¬
sischem Muster sociale Tendenzroinane zu arbeite". Für dieses Genre reicht mir
das adelige Personal der einheimischen Romantik nicht ans, Fabriken aber und
Arbeiter im beschränkten modernen Sinn giebt es keine; man mußte daher
zu Surrogaten seine Zuflucht nehmen, substituirte gewöhnliche Handwerker,
Schneider und Schuster statt der Fabrikarbeiter, und gab ihnen die Rolle
der Proletarier. Man machte sie arm, krank und elend, bescheerte ihnen zahlreiche
Familien und schmalen Verdienst, viele schulde" und harte Gläubiger, ließ sie
hungern und frieren, kurz man sparte nichts an Noth und Jammer, und konnte
doch mit den Franzosen nicht Concurrenz hallen. Den" in den Erzeugnissen
Jener zeigte sich der Pauperismus etwas als Product der ökonomischen E"t-
wickclnng, der Herrschaft des Capitals,, der Concurrenz der Maschine u. s. w.
Die philanthropischen Poeten hatten daher gute Gelegenheit, auf die socialistische"
Mittel hinzuweisen, mit welchen ihrer Meinung nach den geschilderten Uebeln abzu¬
helfen ist; sie konnten an passenden Stellen vom Rechte aus Arbeit, vom Principe
der Association im Gegensatze zu dem der Concurrenz von Volksbanken und
Nationalwerkstätten sprechen, und was dergleichen Dinge mehr sind. In den


Schlachziz und der Tochter eines Magnaten kann in der Regel nicht vor dem
fünften Acte im Drama oder dem dritten Bande im Roman stattfinden, und
der Poet hat mit dem Zustandebringen derselben eben so viel und noch mehr
Noth, als ein deutscher Dichter vor funfzig Jahren mit seinen Mesalliancen.

Das Vorherrschen der demokratischen Richtung bei den meisten belletristischen
Autoren äußert sich hierbei vorzüglich dadurch, daß sich im Ganzen in den Charakter¬
schilderungen eine gewisse Vorliebe für den niedern Adel und eine Parteilichkeit
zu Gunsten desselben gegenüber dem höhern kund giebt. Man hat zwar darüber
noch keine genauen statistische» Tabelle», aber man kann annehmen, daß in polni¬
schen Romanen im Durchschnitte auf drei edle Landjunker kaum ein leidlich tugend¬
hafter 8'i'!uiä-«c!iKnmu- kommt. Ein besonders oft wiederkehrender Charakter ist
der Schlachziz, wie er sein soll. Ein alter Landedelmann, lebt er auf seinem Gute
schlecht nud recht, wirthschaftet jedoch, ohne Geld zu sparen, ist gastfrei, höflich,
tapfer, gutmüthig, liebt das Vaterland und die gute alte Zeit, und kaun das neue
fremdländische Wesen nicht leiden. Ihm gegenüber steht dann als Kontrast der
übermüthige Magnat. Der ist viel zu lange im Auslande geblieben, spricht allzu
gut französisch und verachtet die heimische Sprache nud Sitte. Dann und wann
entgeht freilich auch die Schlacht« uicht der Censur. Aber das geschieht fast nnr,
wenn der Schlachziz aus seiner eigentlichen Stellung hinausgehen und den Mag¬
naten spielen will. Dann erscheint er ungefähr in der Rolle des KourAvoi^-KvU'
Mwlmuv oder, wie man hier zu Lande sagt, als viol^ na »ana, das heißt als
Einer, der an der Herrnsncht leidet, äfft den hohen Adel äußerst plump nach,
und wird höchst lächerlich.

In neuester Zeit hat man, wie überall, auch hier angefangen, nach franzö¬
sischem Muster sociale Tendenzroinane zu arbeite». Für dieses Genre reicht mir
das adelige Personal der einheimischen Romantik nicht ans, Fabriken aber und
Arbeiter im beschränkten modernen Sinn giebt es keine; man mußte daher
zu Surrogaten seine Zuflucht nehmen, substituirte gewöhnliche Handwerker,
Schneider und Schuster statt der Fabrikarbeiter, und gab ihnen die Rolle
der Proletarier. Man machte sie arm, krank und elend, bescheerte ihnen zahlreiche
Familien und schmalen Verdienst, viele schulde» und harte Gläubiger, ließ sie
hungern und frieren, kurz man sparte nichts an Noth und Jammer, und konnte
doch mit den Franzosen nicht Concurrenz hallen. Den» in den Erzeugnissen
Jener zeigte sich der Pauperismus etwas als Product der ökonomischen E»t-
wickclnng, der Herrschaft des Capitals,, der Concurrenz der Maschine u. s. w.
Die philanthropischen Poeten hatten daher gute Gelegenheit, auf die socialistische»
Mittel hinzuweisen, mit welchen ihrer Meinung nach den geschilderten Uebeln abzu¬
helfen ist; sie konnten an passenden Stellen vom Rechte aus Arbeit, vom Principe
der Association im Gegensatze zu dem der Concurrenz von Volksbanken und
Nationalwerkstätten sprechen, und was dergleichen Dinge mehr sind. In den


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[0238] Schlachziz und der Tochter eines Magnaten kann in der Regel nicht vor dem fünften Acte im Drama oder dem dritten Bande im Roman stattfinden, und der Poet hat mit dem Zustandebringen derselben eben so viel und noch mehr Noth, als ein deutscher Dichter vor funfzig Jahren mit seinen Mesalliancen. Das Vorherrschen der demokratischen Richtung bei den meisten belletristischen Autoren äußert sich hierbei vorzüglich dadurch, daß sich im Ganzen in den Charakter¬ schilderungen eine gewisse Vorliebe für den niedern Adel und eine Parteilichkeit zu Gunsten desselben gegenüber dem höhern kund giebt. Man hat zwar darüber noch keine genauen statistische» Tabelle», aber man kann annehmen, daß in polni¬ schen Romanen im Durchschnitte auf drei edle Landjunker kaum ein leidlich tugend¬ hafter 8'i'!uiä-«c!iKnmu- kommt. Ein besonders oft wiederkehrender Charakter ist der Schlachziz, wie er sein soll. Ein alter Landedelmann, lebt er auf seinem Gute schlecht nud recht, wirthschaftet jedoch, ohne Geld zu sparen, ist gastfrei, höflich, tapfer, gutmüthig, liebt das Vaterland und die gute alte Zeit, und kaun das neue fremdländische Wesen nicht leiden. Ihm gegenüber steht dann als Kontrast der übermüthige Magnat. Der ist viel zu lange im Auslande geblieben, spricht allzu gut französisch und verachtet die heimische Sprache nud Sitte. Dann und wann entgeht freilich auch die Schlacht« uicht der Censur. Aber das geschieht fast nnr, wenn der Schlachziz aus seiner eigentlichen Stellung hinausgehen und den Mag¬ naten spielen will. Dann erscheint er ungefähr in der Rolle des KourAvoi^-KvU' Mwlmuv oder, wie man hier zu Lande sagt, als viol^ na »ana, das heißt als Einer, der an der Herrnsncht leidet, äfft den hohen Adel äußerst plump nach, und wird höchst lächerlich. In neuester Zeit hat man, wie überall, auch hier angefangen, nach franzö¬ sischem Muster sociale Tendenzroinane zu arbeite». Für dieses Genre reicht mir das adelige Personal der einheimischen Romantik nicht ans, Fabriken aber und Arbeiter im beschränkten modernen Sinn giebt es keine; man mußte daher zu Surrogaten seine Zuflucht nehmen, substituirte gewöhnliche Handwerker, Schneider und Schuster statt der Fabrikarbeiter, und gab ihnen die Rolle der Proletarier. Man machte sie arm, krank und elend, bescheerte ihnen zahlreiche Familien und schmalen Verdienst, viele schulde» und harte Gläubiger, ließ sie hungern und frieren, kurz man sparte nichts an Noth und Jammer, und konnte doch mit den Franzosen nicht Concurrenz hallen. Den» in den Erzeugnissen Jener zeigte sich der Pauperismus etwas als Product der ökonomischen E»t- wickclnng, der Herrschaft des Capitals,, der Concurrenz der Maschine u. s. w. Die philanthropischen Poeten hatten daher gute Gelegenheit, auf die socialistische» Mittel hinzuweisen, mit welchen ihrer Meinung nach den geschilderten Uebeln abzu¬ helfen ist; sie konnten an passenden Stellen vom Rechte aus Arbeit, vom Principe der Association im Gegensatze zu dem der Concurrenz von Volksbanken und Nationalwerkstätten sprechen, und was dergleichen Dinge mehr sind. In den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/238>, abgerufen am 23.07.2024.