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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Kampf zwischen Aristokraten und Demokraten findet innerhalb des Adels selbst
statt: die Aristokraten sind der hohe, die Demokraten der niedere Adel.

Der alten polnischen Verfassung war dieser Unterschied völlig fremd. Es
bestand gruudgcsetzlich nur einerlei Adel: Szlachta. Selbst die Titel, mit denen
man in anderen Ländern die verschiedenen Adelsgrade bezeichnete, wie Graf,
Baron und dergl., waren hier nicht gebräuchlich, und zu Zeiten war es sogar
verboten sie zu sichren; die einzige für Alle gleiche Bezeichnung, war Edelmann,
Szlachcic. Das LehenSwesen mit seinem complicirten System von Ueber- und
Unterordnung und gegenseitiger Abhängigkeit zwischen Lehensherren-Vasallen und
Astcrvasallen bestand hier ebenfalls uicht. Der ganze Besitz des Adels war
^llnäium, jeder Besitzer von dem andern völlig unabhängig, und nnr dem Staate
verpflichtet. Vor dem Gesetze waren alle Edelleute völlig gleich, der geringste
Landjunker wie der mächtigste Magnat: 8/.IaeKeio na /aKroäsiv, hieß es,
eunt^ vHevoänw. Der Edelmann auf seinem Acker ist so gut als ein Woje-
wode. Jeder von ihnen konnte zum Könige gewählt werden, und der König
selbst war nur der Erste unter den Gleichen. Alle Edelleute sollten einander gleiche
sam als Brüder betrachten, und man nannte sie auch gewöhnlich K/laoliia dr-reier.

Die polnischen Geschichtschreiber pflegen daher gern die ehemalige Ver¬
fassung ihres Vaterlandes, die dem Ausländer als eine aristokratische erscheint,
höchst eigenthümlich als eine Adelsdemokratie, ^mivovliiäet-vo -nlackeckiv, zu
bezeichnen, und dies ist anch ziemlich richtig. Es war wirklich eine Demokratie,
denn alle Staatsbürger nahmen Theil an der Negierung und Verwaltung. Aber
Staatsbürger war uur der Edelmann. Nur er konnte Landgüter erwerben und
Aemter bekleiden. In den Reichstagen war sast ausschließlich nur er allein ver¬
treten, und uur für ihn galten die Landesgesetze. Die große Masse des Volkes,
die Bauern, waren völlig rechtlose Heloten, sie waren Sachen, mancipi", und
keine Personen. Die Bürger aber in den wenig zahlreichen größeren Städten
wurden als Fremdlinge betrachtet, was sie ursprünglich anch gewesen waren, und
die Städte waren gewissermaßen kleine Republiken in der Republik, sie hatten
ihr eigenes sächsisches Recht, und die Appellationen gingen außer Landes, z. B.
nach Magdeburg. Eine ähnliche, wenn gleich minder begünstigte Stellung hatten
die überall im Lande zerstreuten Juden. Auch sie hatten in den meisten Fällen
sür Streitigkeiten unter einander ihre eigenen jüdischen Richter, die nach der Bibel
und dem Talmud Recht sprachen. Das polnische Recht aber galt nur für den
eigentlichen Staatsbürger, für den Edelmann. Die Verfassung der Republik hatte
in dieser Beziehung die größte Aehnlichkeit mit den Demokratien des Alterthums,
wie dort die Freiheit und Gleichheit der Bürger über die Masse der arbeitenden
Sclaven erbaut war, so beruhte hier die Freiheit und Gleichheit des Adels auf
Leibeigenschaft der Bauern.

Aber freilich, mit dieser verfassungsmäßigen Freiheit, Gleichheit und Brüder-


Kampf zwischen Aristokraten und Demokraten findet innerhalb des Adels selbst
statt: die Aristokraten sind der hohe, die Demokraten der niedere Adel.

Der alten polnischen Verfassung war dieser Unterschied völlig fremd. Es
bestand gruudgcsetzlich nur einerlei Adel: Szlachta. Selbst die Titel, mit denen
man in anderen Ländern die verschiedenen Adelsgrade bezeichnete, wie Graf,
Baron und dergl., waren hier nicht gebräuchlich, und zu Zeiten war es sogar
verboten sie zu sichren; die einzige für Alle gleiche Bezeichnung, war Edelmann,
Szlachcic. Das LehenSwesen mit seinem complicirten System von Ueber- und
Unterordnung und gegenseitiger Abhängigkeit zwischen Lehensherren-Vasallen und
Astcrvasallen bestand hier ebenfalls uicht. Der ganze Besitz des Adels war
^llnäium, jeder Besitzer von dem andern völlig unabhängig, und nnr dem Staate
verpflichtet. Vor dem Gesetze waren alle Edelleute völlig gleich, der geringste
Landjunker wie der mächtigste Magnat: 8/.IaeKeio na /aKroäsiv, hieß es,
eunt^ vHevoänw. Der Edelmann auf seinem Acker ist so gut als ein Woje-
wode. Jeder von ihnen konnte zum Könige gewählt werden, und der König
selbst war nur der Erste unter den Gleichen. Alle Edelleute sollten einander gleiche
sam als Brüder betrachten, und man nannte sie auch gewöhnlich K/laoliia dr-reier.

Die polnischen Geschichtschreiber pflegen daher gern die ehemalige Ver¬
fassung ihres Vaterlandes, die dem Ausländer als eine aristokratische erscheint,
höchst eigenthümlich als eine Adelsdemokratie, ^mivovliiäet-vo -nlackeckiv, zu
bezeichnen, und dies ist anch ziemlich richtig. Es war wirklich eine Demokratie,
denn alle Staatsbürger nahmen Theil an der Negierung und Verwaltung. Aber
Staatsbürger war uur der Edelmann. Nur er konnte Landgüter erwerben und
Aemter bekleiden. In den Reichstagen war sast ausschließlich nur er allein ver¬
treten, und uur für ihn galten die Landesgesetze. Die große Masse des Volkes,
die Bauern, waren völlig rechtlose Heloten, sie waren Sachen, mancipi», und
keine Personen. Die Bürger aber in den wenig zahlreichen größeren Städten
wurden als Fremdlinge betrachtet, was sie ursprünglich anch gewesen waren, und
die Städte waren gewissermaßen kleine Republiken in der Republik, sie hatten
ihr eigenes sächsisches Recht, und die Appellationen gingen außer Landes, z. B.
nach Magdeburg. Eine ähnliche, wenn gleich minder begünstigte Stellung hatten
die überall im Lande zerstreuten Juden. Auch sie hatten in den meisten Fällen
sür Streitigkeiten unter einander ihre eigenen jüdischen Richter, die nach der Bibel
und dem Talmud Recht sprachen. Das polnische Recht aber galt nur für den
eigentlichen Staatsbürger, für den Edelmann. Die Verfassung der Republik hatte
in dieser Beziehung die größte Aehnlichkeit mit den Demokratien des Alterthums,
wie dort die Freiheit und Gleichheit der Bürger über die Masse der arbeitenden
Sclaven erbaut war, so beruhte hier die Freiheit und Gleichheit des Adels auf
Leibeigenschaft der Bauern.

Aber freilich, mit dieser verfassungsmäßigen Freiheit, Gleichheit und Brüder-


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[0232] Kampf zwischen Aristokraten und Demokraten findet innerhalb des Adels selbst statt: die Aristokraten sind der hohe, die Demokraten der niedere Adel. Der alten polnischen Verfassung war dieser Unterschied völlig fremd. Es bestand gruudgcsetzlich nur einerlei Adel: Szlachta. Selbst die Titel, mit denen man in anderen Ländern die verschiedenen Adelsgrade bezeichnete, wie Graf, Baron und dergl., waren hier nicht gebräuchlich, und zu Zeiten war es sogar verboten sie zu sichren; die einzige für Alle gleiche Bezeichnung, war Edelmann, Szlachcic. Das LehenSwesen mit seinem complicirten System von Ueber- und Unterordnung und gegenseitiger Abhängigkeit zwischen Lehensherren-Vasallen und Astcrvasallen bestand hier ebenfalls uicht. Der ganze Besitz des Adels war ^llnäium, jeder Besitzer von dem andern völlig unabhängig, und nnr dem Staate verpflichtet. Vor dem Gesetze waren alle Edelleute völlig gleich, der geringste Landjunker wie der mächtigste Magnat: 8/.IaeKeio na /aKroäsiv, hieß es, eunt^ vHevoänw. Der Edelmann auf seinem Acker ist so gut als ein Woje- wode. Jeder von ihnen konnte zum Könige gewählt werden, und der König selbst war nur der Erste unter den Gleichen. Alle Edelleute sollten einander gleiche sam als Brüder betrachten, und man nannte sie auch gewöhnlich K/laoliia dr-reier. Die polnischen Geschichtschreiber pflegen daher gern die ehemalige Ver¬ fassung ihres Vaterlandes, die dem Ausländer als eine aristokratische erscheint, höchst eigenthümlich als eine Adelsdemokratie, ^mivovliiäet-vo -nlackeckiv, zu bezeichnen, und dies ist anch ziemlich richtig. Es war wirklich eine Demokratie, denn alle Staatsbürger nahmen Theil an der Negierung und Verwaltung. Aber Staatsbürger war uur der Edelmann. Nur er konnte Landgüter erwerben und Aemter bekleiden. In den Reichstagen war sast ausschließlich nur er allein ver¬ treten, und uur für ihn galten die Landesgesetze. Die große Masse des Volkes, die Bauern, waren völlig rechtlose Heloten, sie waren Sachen, mancipi», und keine Personen. Die Bürger aber in den wenig zahlreichen größeren Städten wurden als Fremdlinge betrachtet, was sie ursprünglich anch gewesen waren, und die Städte waren gewissermaßen kleine Republiken in der Republik, sie hatten ihr eigenes sächsisches Recht, und die Appellationen gingen außer Landes, z. B. nach Magdeburg. Eine ähnliche, wenn gleich minder begünstigte Stellung hatten die überall im Lande zerstreuten Juden. Auch sie hatten in den meisten Fällen sür Streitigkeiten unter einander ihre eigenen jüdischen Richter, die nach der Bibel und dem Talmud Recht sprachen. Das polnische Recht aber galt nur für den eigentlichen Staatsbürger, für den Edelmann. Die Verfassung der Republik hatte in dieser Beziehung die größte Aehnlichkeit mit den Demokratien des Alterthums, wie dort die Freiheit und Gleichheit der Bürger über die Masse der arbeitenden Sclaven erbaut war, so beruhte hier die Freiheit und Gleichheit des Adels auf Leibeigenschaft der Bauern. Aber freilich, mit dieser verfassungsmäßigen Freiheit, Gleichheit und Brüder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/232>, abgerufen am 23.07.2024.