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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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führen, scheinen gewissermaßen ihre Ansprüche zu rechtfertigen. Auch treten diese,
vielleicht eben weil sie vom Volke weniger bestritten werden, gewöhnlich unter
milderen, für den Nichtadeligen weniger verletzenden Formen hervor, als bei den
Junkern. Für den politisch Gebildeten kommt dann noch in Betracht, daß mau
in dem hohen Adel die Elemente einer künftigen Paine zu finden hofft, deren
Werth für den konstitutionellen Staat man an dem Beispiele Englands ermessen
gelernt hat, während der niedere Adel in der Beziehung völlig bedeutungslos
erscheint. Der hohe Adel erscheint daher als eine politische Institution, der
niedere als eine sociale Anomalie. Wo daher in Deutschland'der Adel ange¬
griffen oder lächerlich gemacht wird, ist es nicht so sehr die Erclusivität der xrcmäs-
sÄA-nun's, als vielmehr der Bauernstolz und die Anmaßung der Krautjunker, gegen
welche sich der Spott und die Satyre richten. Die einfachen Herren "von", die
Ritter und Freiherren, und in manchen Ländern noch die zahlreichen armen Gra¬
fen, nicht aber die Standesherren und Fürsten sitzen Modell zu den Caricaturen,
welche so häufig in Romanen und Komödien vom Adel entworfen werden.

Anders ist es dagegen in Polen. Hier ist der große nichtadelige Theil des
Volkes eigentlich noch gar nicht auf deu Schauplatz getreten; der Bauer hat
M Zeiten seinem Hasse gegen den Adel auf eine furchtbare Weise Luft gemacht,
aber das war ein Aufkochen instinctiven Rachegefühls, nicht eine bewußte politische
That. Er erschlug den Gutsherrn, der ihn so oft geschlagen, und plünderte
dessen Schloß, weil er so lange für ihn umsonst gearbeitet hatte; aber ein Kampf
gegen die Aristokratie war das nicht. Dazu gehört, wie in Deutschland, ein
Vürgerstand, der sich an Reichthum und Bildung mit dem Adel messen kann,
der sich ihm gleich fühlt; einen solchen aber giebt es bei uns nicht. Fabriken
und größere gewerbliche Etablissements sind nur sehr wenige, zumeist in den
Handen vou Fremden; der Handel ist sast ausschließlich Kleinhandel, Grundbesitz
aber ist in den Händen des Adels. Die wenigen reichgewordenen Gewerbsleute
können sich noch lange nicht messen mit den Gutsbesitzern. Hier giebt es noch
keine Kant" Knanov oder Kant" baaquv. Die prächtigsten Equipagen vor dem
Theater gehören noch dem Adel allein, und die elegantesten Toiletten auf den
Ballen zeigen nur seine Frauen und Töchter. Eben so ist er hier noch vorzugs¬
weise der Träger der Bildung. Die ernste Wissenschaft, die schöne Literatur
und die politische Journalistik werden vorzüglich von ihm cultivirt. Ja die ge-
sammte politische Literatur ist fast ganz das Product seiner Thätigkeit. In dieser
Beziehung ist seine Stellung fast eine entgegengesetzte wie die des deutschen
Adels. Während dort den Facultätsstndien und den sogenannten gelehrten Be-
rufsarten sich vorzüglich Bürgerliche zuwenden, werden sie hier zumeist von dem
"ledern Adel betrieben. Der Szlachcic ist Advocat, Journalist, Schriftsteller,
Professor u. s. w., er repräsentirt den Besitz und die Intelligenz. Die Stellung
des Adels ist daher hier noch eine sehr feste, noch gar uicht angegriffene, aber der


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führen, scheinen gewissermaßen ihre Ansprüche zu rechtfertigen. Auch treten diese,
vielleicht eben weil sie vom Volke weniger bestritten werden, gewöhnlich unter
milderen, für den Nichtadeligen weniger verletzenden Formen hervor, als bei den
Junkern. Für den politisch Gebildeten kommt dann noch in Betracht, daß mau
in dem hohen Adel die Elemente einer künftigen Paine zu finden hofft, deren
Werth für den konstitutionellen Staat man an dem Beispiele Englands ermessen
gelernt hat, während der niedere Adel in der Beziehung völlig bedeutungslos
erscheint. Der hohe Adel erscheint daher als eine politische Institution, der
niedere als eine sociale Anomalie. Wo daher in Deutschland'der Adel ange¬
griffen oder lächerlich gemacht wird, ist es nicht so sehr die Erclusivität der xrcmäs-
sÄA-nun's, als vielmehr der Bauernstolz und die Anmaßung der Krautjunker, gegen
welche sich der Spott und die Satyre richten. Die einfachen Herren „von", die
Ritter und Freiherren, und in manchen Ländern noch die zahlreichen armen Gra¬
fen, nicht aber die Standesherren und Fürsten sitzen Modell zu den Caricaturen,
welche so häufig in Romanen und Komödien vom Adel entworfen werden.

Anders ist es dagegen in Polen. Hier ist der große nichtadelige Theil des
Volkes eigentlich noch gar nicht auf deu Schauplatz getreten; der Bauer hat
M Zeiten seinem Hasse gegen den Adel auf eine furchtbare Weise Luft gemacht,
aber das war ein Aufkochen instinctiven Rachegefühls, nicht eine bewußte politische
That. Er erschlug den Gutsherrn, der ihn so oft geschlagen, und plünderte
dessen Schloß, weil er so lange für ihn umsonst gearbeitet hatte; aber ein Kampf
gegen die Aristokratie war das nicht. Dazu gehört, wie in Deutschland, ein
Vürgerstand, der sich an Reichthum und Bildung mit dem Adel messen kann,
der sich ihm gleich fühlt; einen solchen aber giebt es bei uns nicht. Fabriken
und größere gewerbliche Etablissements sind nur sehr wenige, zumeist in den
Handen vou Fremden; der Handel ist sast ausschließlich Kleinhandel, Grundbesitz
aber ist in den Händen des Adels. Die wenigen reichgewordenen Gewerbsleute
können sich noch lange nicht messen mit den Gutsbesitzern. Hier giebt es noch
keine Kant« Knanov oder Kant« baaquv. Die prächtigsten Equipagen vor dem
Theater gehören noch dem Adel allein, und die elegantesten Toiletten auf den
Ballen zeigen nur seine Frauen und Töchter. Eben so ist er hier noch vorzugs¬
weise der Träger der Bildung. Die ernste Wissenschaft, die schöne Literatur
und die politische Journalistik werden vorzüglich von ihm cultivirt. Ja die ge-
sammte politische Literatur ist fast ganz das Product seiner Thätigkeit. In dieser
Beziehung ist seine Stellung fast eine entgegengesetzte wie die des deutschen
Adels. Während dort den Facultätsstndien und den sogenannten gelehrten Be-
rufsarten sich vorzüglich Bürgerliche zuwenden, werden sie hier zumeist von dem
»ledern Adel betrieben. Der Szlachcic ist Advocat, Journalist, Schriftsteller,
Professor u. s. w., er repräsentirt den Besitz und die Intelligenz. Die Stellung
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/231>, abgerufen am 23.07.2024.