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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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sich zwei Mänaden mit zügellosen Geberden in wildem Tanze um die Ranken:
es sind die kikonischen Weiber, welche den Sänger zerrissen, weil er ihre. Liebe
verschmähte. Das untere Medaillon enthält den Kopf des Theseus, ein an-
muthig lichtes, echt griechisches Profil von edlen Formen; um den Helm schlingt
sich der Lorbeerkranz. Theseus wählte der Künstler als eigentlichen Repräsen¬
tanten des Griechenthums, das anch am Helden in schöner und milder Mensch¬
lichkeit erscheint. Die höchste Lieblichkeit des griechischen Mythus jedoch enthüllt
sich uns im vierten Arabcskcnsclde: Amor und Psyche in tosender Umarmung,
Mei graziös bewegte Gestalten. Darunter dann im schließenden Oblong der
Vater der griechischen Philosophie, Pythagoras. Er liegt am Boden, und
halt in der Rechten die Kugel, deren Gestalt bekanntlich die Pythagoräer schon
der Erde zuschrieben, und in der Linken das rechtwinklige Dreieck, auf welchem
der pythagoräische Lehrsatz sich begründet.

Der jüdische Cultus beginnt auf dem fünften Pilaster mit dem israelitischen
Zeichen Gottes, dem erhabenen Menschenhaupte, von Flügeln getragen, von
Wolken umgeben, Sonnenstrahlen entsendend. Im ersten Arabeskenselde ist das
ans vier Wesen bestehende Thier der Apokalypse dargestellt, von welchem später
jeder Evangelist zu seinem Sinnbilde einen Theil empfing: ein Menschenleib mit
^uiem Kopf halb Stier halb Löwe und mit Adlerflügeln. Darunter steht der
Ursache Altar, der die Stätte Bethel bezeichnet; zwei Menschenkinder im Ge¬
bete davor. Der Erzvater Jakob richtete an der Stelle, wo er den Traum von
der Himmelsleiter träumte, deu Stein, ans dem sein Haupt geruht, zu einem
Denkmal Gottes aus, salbte den Stein mit Oel und nannte die Stätte El Bethel,
Hans Gottes. Im obern Medaillon das Sinnbild Jehovah's: ein Stern von
DoppeMigeln, darin das Wort zu lesen. Im zweiten Arabeskenselde halten
'idam und Eva im Paradiese unter dem Apfelbaum einander umschlungen, zwei
'"it seinem Natursinn gebildete Gestalten. Neben Adam das Sinnbild stolzer
Manneskraft, der Löwe, neben Eva das Sinnbild weiblicher Sanftmuth, das
Lamm. Eva empfängt von der Schlange, die aus den Zweigen des Baumes
sich hervvrringelt, den Apfel der Erkenntniß. Die Blütyenköpfe der Arabesken
""gen sich herab, und weinen über der Menschen Fall. Der Genius in der
Mische entfaltet die fünf Bücher Mose. Darunter ans dem Stamm der Ara¬
beske der Prophet Samuel, ein vor dem Herrn kniender Greis mit lang her¬
fallendem Barte, wie er die Oelhvrner ausgießt und die Könige salbt, welche
W Krähengestalt wieder vor ihm aus den Arabeskenranken knien. Im untern
Medaillon zieht ein jugendlich schöner, wohlfrisirter Kopf mit der Königskrone
"user Auge an und fesselt es angenehm. Es ist das Bildniß Salomo's, des
Weisen und Prächtigen, in dessen Tracht und Ausdruck zierliche Lust mit geist¬
vollen Zügen sich mischt. Im vierten Arabeskenselde ruht die Bundes lade
"uf den Mgelspitzcu zweier Cherubim, welche den goldenen, aus einem Stücke


Grenzboten, IV. ->8L-I. 28

sich zwei Mänaden mit zügellosen Geberden in wildem Tanze um die Ranken:
es sind die kikonischen Weiber, welche den Sänger zerrissen, weil er ihre. Liebe
verschmähte. Das untere Medaillon enthält den Kopf des Theseus, ein an-
muthig lichtes, echt griechisches Profil von edlen Formen; um den Helm schlingt
sich der Lorbeerkranz. Theseus wählte der Künstler als eigentlichen Repräsen¬
tanten des Griechenthums, das anch am Helden in schöner und milder Mensch¬
lichkeit erscheint. Die höchste Lieblichkeit des griechischen Mythus jedoch enthüllt
sich uns im vierten Arabcskcnsclde: Amor und Psyche in tosender Umarmung,
Mei graziös bewegte Gestalten. Darunter dann im schließenden Oblong der
Vater der griechischen Philosophie, Pythagoras. Er liegt am Boden, und
halt in der Rechten die Kugel, deren Gestalt bekanntlich die Pythagoräer schon
der Erde zuschrieben, und in der Linken das rechtwinklige Dreieck, auf welchem
der pythagoräische Lehrsatz sich begründet.

Der jüdische Cultus beginnt auf dem fünften Pilaster mit dem israelitischen
Zeichen Gottes, dem erhabenen Menschenhaupte, von Flügeln getragen, von
Wolken umgeben, Sonnenstrahlen entsendend. Im ersten Arabeskenselde ist das
ans vier Wesen bestehende Thier der Apokalypse dargestellt, von welchem später
jeder Evangelist zu seinem Sinnbilde einen Theil empfing: ein Menschenleib mit
^uiem Kopf halb Stier halb Löwe und mit Adlerflügeln. Darunter steht der
Ursache Altar, der die Stätte Bethel bezeichnet; zwei Menschenkinder im Ge¬
bete davor. Der Erzvater Jakob richtete an der Stelle, wo er den Traum von
der Himmelsleiter träumte, deu Stein, ans dem sein Haupt geruht, zu einem
Denkmal Gottes aus, salbte den Stein mit Oel und nannte die Stätte El Bethel,
Hans Gottes. Im obern Medaillon das Sinnbild Jehovah's: ein Stern von
DoppeMigeln, darin das Wort zu lesen. Im zweiten Arabeskenselde halten
'idam und Eva im Paradiese unter dem Apfelbaum einander umschlungen, zwei
'"it seinem Natursinn gebildete Gestalten. Neben Adam das Sinnbild stolzer
Manneskraft, der Löwe, neben Eva das Sinnbild weiblicher Sanftmuth, das
Lamm. Eva empfängt von der Schlange, die aus den Zweigen des Baumes
sich hervvrringelt, den Apfel der Erkenntniß. Die Blütyenköpfe der Arabesken
"«gen sich herab, und weinen über der Menschen Fall. Der Genius in der
Mische entfaltet die fünf Bücher Mose. Darunter ans dem Stamm der Ara¬
beske der Prophet Samuel, ein vor dem Herrn kniender Greis mit lang her¬
fallendem Barte, wie er die Oelhvrner ausgießt und die Könige salbt, welche
W Krähengestalt wieder vor ihm aus den Arabeskenranken knien. Im untern
Medaillon zieht ein jugendlich schöner, wohlfrisirter Kopf mit der Königskrone
"user Auge an und fesselt es angenehm. Es ist das Bildniß Salomo's, des
Weisen und Prächtigen, in dessen Tracht und Ausdruck zierliche Lust mit geist¬
vollen Zügen sich mischt. Im vierten Arabeskenselde ruht die Bundes lade
"uf den Mgelspitzcu zweier Cherubim, welche den goldenen, aus einem Stücke


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[0221] sich zwei Mänaden mit zügellosen Geberden in wildem Tanze um die Ranken: es sind die kikonischen Weiber, welche den Sänger zerrissen, weil er ihre. Liebe verschmähte. Das untere Medaillon enthält den Kopf des Theseus, ein an- muthig lichtes, echt griechisches Profil von edlen Formen; um den Helm schlingt sich der Lorbeerkranz. Theseus wählte der Künstler als eigentlichen Repräsen¬ tanten des Griechenthums, das anch am Helden in schöner und milder Mensch¬ lichkeit erscheint. Die höchste Lieblichkeit des griechischen Mythus jedoch enthüllt sich uns im vierten Arabcskcnsclde: Amor und Psyche in tosender Umarmung, Mei graziös bewegte Gestalten. Darunter dann im schließenden Oblong der Vater der griechischen Philosophie, Pythagoras. Er liegt am Boden, und halt in der Rechten die Kugel, deren Gestalt bekanntlich die Pythagoräer schon der Erde zuschrieben, und in der Linken das rechtwinklige Dreieck, auf welchem der pythagoräische Lehrsatz sich begründet. Der jüdische Cultus beginnt auf dem fünften Pilaster mit dem israelitischen Zeichen Gottes, dem erhabenen Menschenhaupte, von Flügeln getragen, von Wolken umgeben, Sonnenstrahlen entsendend. Im ersten Arabeskenselde ist das ans vier Wesen bestehende Thier der Apokalypse dargestellt, von welchem später jeder Evangelist zu seinem Sinnbilde einen Theil empfing: ein Menschenleib mit ^uiem Kopf halb Stier halb Löwe und mit Adlerflügeln. Darunter steht der Ursache Altar, der die Stätte Bethel bezeichnet; zwei Menschenkinder im Ge¬ bete davor. Der Erzvater Jakob richtete an der Stelle, wo er den Traum von der Himmelsleiter träumte, deu Stein, ans dem sein Haupt geruht, zu einem Denkmal Gottes aus, salbte den Stein mit Oel und nannte die Stätte El Bethel, Hans Gottes. Im obern Medaillon das Sinnbild Jehovah's: ein Stern von DoppeMigeln, darin das Wort zu lesen. Im zweiten Arabeskenselde halten 'idam und Eva im Paradiese unter dem Apfelbaum einander umschlungen, zwei '"it seinem Natursinn gebildete Gestalten. Neben Adam das Sinnbild stolzer Manneskraft, der Löwe, neben Eva das Sinnbild weiblicher Sanftmuth, das Lamm. Eva empfängt von der Schlange, die aus den Zweigen des Baumes sich hervvrringelt, den Apfel der Erkenntniß. Die Blütyenköpfe der Arabesken "«gen sich herab, und weinen über der Menschen Fall. Der Genius in der Mische entfaltet die fünf Bücher Mose. Darunter ans dem Stamm der Ara¬ beske der Prophet Samuel, ein vor dem Herrn kniender Greis mit lang her¬ fallendem Barte, wie er die Oelhvrner ausgießt und die Könige salbt, welche W Krähengestalt wieder vor ihm aus den Arabeskenranken knien. Im untern Medaillon zieht ein jugendlich schöner, wohlfrisirter Kopf mit der Königskrone "user Auge an und fesselt es angenehm. Es ist das Bildniß Salomo's, des Weisen und Prächtigen, in dessen Tracht und Ausdruck zierliche Lust mit geist¬ vollen Zügen sich mischt. Im vierten Arabeskenselde ruht die Bundes lade "uf den Mgelspitzcu zweier Cherubim, welche den goldenen, aus einem Stücke Grenzboten, IV. ->8L-I. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/221>, abgerufen am 23.07.2024.