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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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welchem Isis den Sarg seines Vaters Osiris zur Grabstätte geleitete, und unter
ihm die beiden Sphinxe vollenden den Ausdruck jenes ernst Geheimnißvollen und
Räthselhaften, worin sich die ganze Gemüthswelt des Aegypters erging. Es ist
hiermit zugleich das Verhältniß der Nachwelt zu den Denkmalen und Ueber¬
lieferungen jener fernen Vergangenheit angedeutet. Doch steht die ägyptische
Bildung nicht folgelos da für die Geschichte der Cultur. Wie ans dem Pfeiler
Danaus den Zusammenhang derselben mit Griechenland bezeichnet, so auf dem
eben geschilderten dritten Pilaster im untern Oblong die Gestalt des Philosophen
Sonchis, bei welchem Pythagoras Jahre verlebte und dessen Lehre in sich
aufnahm.

" Am vierten Pilaster entfaltet sich nun zu schöner'Menschlichkeit das griechische
Wesen. Im obern Oblong Uranos, ein greises Menschenhaupt, dessen Haar
sich in Strahlen gleich einer Sonne ringsum auslegt, und von den Sternen des
Himmels umkreist. Darunter im ersten Arabeskenfelde das Standbild der Diana
von Ephesus, der Mutter Natur, die aus vielen Brüsten Alles, was da lebt,
ernährt. Sie ist mumienartig gestaltet, der obere Theil des Leibes mit Brüsten
bedeckt. An ihren ausgestreckten Armen, mit denen sie eine Blüthenkette trägt,
lausen zwei Hirsche empor. Als städtctragende Mutter Erde hat sie die Mauer¬
krone auf dem Haupt, und ist sie zugleich ganz besonders die Mutter der Mensch¬
heit, deren Lebenskeime sie als Göttin der Nacht (Selene) durch ihre Entwicke-
lung hindurch schirmt und fördert, bis sie den Tag begrüßen. Denn im Dunkel
des mütterlichen Schovßes wird der Keim des menschlichen Lebens empfangen,
treibt er seine ersten Gestaltungen, und steht, bis er zu vollem Leben gediehe"
und mit der Geburt an das Licht hervortritt, unter dem Schutze derjenigen weib¬
lichen Gottheit, welche die heimliche Nacht durch ihr stilles Walten belebt. Jo
obern Medaillon zeigt sich der Kopf des Helios, des Sonnengottes, der mit
leuchtenden Strahlenaugen herniederschaut, Alles sieht und Alles vernimmt, und
daher auch Alles an das Licht bringt, was vor diesem scheu zu entfliehen
sucht. Sinnig vereinte ihn die griechische Mythe mit dem göttlichen Urheber aller
schönen Geistesbildung, Apollon. Im zweiten Arabcskenfelde schwingen sich aus
den Kronen zweier Sonnenblumen Genien mit Sonne und Mond, dem herrlichen
Geschwisterpaar des Phoebus und der Artemis, zurKrde hinab, welche so eben
dem Atlas auf die Schultern geladen wird; Herkules leistet dabei hilfreiche Hand.
Es sind zwei markige Heldengestalten mit plastischer Bezeichnung des muskelkräf¬
tigen Körperbaues. Aus der Rolle des Genius in der mittlern Architektur lesen wir:
Theogoni, und denken dabei natürlich sogleich an die Theogonie des Hestodos,
welche die Erzeugung und Abstammung der Götter besingt. Im Arabeskenfelde
darunter kniet auf dem Schilde des Kandelabers der gottbegeisterte Orpheus,
und stimmt mystische Gesänge von der hehren Einheit des göttlichen Wesens an.
Menschlein und Thierlein lauschen ihm. Am Fuß der Arabeske aber schwingen


welchem Isis den Sarg seines Vaters Osiris zur Grabstätte geleitete, und unter
ihm die beiden Sphinxe vollenden den Ausdruck jenes ernst Geheimnißvollen und
Räthselhaften, worin sich die ganze Gemüthswelt des Aegypters erging. Es ist
hiermit zugleich das Verhältniß der Nachwelt zu den Denkmalen und Ueber¬
lieferungen jener fernen Vergangenheit angedeutet. Doch steht die ägyptische
Bildung nicht folgelos da für die Geschichte der Cultur. Wie ans dem Pfeiler
Danaus den Zusammenhang derselben mit Griechenland bezeichnet, so auf dem
eben geschilderten dritten Pilaster im untern Oblong die Gestalt des Philosophen
Sonchis, bei welchem Pythagoras Jahre verlebte und dessen Lehre in sich
aufnahm.

» Am vierten Pilaster entfaltet sich nun zu schöner'Menschlichkeit das griechische
Wesen. Im obern Oblong Uranos, ein greises Menschenhaupt, dessen Haar
sich in Strahlen gleich einer Sonne ringsum auslegt, und von den Sternen des
Himmels umkreist. Darunter im ersten Arabeskenfelde das Standbild der Diana
von Ephesus, der Mutter Natur, die aus vielen Brüsten Alles, was da lebt,
ernährt. Sie ist mumienartig gestaltet, der obere Theil des Leibes mit Brüsten
bedeckt. An ihren ausgestreckten Armen, mit denen sie eine Blüthenkette trägt,
lausen zwei Hirsche empor. Als städtctragende Mutter Erde hat sie die Mauer¬
krone auf dem Haupt, und ist sie zugleich ganz besonders die Mutter der Mensch¬
heit, deren Lebenskeime sie als Göttin der Nacht (Selene) durch ihre Entwicke-
lung hindurch schirmt und fördert, bis sie den Tag begrüßen. Denn im Dunkel
des mütterlichen Schovßes wird der Keim des menschlichen Lebens empfangen,
treibt er seine ersten Gestaltungen, und steht, bis er zu vollem Leben gediehe«
und mit der Geburt an das Licht hervortritt, unter dem Schutze derjenigen weib¬
lichen Gottheit, welche die heimliche Nacht durch ihr stilles Walten belebt. Jo
obern Medaillon zeigt sich der Kopf des Helios, des Sonnengottes, der mit
leuchtenden Strahlenaugen herniederschaut, Alles sieht und Alles vernimmt, und
daher auch Alles an das Licht bringt, was vor diesem scheu zu entfliehen
sucht. Sinnig vereinte ihn die griechische Mythe mit dem göttlichen Urheber aller
schönen Geistesbildung, Apollon. Im zweiten Arabcskenfelde schwingen sich aus
den Kronen zweier Sonnenblumen Genien mit Sonne und Mond, dem herrlichen
Geschwisterpaar des Phoebus und der Artemis, zurKrde hinab, welche so eben
dem Atlas auf die Schultern geladen wird; Herkules leistet dabei hilfreiche Hand.
Es sind zwei markige Heldengestalten mit plastischer Bezeichnung des muskelkräf¬
tigen Körperbaues. Aus der Rolle des Genius in der mittlern Architektur lesen wir:
Theogoni, und denken dabei natürlich sogleich an die Theogonie des Hestodos,
welche die Erzeugung und Abstammung der Götter besingt. Im Arabeskenfelde
darunter kniet auf dem Schilde des Kandelabers der gottbegeisterte Orpheus,
und stimmt mystische Gesänge von der hehren Einheit des göttlichen Wesens an.
Menschlein und Thierlein lauschen ihm. Am Fuß der Arabeske aber schwingen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/220>, abgerufen am 23.07.2024.