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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Zu diesen beiden Erzählungen füge ich noch eine kleine, die Lob verdient, "Die
Wanderschiist des Schwaben mit dem lieben Gott", die sich beide ans höchst er¬
götzliche Weise einander betrügen.

Alles Uebrige, was in diesem Bande steht, ist ganz schlecht und zum Theil bis
zum Ekel widerwärtig. -- Die erste Erzählung, "die Chronik des fahrenden
Schülers", die Brentano selbst sehr charakteristisch mit dem Nationalgetränk des
Camillenthecs vergleicht, ist von einer so affectirter Süßlichkeit und einem so manie-
rirten kindlichen Wesen, daß Franz Stcrnbald, und Alles, was der Ritter Fvnqu"
ersonnen hat, dagegen wie reine Natur aussieht. Die tugendsamen Personen,
die hvlzschuittartigeu Heiligenbilder, die Sternlein, Kreuzlein, liebe Seelche", lieb
Mütterlein und ähnliche Diminutive, die sich darin drängen, sind unerträglich, und
werden durch die vollständige Inhaltlosigkeit der Erzählungen noch langweiliger;
doch findet sich ein sehr hübsches Lied darin. -- "Die Blätter aus dem
Tagebuche der Ahnfrau" siud so absurd und unverständlich, daß man nie
dahinter kommt, ob man es mit Spaß oder mit Ernst zu thun hat. Die einzige
klare Vorstellung, die MM davon trägt, ist die, daß der Heldin des Stückes,
eiuer sehr jungen Gräfin von Hennegau, die eine Anstalt für arme Kinder
gründet, fortwährend die Füße geküßt werden; im klebrigen hat man es Vorzugs-
weise mit Hühnern zu thun. Eine Reihe mythischer und allegorischer Hühner, die
zu dem Wappen der Grasen von Hennegau in Beziehung stehen, gackern auf
eine so geschwätzige Weise durch einander, daß mau selbst die Klapperstörche, die
Hammclstntze, das Geschnurr der Spinnstuben und das Brodeln des Kessels, in
welchem Kamillenthee gekocht wird, nicht vernehmen kauu. Neben dein frommen
Hühnlein ist anch viel von dem Mythus eines Bübleins die Rede, nud außerdem
von einem Korallengeschmeide, welches die Gräfinnen von Badutz auch in der Nacht
nicht von der Schulter nehmen dürfe", sie müssen daher stets auf der rechten
Seite liegen, nud es sind Einflüsterungen des Teufels, wenn sie sich zuweilen auf
die linke wenden; in diesem Falle berühren sie gewöhnlich eine keusche Lilicn-
jungfrau, die darüber wahnsinnig wird, bis eine zweite Berührung sie heilt.
Dieses Geschmeide ist eigentlich der R>"g Salomonis, der in der Kosmogonie
eine tiefe Bedeutung hat. -- All dieser Unsinn wird mit einer Feierlichkeit und
Salbung vorgetragen, und dabei in eiuer von Diminutiveu so zersetzten Sprache,
daß man sich zuweilen uach Zacharias Werner wie nach einem recht klaren und
verständigen Denker sehnt. -- Das eine von den Liedern in dieser Erzählung
kann als Normallied gelten, denn bei seiner vollständigen Sinnlosigkeit ist doch
eine gewisse Stimmung darin, was überhaupt für Brentano am meisten ein Un¬
recht auf den Garten der Poesie begründen dürfte. Es fängt damit an, aufzu¬
zählen, wie verschiedene Personen das Entgegengesetzte von dem träumen, was sie
im Leben thun, und fährt dann fort:


Zu diesen beiden Erzählungen füge ich noch eine kleine, die Lob verdient, „Die
Wanderschiist des Schwaben mit dem lieben Gott", die sich beide ans höchst er¬
götzliche Weise einander betrügen.

Alles Uebrige, was in diesem Bande steht, ist ganz schlecht und zum Theil bis
zum Ekel widerwärtig. — Die erste Erzählung, „die Chronik des fahrenden
Schülers", die Brentano selbst sehr charakteristisch mit dem Nationalgetränk des
Camillenthecs vergleicht, ist von einer so affectirter Süßlichkeit und einem so manie-
rirten kindlichen Wesen, daß Franz Stcrnbald, und Alles, was der Ritter Fvnqu«
ersonnen hat, dagegen wie reine Natur aussieht. Die tugendsamen Personen,
die hvlzschuittartigeu Heiligenbilder, die Sternlein, Kreuzlein, liebe Seelche», lieb
Mütterlein und ähnliche Diminutive, die sich darin drängen, sind unerträglich, und
werden durch die vollständige Inhaltlosigkeit der Erzählungen noch langweiliger;
doch findet sich ein sehr hübsches Lied darin. — „Die Blätter aus dem
Tagebuche der Ahnfrau" siud so absurd und unverständlich, daß man nie
dahinter kommt, ob man es mit Spaß oder mit Ernst zu thun hat. Die einzige
klare Vorstellung, die MM davon trägt, ist die, daß der Heldin des Stückes,
eiuer sehr jungen Gräfin von Hennegau, die eine Anstalt für arme Kinder
gründet, fortwährend die Füße geküßt werden; im klebrigen hat man es Vorzugs-
weise mit Hühnern zu thun. Eine Reihe mythischer und allegorischer Hühner, die
zu dem Wappen der Grasen von Hennegau in Beziehung stehen, gackern auf
eine so geschwätzige Weise durch einander, daß mau selbst die Klapperstörche, die
Hammclstntze, das Geschnurr der Spinnstuben und das Brodeln des Kessels, in
welchem Kamillenthee gekocht wird, nicht vernehmen kauu. Neben dein frommen
Hühnlein ist anch viel von dem Mythus eines Bübleins die Rede, nud außerdem
von einem Korallengeschmeide, welches die Gräfinnen von Badutz auch in der Nacht
nicht von der Schulter nehmen dürfe», sie müssen daher stets auf der rechten
Seite liegen, nud es sind Einflüsterungen des Teufels, wenn sie sich zuweilen auf
die linke wenden; in diesem Falle berühren sie gewöhnlich eine keusche Lilicn-
jungfrau, die darüber wahnsinnig wird, bis eine zweite Berührung sie heilt.
Dieses Geschmeide ist eigentlich der R>"g Salomonis, der in der Kosmogonie
eine tiefe Bedeutung hat. — All dieser Unsinn wird mit einer Feierlichkeit und
Salbung vorgetragen, und dabei in eiuer von Diminutiveu so zersetzten Sprache,
daß man sich zuweilen uach Zacharias Werner wie nach einem recht klaren und
verständigen Denker sehnt. — Das eine von den Liedern in dieser Erzählung
kann als Normallied gelten, denn bei seiner vollständigen Sinnlosigkeit ist doch
eine gewisse Stimmung darin, was überhaupt für Brentano am meisten ein Un¬
recht auf den Garten der Poesie begründen dürfte. Es fängt damit an, aufzu¬
zählen, wie verschiedene Personen das Entgegengesetzte von dem träumen, was sie
im Leben thun, und fährt dann fort:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/208>, abgerufen am 24.07.2024.