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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Nach dieser Zeit empfand ich stets in mir eine bestimmte Neigung zu gewissen
Bildern und Zusammenstellungen .... Die bittersten Arzneien, z. B. Quassia,
schmeckte ich mit einer ganz eigenen Lust; die menschliche Schönheit, die mich se'
angelacht und vor mir in Staub zerfallen mein Herz so tief betrübt hatte, er¬
schien mir wie ein freudig lachendes Gift, und mich zu trösten ergötzte ich mich
Sunden lang, ein reinfarbiges Stück Grünspan anzusehen; die wunderbaren Blüthen
der Belladonua und anderer Giftpflanzen machten mir eigene Lust, zugleich aber
auch die Grauatblüthe und die Lilie." -- Das war acht Jahre vor seinem Eintritt
ins Kloster geschrieben, und wenn wir auch die Eoquetterie davon abrechnen, die mit
derartigen Gefühlsausbrüchen unvermeidlich verbunden ist, so bleibt doch genug übrig,
um sür die Grundanlage der Weltanschauung, durch welche der Dichter das Zeitalter
verklären soll, das Schlimmste zu befürchten. Sein ganzes Leben und Dichte"
war darauf hin gerichtet, ein Asyl zu finden, in welchem er von der Leidenschaft
seiner Gedanken nicht angefochten würde; er suchte es in der katholischen Kirche
und in der allerbrutalsten Bigotterie, aber er konnte sich niemals ganz jener
Ironie erwehren, die auch seine heiligsten Mienen durch eine krampfhaft ver¬
zerrte Tenfelsfratze verdrängte. In einem langen und für seinen Charakter ziem¬
lich lehrreichen Gedicht zum Andenken eiuer wunderlichen Heiligen, Katharina
Emmerich, mit der er in vielfacher Verbindung stand, und auf die wir noch später
kommen, sagt er:

Dieses Kreuz habe ihn bewahrt, als er übermüthig in die Hölle herab-
gestiegen sei, und die Hölle habe ihn ausgestoßen, und er habe lange zwischen Licht
und finsterm Grans in der Wüsten Mitte geschwebt, "eingemauert in die Säule
eigener Nacht", bis er endlich den "Mutterpfennig" wiederfand. -- Das Kre"j
tritt aber bei ihm nicht mit jener naiven Siegesgewißheit auf wie bei Calderon,
er muß sich von Zeit zu Zeit in Ekstase und Verzückungen versetzen, um daran
festzuhalten und sich vor jeuer Frivolität zu bewahren, die ihn wie ein Fieber
überfällt.

Aus dieser Trübe und Aengstlichkeit seines Glaubens ist auch das Hastig
Unvermittelte seiner Darstellung zu erklären; diese beständigen Sprünge ans H>^
in Frost, diese studirte Einfachheit, die dann plötzlich ins Uebcrschwengliche M
verliert: eine Launenhaftigkeit, welche die meisten seiner Schriften ungemep'
bar macht.


Nach dieser Zeit empfand ich stets in mir eine bestimmte Neigung zu gewissen
Bildern und Zusammenstellungen .... Die bittersten Arzneien, z. B. Quassia,
schmeckte ich mit einer ganz eigenen Lust; die menschliche Schönheit, die mich se'
angelacht und vor mir in Staub zerfallen mein Herz so tief betrübt hatte, er¬
schien mir wie ein freudig lachendes Gift, und mich zu trösten ergötzte ich mich
Sunden lang, ein reinfarbiges Stück Grünspan anzusehen; die wunderbaren Blüthen
der Belladonua und anderer Giftpflanzen machten mir eigene Lust, zugleich aber
auch die Grauatblüthe und die Lilie." — Das war acht Jahre vor seinem Eintritt
ins Kloster geschrieben, und wenn wir auch die Eoquetterie davon abrechnen, die mit
derartigen Gefühlsausbrüchen unvermeidlich verbunden ist, so bleibt doch genug übrig,
um sür die Grundanlage der Weltanschauung, durch welche der Dichter das Zeitalter
verklären soll, das Schlimmste zu befürchten. Sein ganzes Leben und Dichte»
war darauf hin gerichtet, ein Asyl zu finden, in welchem er von der Leidenschaft
seiner Gedanken nicht angefochten würde; er suchte es in der katholischen Kirche
und in der allerbrutalsten Bigotterie, aber er konnte sich niemals ganz jener
Ironie erwehren, die auch seine heiligsten Mienen durch eine krampfhaft ver¬
zerrte Tenfelsfratze verdrängte. In einem langen und für seinen Charakter ziem¬
lich lehrreichen Gedicht zum Andenken eiuer wunderlichen Heiligen, Katharina
Emmerich, mit der er in vielfacher Verbindung stand, und auf die wir noch später
kommen, sagt er:

Dieses Kreuz habe ihn bewahrt, als er übermüthig in die Hölle herab-
gestiegen sei, und die Hölle habe ihn ausgestoßen, und er habe lange zwischen Licht
und finsterm Grans in der Wüsten Mitte geschwebt, „eingemauert in die Säule
eigener Nacht", bis er endlich den „Mutterpfennig" wiederfand. — Das Kre»j
tritt aber bei ihm nicht mit jener naiven Siegesgewißheit auf wie bei Calderon,
er muß sich von Zeit zu Zeit in Ekstase und Verzückungen versetzen, um daran
festzuhalten und sich vor jeuer Frivolität zu bewahren, die ihn wie ein Fieber
überfällt.

Aus dieser Trübe und Aengstlichkeit seines Glaubens ist auch das Hastig
Unvermittelte seiner Darstellung zu erklären; diese beständigen Sprünge ans H>^
in Frost, diese studirte Einfachheit, die dann plötzlich ins Uebcrschwengliche M
verliert: eine Launenhaftigkeit, welche die meisten seiner Schriften ungemep'
bar macht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/206>, abgerufen am 24.07.2024.