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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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den Worte seiner fränkischen Freunde, selbst bemüht den Umsturz seines Thrones
und den Untergang seines Stammes vorzubereiten in unseliger Verblendung,
während gerade das Gegentheil ihn sicher zum Ziele und zu gleichem Ruhme
mit seinen Vorfahren führen müßte.

Wir müssen hierbei, auf eigene Anschauung gestützt, zugeben, daß unbestreit¬
bar eine gewisse tiefere, wenn gleich nur instinctmäßig gefühlte, Wahrheit in
dieser und ähnlichen Aeußerungen des Türken liegt. Auch wir müssen Jeden
fragen, der anch nur flüchtig türkische Provinzen durchstreift, ob hier ein Ueber-
gang, eine Verschmelzung denkbar? Wer möchte nach eigenen Anblicke noch so
gutmüthig sein, zu glauben, daß ein wahrhaft entgegenkommendes Nachgeben von
Seite des trägen, doch starren Türken, oder daß eine Versöhnung der christlichen
Bevölkerung möglich? -- Treue Ergebenheit zu hoffen von dieser Raja, die
seit Jahrhunderten in ihren männlichen und weiblichen Mitgliedern ohne Unterlaß
gehöhnt, geschändet und muthwillig hingeschlachtet, so lange in das härteste
Joch gespannt wurde, das die Geschichte keimt, und die nnn plötzlich gleichberech¬
tigt und bewaffnet werden soll, während sie mit hassendem Hoffen den alte"
kriegerischen Geist nen belebt, dnrch nordische Sendlinge aufgewühlt wird und
theilweise schon der eigenen Ueberlegenheit bewußt, nur das Hereinbrechen deö
Stammes- und 'glanbenöverwandten Schirmhcrrn erwartet, um das blutige Fest
der Rache zu feiern; fürwahr, es ist mehr als ein Hirngespinnst ohnegleichen, es
ist eine Komödie.

Ja, eine Komödie ist die türkische Reform. Eine Selbsttäuschung derer,
die sie unternahmen, und eine Quelle wunderlicher und trauriger Mißverständnisse
für die Türken, welche sie erdulden. Denn trotz ansposauuter Gleichberechtigung
umgiebt, wie wir glaube", in Folge einer klug berechneten Jneonsegnenz, der
Sultan sich nur mit muselmännischen Dienern und rechtgläubigen bewaffnete"
Schaaren, und übt durch sie ausschließlich alle Gewalt, während diese herrschende
Race mit Sorgfalt eine hinlängliche Gabe dessen bewahrt, was allein noch die
Lebenskraft des weiten Reiches bedingt, nämlich den ungezügelten Uebermuth des
Rechtgläubigen und den nngebengteu Geschlechtshochmuth des Stammes, und
es wohnt, sie unversehrt zu bewahre", dem Türken eine eigene Art zäher Wider"
standskraft inne.

Wenn derselbe nämlich sehr erschrocken ist, daß sein Herr und Gebieter frei¬
gebig Ehrenkleider u. s. w. denselben Christcnhnnden spendet, denen er früher
zur Ehre des Propheten und zur eigenen Lust ins Antlitz gespuckt, so übersteigt
der Fall allerdings sehr sein widerspenstiges Begriffsvermögen, aber zuletzt bietet
ihm die Religion und seine Politik noch einen Ausweg. Im fanatischen Glau-
benseifer das. selbst Erlebte nicht zugehend, betrachtet er das Ganze entweder nur
als bösen Traum, vorgegaukelt von einem der vielen gefallenen Engel, oder listig
in den Bart lächelnd, glaubt er, eine durch die Weisheit des Großherrn schlau


den Worte seiner fränkischen Freunde, selbst bemüht den Umsturz seines Thrones
und den Untergang seines Stammes vorzubereiten in unseliger Verblendung,
während gerade das Gegentheil ihn sicher zum Ziele und zu gleichem Ruhme
mit seinen Vorfahren führen müßte.

Wir müssen hierbei, auf eigene Anschauung gestützt, zugeben, daß unbestreit¬
bar eine gewisse tiefere, wenn gleich nur instinctmäßig gefühlte, Wahrheit in
dieser und ähnlichen Aeußerungen des Türken liegt. Auch wir müssen Jeden
fragen, der anch nur flüchtig türkische Provinzen durchstreift, ob hier ein Ueber-
gang, eine Verschmelzung denkbar? Wer möchte nach eigenen Anblicke noch so
gutmüthig sein, zu glauben, daß ein wahrhaft entgegenkommendes Nachgeben von
Seite des trägen, doch starren Türken, oder daß eine Versöhnung der christlichen
Bevölkerung möglich? — Treue Ergebenheit zu hoffen von dieser Raja, die
seit Jahrhunderten in ihren männlichen und weiblichen Mitgliedern ohne Unterlaß
gehöhnt, geschändet und muthwillig hingeschlachtet, so lange in das härteste
Joch gespannt wurde, das die Geschichte keimt, und die nnn plötzlich gleichberech¬
tigt und bewaffnet werden soll, während sie mit hassendem Hoffen den alte»
kriegerischen Geist nen belebt, dnrch nordische Sendlinge aufgewühlt wird und
theilweise schon der eigenen Ueberlegenheit bewußt, nur das Hereinbrechen deö
Stammes- und 'glanbenöverwandten Schirmhcrrn erwartet, um das blutige Fest
der Rache zu feiern; fürwahr, es ist mehr als ein Hirngespinnst ohnegleichen, es
ist eine Komödie.

Ja, eine Komödie ist die türkische Reform. Eine Selbsttäuschung derer,
die sie unternahmen, und eine Quelle wunderlicher und trauriger Mißverständnisse
für die Türken, welche sie erdulden. Denn trotz ansposauuter Gleichberechtigung
umgiebt, wie wir glaube», in Folge einer klug berechneten Jneonsegnenz, der
Sultan sich nur mit muselmännischen Dienern und rechtgläubigen bewaffnete»
Schaaren, und übt durch sie ausschließlich alle Gewalt, während diese herrschende
Race mit Sorgfalt eine hinlängliche Gabe dessen bewahrt, was allein noch die
Lebenskraft des weiten Reiches bedingt, nämlich den ungezügelten Uebermuth des
Rechtgläubigen und den nngebengteu Geschlechtshochmuth des Stammes, und
es wohnt, sie unversehrt zu bewahre», dem Türken eine eigene Art zäher Wider"
standskraft inne.

Wenn derselbe nämlich sehr erschrocken ist, daß sein Herr und Gebieter frei¬
gebig Ehrenkleider u. s. w. denselben Christcnhnnden spendet, denen er früher
zur Ehre des Propheten und zur eigenen Lust ins Antlitz gespuckt, so übersteigt
der Fall allerdings sehr sein widerspenstiges Begriffsvermögen, aber zuletzt bietet
ihm die Religion und seine Politik noch einen Ausweg. Im fanatischen Glau-
benseifer das. selbst Erlebte nicht zugehend, betrachtet er das Ganze entweder nur
als bösen Traum, vorgegaukelt von einem der vielen gefallenen Engel, oder listig
in den Bart lächelnd, glaubt er, eine durch die Weisheit des Großherrn schlau


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/194>, abgerufen am 23.07.2024.