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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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scher Geschlechter ist sein weites Reich, nebst dessen geknechteten frühern Bewoh¬
nern, das rechtmäßige und unbestreitbare Eigenthum des Türken, der zwar kaum
den Namen der etwas entfernteren Provinzen kennt, jedoch nicht einen Augen¬
blick zweifelt, daß dieselben den blühendsten und reichsten Theil der bewohnten
Erde umschließen, und allein würdig sind, das erste Volk der Erde zu beherbergen.
Behaglich streckt sich demnach der wahre Moslim aus; die kühnen Gestalten der
alten Heldensultane erglänzen für ihn noch im Sonnenlichte einer ruhmvollen Gegen¬
wart, und wiegen ihn in süße Träume ungetrübt durch den Gedanken an die Thaten¬
losigkeit herabgewürdigter Jahrhunderte. Rager doch noch die Zinnen der Mo¬
scheen stolz empor, und rufen den Gläubigen zur Audacht, ihre geheiligte Schwelle
streug verschließend dem ungläubigen Hunde, dessen Vorfahren sie doch, wenig¬
stens der Mehrzahl nach, mit Mühe, Schweiß und Blut zu Ehren des Gekreuzigten
erbaut und vertheidiget.

Wol wären so manche schwere Zeichen der Zeit geeignet, Unruhe in die
beschauliche Gegenpart zu bringen; doch ist dies Sache Allah's und des Propheten,
höchstens noch des Großherrn, und geht den rechtgläubigen Muselmann gar nichts
"n; zudem ist für ihn eben diese Gegenwart nur ein flüchtiges Gaukelspiel, die
Znkunsr allein wird entscheiden, und sie gehört dem unwiderruflichen Walten des
Fettums. Die Erziehung eiues ganzen Lebens und das ausdrückliche Gebot des
Koraus untersagen streug, das Gebiet des Herrn auch nur in Gedanken zu be¬
trete", und der ohnedies nicht sehr zur Geistesthätigkeit geneigte Sohn Osman's
sendet es somit im Interesse sowol seines Seelenheils, als seiner vielgeliebten
Bequemlichkeit, sich seinem Schöpfer wohlgefällig zu erweisen, indem er die lästige
Sorge für seine eigenen Angelegenheiten Andern in demselben Maße überläßt, als
^h dieselben verschlechtern.

Zeitweise jedoch beginnen trotzdem bange Zweifel, ja selbst gerechtes Ent¬
setzen seine gedankenlos bekümmerte Seele zu erfüllen, wenn er Kunde erhält
^'n der überhandnehmenden Entwürdigung seines Geschlechts, von dem, allen
göttlichen Sprüchen Hohn bietend-frevelnden Treiben, das die glorreiche Ober¬
herrlichkeit des Türken über die Erde, dieses höchste und unveräußerliche Gut seiner
N"ce, in ihren Grundfesten zu erschüttern scheint. Der Padischa, es ist zu den-
^n fürchterlich, und doch dringt davon die Mähr zu seinem Auge und Ohr,
"tho der Padischa reist von Zeit zu Zeit im Lande umher, und versammelt an sein
strahlendes Antlitz uicht nur die Edlen der Gläubigen, sondern auch die nieder¬
trächtigen Giaurs, und scheut sich nicht, laut und öffentlich zu verkünden: "Fortan
^'d ihr Alle gleich! -- kein Unterschied der Religion, kein Vorzug mehr der
Würde und des Stammes!" -- und ähnliche Schreckenöworte, die zu ersinnen
"Sünde, die auszusprechen, bis jetzt wenigstens, lebensgefährlich gewesen.

Ach, der Padischa ist, nach der Meinung seiner Getreuen, verlockt durch den
^rlösen Rath seine'r Minister und getrieben durch die ränkevoll einschmeicheln-


scher Geschlechter ist sein weites Reich, nebst dessen geknechteten frühern Bewoh¬
nern, das rechtmäßige und unbestreitbare Eigenthum des Türken, der zwar kaum
den Namen der etwas entfernteren Provinzen kennt, jedoch nicht einen Augen¬
blick zweifelt, daß dieselben den blühendsten und reichsten Theil der bewohnten
Erde umschließen, und allein würdig sind, das erste Volk der Erde zu beherbergen.
Behaglich streckt sich demnach der wahre Moslim aus; die kühnen Gestalten der
alten Heldensultane erglänzen für ihn noch im Sonnenlichte einer ruhmvollen Gegen¬
wart, und wiegen ihn in süße Träume ungetrübt durch den Gedanken an die Thaten¬
losigkeit herabgewürdigter Jahrhunderte. Rager doch noch die Zinnen der Mo¬
scheen stolz empor, und rufen den Gläubigen zur Audacht, ihre geheiligte Schwelle
streug verschließend dem ungläubigen Hunde, dessen Vorfahren sie doch, wenig¬
stens der Mehrzahl nach, mit Mühe, Schweiß und Blut zu Ehren des Gekreuzigten
erbaut und vertheidiget.

Wol wären so manche schwere Zeichen der Zeit geeignet, Unruhe in die
beschauliche Gegenpart zu bringen; doch ist dies Sache Allah's und des Propheten,
höchstens noch des Großherrn, und geht den rechtgläubigen Muselmann gar nichts
"n; zudem ist für ihn eben diese Gegenwart nur ein flüchtiges Gaukelspiel, die
Znkunsr allein wird entscheiden, und sie gehört dem unwiderruflichen Walten des
Fettums. Die Erziehung eiues ganzen Lebens und das ausdrückliche Gebot des
Koraus untersagen streug, das Gebiet des Herrn auch nur in Gedanken zu be¬
trete«, und der ohnedies nicht sehr zur Geistesthätigkeit geneigte Sohn Osman's
sendet es somit im Interesse sowol seines Seelenheils, als seiner vielgeliebten
Bequemlichkeit, sich seinem Schöpfer wohlgefällig zu erweisen, indem er die lästige
Sorge für seine eigenen Angelegenheiten Andern in demselben Maße überläßt, als
^h dieselben verschlechtern.

Zeitweise jedoch beginnen trotzdem bange Zweifel, ja selbst gerechtes Ent¬
setzen seine gedankenlos bekümmerte Seele zu erfüllen, wenn er Kunde erhält
^'n der überhandnehmenden Entwürdigung seines Geschlechts, von dem, allen
göttlichen Sprüchen Hohn bietend-frevelnden Treiben, das die glorreiche Ober¬
herrlichkeit des Türken über die Erde, dieses höchste und unveräußerliche Gut seiner
N«ce, in ihren Grundfesten zu erschüttern scheint. Der Padischa, es ist zu den-
^n fürchterlich, und doch dringt davon die Mähr zu seinem Auge und Ohr,
"tho der Padischa reist von Zeit zu Zeit im Lande umher, und versammelt an sein
strahlendes Antlitz uicht nur die Edlen der Gläubigen, sondern auch die nieder¬
trächtigen Giaurs, und scheut sich nicht, laut und öffentlich zu verkünden: „Fortan
^'d ihr Alle gleich! — kein Unterschied der Religion, kein Vorzug mehr der
Würde und des Stammes!" — und ähnliche Schreckenöworte, die zu ersinnen
"Sünde, die auszusprechen, bis jetzt wenigstens, lebensgefährlich gewesen.

Ach, der Padischa ist, nach der Meinung seiner Getreuen, verlockt durch den
^rlösen Rath seine'r Minister und getrieben durch die ränkevoll einschmeicheln-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/193>, abgerufen am 23.07.2024.