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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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erschütternden Episoden sich bewegt und im Hintergründe mit massenhaften Ele¬
menten wirkt, drängt sich hier in einem Kern- und Brennpunkte zusammen, stei¬
gert sich zu rein dramatischem Eindruck.

Deu Hohenpriester bezeichnet das leuchtend weiße Gewand und das Brust¬
schild mit den zwölf Edelsteinen der Stämme Israels. Hochaufgerichtet steht er
da, den linken Fuß auf eine verhüllte Leiche fliehend. Der rechte Arm ist er¬
hoben, und senkt von oben herab das breite Opfermcsser in des Priesters eigene
Brust, deun er hat beschlossen, weder selbst noch in seinem Stamme den Fall
Jerusalems zu überleben, noch den Untergang seines Volks, dessen Sünden er
kannte, das er oft in strafenden Worten gewarnt. Sein männlich schöner, unge-
"wiu lebeuvvllcr Kopf wendet sich im Schmerze zurück, doch ohne Verzerrung,
ruhig und fest, so daß wir das edle Profil erblicken. Bevor er die mörderische
Waffe gegen sich selbst erhob, begann er sein trauriges Opferwerk mit der Töd-
tung seiner beiden Söhne. Der eine von ihnen, ein prächtig gekleideter, halb
erwachsener Knabe von zierlich seinem Ban, hat sein Lebe" bereits verhaucht, und
sinkt entseelt vom Knie deö Vaters zu Boden. Der zweite, jüngere klammert
A) im Todeskrampfe an den herabhangenden Arm des Vaters, welcher den lei¬
denden Knaben zu umfassen sucht. Eine herrliche Gestalt ist anch die Gattin des
Hohenpriesters, die rechts vor Angst an ihm zusammenbricht und in die Knie
sinkt. Ihre linke Hand hält fest an seiner Schulter, und scheint den gehobenen
Arm des Gatten, der den Selbstmord zu vollenden im Begriff ist, niederziehen
zu wollen. Ihr Haupt wendet sich in schreckcnvvller Erregung rückwärts jenem
lüsternen Barbaren zu, vor dem ihre Weiblichkeit schaudert, und die Rechte deu-
auf den entblößten Busen, in deu sie deu erlösenden Stahl herbeiwünscht.
Alle diese Beziehungen find in Gestalt und Autlijz des schönen Weibes wunder¬
er geeinigt, das in der Gesichtsform wie im Ausdruck den reinsten Adel des na¬
tionalen Thpns trägt. Es ist eine furchtbare Tragödie, die in der Gruppe die¬
ser vier Gestalten sich vollzieht, und bei aller plastischem Ruhe der Zeichnung
eine erschütternde Gewalt, welche den Blick immer wieder an diese Stelle fesselt.

Je mehr man mit einem einzelnen Punkte sich beschäftigt, je aufmerksamer
'U"n ihn betrachtet, um so bestimmter treten an ihm verschiedene Seiten der Re¬
gionen entgegen, umso zahlreichere Motive enthüllen sich dem Auge. Die
Mannichfaltigkeit erscheint leicht als Widerspruch, und ruft deu Zweifel herbei,
door man überall in die Intention des Künstlers eindrang. So sind es nament¬
lich zwei Fragen, die ich von Diesem und Jenem bei Betrachtung der Hohen-
Vriester-Gruppe aufmerksam horte, und die allerdings im ersten Augenblicke einen
gerechten Vorwurf zu enthalten scheinen. Die erste Frage betrifft jene etwas
iheatralische Attitüde^ mit welcher der Hohepriester sich den Tod giebt: der hoch
erhobene Arm, um den Stahl von oben herab zwischen Hals und Brust einzu¬
lenken. Indem zu dieser ohne Zweifel absichtsvolle" Bewegung noch der Druck


erschütternden Episoden sich bewegt und im Hintergründe mit massenhaften Ele¬
menten wirkt, drängt sich hier in einem Kern- und Brennpunkte zusammen, stei¬
gert sich zu rein dramatischem Eindruck.

Deu Hohenpriester bezeichnet das leuchtend weiße Gewand und das Brust¬
schild mit den zwölf Edelsteinen der Stämme Israels. Hochaufgerichtet steht er
da, den linken Fuß auf eine verhüllte Leiche fliehend. Der rechte Arm ist er¬
hoben, und senkt von oben herab das breite Opfermcsser in des Priesters eigene
Brust, deun er hat beschlossen, weder selbst noch in seinem Stamme den Fall
Jerusalems zu überleben, noch den Untergang seines Volks, dessen Sünden er
kannte, das er oft in strafenden Worten gewarnt. Sein männlich schöner, unge-
"wiu lebeuvvllcr Kopf wendet sich im Schmerze zurück, doch ohne Verzerrung,
ruhig und fest, so daß wir das edle Profil erblicken. Bevor er die mörderische
Waffe gegen sich selbst erhob, begann er sein trauriges Opferwerk mit der Töd-
tung seiner beiden Söhne. Der eine von ihnen, ein prächtig gekleideter, halb
erwachsener Knabe von zierlich seinem Ban, hat sein Lebe» bereits verhaucht, und
sinkt entseelt vom Knie deö Vaters zu Boden. Der zweite, jüngere klammert
A) im Todeskrampfe an den herabhangenden Arm des Vaters, welcher den lei¬
denden Knaben zu umfassen sucht. Eine herrliche Gestalt ist anch die Gattin des
Hohenpriesters, die rechts vor Angst an ihm zusammenbricht und in die Knie
sinkt. Ihre linke Hand hält fest an seiner Schulter, und scheint den gehobenen
Arm des Gatten, der den Selbstmord zu vollenden im Begriff ist, niederziehen
zu wollen. Ihr Haupt wendet sich in schreckcnvvller Erregung rückwärts jenem
lüsternen Barbaren zu, vor dem ihre Weiblichkeit schaudert, und die Rechte deu-
auf den entblößten Busen, in deu sie deu erlösenden Stahl herbeiwünscht.
Alle diese Beziehungen find in Gestalt und Autlijz des schönen Weibes wunder¬
er geeinigt, das in der Gesichtsform wie im Ausdruck den reinsten Adel des na¬
tionalen Thpns trägt. Es ist eine furchtbare Tragödie, die in der Gruppe die¬
ser vier Gestalten sich vollzieht, und bei aller plastischem Ruhe der Zeichnung
eine erschütternde Gewalt, welche den Blick immer wieder an diese Stelle fesselt.

Je mehr man mit einem einzelnen Punkte sich beschäftigt, je aufmerksamer
'U»n ihn betrachtet, um so bestimmter treten an ihm verschiedene Seiten der Re¬
gionen entgegen, umso zahlreichere Motive enthüllen sich dem Auge. Die
Mannichfaltigkeit erscheint leicht als Widerspruch, und ruft deu Zweifel herbei,
door man überall in die Intention des Künstlers eindrang. So sind es nament¬
lich zwei Fragen, die ich von Diesem und Jenem bei Betrachtung der Hohen-
Vriester-Gruppe aufmerksam horte, und die allerdings im ersten Augenblicke einen
gerechten Vorwurf zu enthalten scheinen. Die erste Frage betrifft jene etwas
iheatralische Attitüde^ mit welcher der Hohepriester sich den Tod giebt: der hoch
erhobene Arm, um den Stahl von oben herab zwischen Hals und Brust einzu¬
lenken. Indem zu dieser ohne Zweifel absichtsvolle» Bewegung noch der Druck


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[0187] erschütternden Episoden sich bewegt und im Hintergründe mit massenhaften Ele¬ menten wirkt, drängt sich hier in einem Kern- und Brennpunkte zusammen, stei¬ gert sich zu rein dramatischem Eindruck. Deu Hohenpriester bezeichnet das leuchtend weiße Gewand und das Brust¬ schild mit den zwölf Edelsteinen der Stämme Israels. Hochaufgerichtet steht er da, den linken Fuß auf eine verhüllte Leiche fliehend. Der rechte Arm ist er¬ hoben, und senkt von oben herab das breite Opfermcsser in des Priesters eigene Brust, deun er hat beschlossen, weder selbst noch in seinem Stamme den Fall Jerusalems zu überleben, noch den Untergang seines Volks, dessen Sünden er kannte, das er oft in strafenden Worten gewarnt. Sein männlich schöner, unge- "wiu lebeuvvllcr Kopf wendet sich im Schmerze zurück, doch ohne Verzerrung, ruhig und fest, so daß wir das edle Profil erblicken. Bevor er die mörderische Waffe gegen sich selbst erhob, begann er sein trauriges Opferwerk mit der Töd- tung seiner beiden Söhne. Der eine von ihnen, ein prächtig gekleideter, halb erwachsener Knabe von zierlich seinem Ban, hat sein Lebe» bereits verhaucht, und sinkt entseelt vom Knie deö Vaters zu Boden. Der zweite, jüngere klammert A) im Todeskrampfe an den herabhangenden Arm des Vaters, welcher den lei¬ denden Knaben zu umfassen sucht. Eine herrliche Gestalt ist anch die Gattin des Hohenpriesters, die rechts vor Angst an ihm zusammenbricht und in die Knie sinkt. Ihre linke Hand hält fest an seiner Schulter, und scheint den gehobenen Arm des Gatten, der den Selbstmord zu vollenden im Begriff ist, niederziehen zu wollen. Ihr Haupt wendet sich in schreckcnvvller Erregung rückwärts jenem lüsternen Barbaren zu, vor dem ihre Weiblichkeit schaudert, und die Rechte deu- auf den entblößten Busen, in deu sie deu erlösenden Stahl herbeiwünscht. Alle diese Beziehungen find in Gestalt und Autlijz des schönen Weibes wunder¬ er geeinigt, das in der Gesichtsform wie im Ausdruck den reinsten Adel des na¬ tionalen Thpns trägt. Es ist eine furchtbare Tragödie, die in der Gruppe die¬ ser vier Gestalten sich vollzieht, und bei aller plastischem Ruhe der Zeichnung eine erschütternde Gewalt, welche den Blick immer wieder an diese Stelle fesselt. Je mehr man mit einem einzelnen Punkte sich beschäftigt, je aufmerksamer 'U»n ihn betrachtet, um so bestimmter treten an ihm verschiedene Seiten der Re¬ gionen entgegen, umso zahlreichere Motive enthüllen sich dem Auge. Die Mannichfaltigkeit erscheint leicht als Widerspruch, und ruft deu Zweifel herbei, door man überall in die Intention des Künstlers eindrang. So sind es nament¬ lich zwei Fragen, die ich von Diesem und Jenem bei Betrachtung der Hohen- Vriester-Gruppe aufmerksam horte, und die allerdings im ersten Augenblicke einen gerechten Vorwurf zu enthalten scheinen. Die erste Frage betrifft jene etwas iheatralische Attitüde^ mit welcher der Hohepriester sich den Tod giebt: der hoch erhobene Arm, um den Stahl von oben herab zwischen Hals und Brust einzu¬ lenken. Indem zu dieser ohne Zweifel absichtsvolle» Bewegung noch der Druck

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/187>, abgerufen am 23.07.2024.