Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Historiker als eine historische Thatsache anerkennen, aber nicht die Form,
welche das wirkliche Factum in dieser Auffassung angenommen. Er beharrt mit
seiner eigenen Betrachtung der Dinge in der menschlichen Welt und ans dem
Boden des wirklich Geschehenden. Frei von dem mystischen Glanben an das
unmittelbare Einschreiten anßerweltlich göttlicher Kräfte in die Welt der geschicht¬
lichen Thatsachen, begreift er diese im Zusammenhange mit ihren sittlichen, politi¬
schen und nationalen Ursachen als historische Erscheinungen, die ans ihrer eigenen
Entwickelung einem Ziel entgegenreife". So vollständig Historiker ist Kaulbach
in dem realgcschichtlichcn Haupttheile seiner Zerstörung von Jerusalem. Aber
der epische Cyklus seiner Darstellung ist in anderem Geiste ^empfangen. Hand
in Hand mit der protestantischen Geschichtsphilosophie ergreift er die Wurzeln
jeder Culturperiode in der von ihr entfalteten religiösen Idee. Diesen rein idealen
Zusammenhang, den die Erkenntniß des Philosophen gefunden, will er als Maler
sinnlich darstellen in Gestalt und Farbe. In solchem Sinne unternimmt er
es, die religiöse Anschauung historischer Völkerstämme in einem Nahmen mit
diesen selbst zu malen, und so läßt er auch den Glauben der Bekenner Jeho-
vah's in seiner Zerstörung von Jerusalem lebendig werden.

Wir sehen die Propheten des alten Bundes, Jesaias, Jeremias, Ezechiel
und Daniel, auf eiuer Wolke am Himmel erscheinen. Von ihnen ans sährt die
Schaar der strafenden Engel mit Bündeln zuckender Blitze herab, das Gericht
Gottes an dem abgefallenen Volke,- an dem sündigen Israel zu vollziehen. Auf
diese Weise wird der Ausgangspunkt des im Bilde dargestellten Ereignisses der
menschlichen Welt und der Erde überhaupt entrückt, um in ein Jenseits verlegt
zu werden. Es ist nicht der eigene Glaube, den der Künstler malt, sondern die
historisch gewordene religiöse Anschauung, in welcher die Phantasie eines weltge¬
schichtlichen Volkes den Inhalt seines Glaubens sich zum Gegenstande machte-
Demgemäß find die Propheten, in blasser Abdämpfung der Farben, wie körperlos
im himmlischen Lichte gehalten. Je mehr wir uus jedoch der Erde nähern, um
so sinnlich voller wird die Farbe. Von den Engeln, welche sich im thatsäch¬
lichen Conflicte mit der irdischen Welt befinden, erhalten die unteren eine schein¬
bar körperliche Existenz dadurch, daß sie von dein Feuerschein des unten wüthende"
Brandes angeglüht werden. Daß Kaulbach das Uebersinnliche überhaupt zu malen
unternahm, ist eine Eigenheit seines philosophischen Sinnes, die wir eben als
solche begreifen müssen, um an dem Großen und Schönen, das sein Geist, seine
Phantasie, seine Hand in das Leben rufen, uns wahrhaft zu erfreuen. Von einem
andern Standpunkte als dem seinigen diesen genialen Künstler mahnen zu wollen,
er solle Das und Jenes anders machen, wäre eine vergebliche Arbeit. Wir lassen
deshalb die Frage hier auf sich beruhen, ob selbst die grandiose Kraft Kaulbachs
das Recht habe, solchen Inhalt in seine Gemälde zu gieße", und ob diese "mo¬
derne" Behandlung der Geschichte innerhalb der ewigen Gesetze der schönen Kunst


der Historiker als eine historische Thatsache anerkennen, aber nicht die Form,
welche das wirkliche Factum in dieser Auffassung angenommen. Er beharrt mit
seiner eigenen Betrachtung der Dinge in der menschlichen Welt und ans dem
Boden des wirklich Geschehenden. Frei von dem mystischen Glanben an das
unmittelbare Einschreiten anßerweltlich göttlicher Kräfte in die Welt der geschicht¬
lichen Thatsachen, begreift er diese im Zusammenhange mit ihren sittlichen, politi¬
schen und nationalen Ursachen als historische Erscheinungen, die ans ihrer eigenen
Entwickelung einem Ziel entgegenreife». So vollständig Historiker ist Kaulbach
in dem realgcschichtlichcn Haupttheile seiner Zerstörung von Jerusalem. Aber
der epische Cyklus seiner Darstellung ist in anderem Geiste ^empfangen. Hand
in Hand mit der protestantischen Geschichtsphilosophie ergreift er die Wurzeln
jeder Culturperiode in der von ihr entfalteten religiösen Idee. Diesen rein idealen
Zusammenhang, den die Erkenntniß des Philosophen gefunden, will er als Maler
sinnlich darstellen in Gestalt und Farbe. In solchem Sinne unternimmt er
es, die religiöse Anschauung historischer Völkerstämme in einem Nahmen mit
diesen selbst zu malen, und so läßt er auch den Glauben der Bekenner Jeho-
vah's in seiner Zerstörung von Jerusalem lebendig werden.

Wir sehen die Propheten des alten Bundes, Jesaias, Jeremias, Ezechiel
und Daniel, auf eiuer Wolke am Himmel erscheinen. Von ihnen ans sährt die
Schaar der strafenden Engel mit Bündeln zuckender Blitze herab, das Gericht
Gottes an dem abgefallenen Volke,- an dem sündigen Israel zu vollziehen. Auf
diese Weise wird der Ausgangspunkt des im Bilde dargestellten Ereignisses der
menschlichen Welt und der Erde überhaupt entrückt, um in ein Jenseits verlegt
zu werden. Es ist nicht der eigene Glaube, den der Künstler malt, sondern die
historisch gewordene religiöse Anschauung, in welcher die Phantasie eines weltge¬
schichtlichen Volkes den Inhalt seines Glaubens sich zum Gegenstande machte-
Demgemäß find die Propheten, in blasser Abdämpfung der Farben, wie körperlos
im himmlischen Lichte gehalten. Je mehr wir uus jedoch der Erde nähern, um
so sinnlich voller wird die Farbe. Von den Engeln, welche sich im thatsäch¬
lichen Conflicte mit der irdischen Welt befinden, erhalten die unteren eine schein¬
bar körperliche Existenz dadurch, daß sie von dein Feuerschein des unten wüthende»
Brandes angeglüht werden. Daß Kaulbach das Uebersinnliche überhaupt zu malen
unternahm, ist eine Eigenheit seines philosophischen Sinnes, die wir eben als
solche begreifen müssen, um an dem Großen und Schönen, das sein Geist, seine
Phantasie, seine Hand in das Leben rufen, uns wahrhaft zu erfreuen. Von einem
andern Standpunkte als dem seinigen diesen genialen Künstler mahnen zu wollen,
er solle Das und Jenes anders machen, wäre eine vergebliche Arbeit. Wir lassen
deshalb die Frage hier auf sich beruhen, ob selbst die grandiose Kraft Kaulbachs
das Recht habe, solchen Inhalt in seine Gemälde zu gieße», und ob diese „mo¬
derne" Behandlung der Geschichte innerhalb der ewigen Gesetze der schönen Kunst


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0184" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280801"/>
          <p xml:id="ID_556" prev="#ID_555"> der Historiker als eine historische Thatsache anerkennen, aber nicht die Form,<lb/>
welche das wirkliche Factum in dieser Auffassung angenommen. Er beharrt mit<lb/>
seiner eigenen Betrachtung der Dinge in der menschlichen Welt und ans dem<lb/>
Boden des wirklich Geschehenden. Frei von dem mystischen Glanben an das<lb/>
unmittelbare Einschreiten anßerweltlich göttlicher Kräfte in die Welt der geschicht¬<lb/>
lichen Thatsachen, begreift er diese im Zusammenhange mit ihren sittlichen, politi¬<lb/>
schen und nationalen Ursachen als historische Erscheinungen, die ans ihrer eigenen<lb/>
Entwickelung einem Ziel entgegenreife». So vollständig Historiker ist Kaulbach<lb/>
in dem realgcschichtlichcn Haupttheile seiner Zerstörung von Jerusalem. Aber<lb/>
der epische Cyklus seiner Darstellung ist in anderem Geiste ^empfangen. Hand<lb/>
in Hand mit der protestantischen Geschichtsphilosophie ergreift er die Wurzeln<lb/>
jeder Culturperiode in der von ihr entfalteten religiösen Idee. Diesen rein idealen<lb/>
Zusammenhang, den die Erkenntniß des Philosophen gefunden, will er als Maler<lb/>
sinnlich darstellen in Gestalt und Farbe. In solchem Sinne unternimmt er<lb/>
es, die religiöse Anschauung historischer Völkerstämme in einem Nahmen mit<lb/>
diesen selbst zu malen, und so läßt er auch den Glauben der Bekenner Jeho-<lb/>
vah's in seiner Zerstörung von Jerusalem lebendig werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_557" next="#ID_558"> Wir sehen die Propheten des alten Bundes, Jesaias, Jeremias, Ezechiel<lb/>
und Daniel, auf eiuer Wolke am Himmel erscheinen. Von ihnen ans sährt die<lb/>
Schaar der strafenden Engel mit Bündeln zuckender Blitze herab, das Gericht<lb/>
Gottes an dem abgefallenen Volke,- an dem sündigen Israel zu vollziehen. Auf<lb/>
diese Weise wird der Ausgangspunkt des im Bilde dargestellten Ereignisses der<lb/>
menschlichen Welt und der Erde überhaupt entrückt, um in ein Jenseits verlegt<lb/>
zu werden. Es ist nicht der eigene Glaube, den der Künstler malt, sondern die<lb/>
historisch gewordene religiöse Anschauung, in welcher die Phantasie eines weltge¬<lb/>
schichtlichen Volkes den Inhalt seines Glaubens sich zum Gegenstande machte-<lb/>
Demgemäß find die Propheten, in blasser Abdämpfung der Farben, wie körperlos<lb/>
im himmlischen Lichte gehalten. Je mehr wir uus jedoch der Erde nähern, um<lb/>
so sinnlich voller wird die Farbe. Von den Engeln, welche sich im thatsäch¬<lb/>
lichen Conflicte mit der irdischen Welt befinden, erhalten die unteren eine schein¬<lb/>
bar körperliche Existenz dadurch, daß sie von dein Feuerschein des unten wüthende»<lb/>
Brandes angeglüht werden. Daß Kaulbach das Uebersinnliche überhaupt zu malen<lb/>
unternahm, ist eine Eigenheit seines philosophischen Sinnes, die wir eben als<lb/>
solche begreifen müssen, um an dem Großen und Schönen, das sein Geist, seine<lb/>
Phantasie, seine Hand in das Leben rufen, uns wahrhaft zu erfreuen. Von einem<lb/>
andern Standpunkte als dem seinigen diesen genialen Künstler mahnen zu wollen,<lb/>
er solle Das und Jenes anders machen, wäre eine vergebliche Arbeit. Wir lassen<lb/>
deshalb die Frage hier auf sich beruhen, ob selbst die grandiose Kraft Kaulbachs<lb/>
das Recht habe, solchen Inhalt in seine Gemälde zu gieße», und ob diese &#x201E;mo¬<lb/>
derne" Behandlung der Geschichte innerhalb der ewigen Gesetze der schönen Kunst</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0184] der Historiker als eine historische Thatsache anerkennen, aber nicht die Form, welche das wirkliche Factum in dieser Auffassung angenommen. Er beharrt mit seiner eigenen Betrachtung der Dinge in der menschlichen Welt und ans dem Boden des wirklich Geschehenden. Frei von dem mystischen Glanben an das unmittelbare Einschreiten anßerweltlich göttlicher Kräfte in die Welt der geschicht¬ lichen Thatsachen, begreift er diese im Zusammenhange mit ihren sittlichen, politi¬ schen und nationalen Ursachen als historische Erscheinungen, die ans ihrer eigenen Entwickelung einem Ziel entgegenreife». So vollständig Historiker ist Kaulbach in dem realgcschichtlichcn Haupttheile seiner Zerstörung von Jerusalem. Aber der epische Cyklus seiner Darstellung ist in anderem Geiste ^empfangen. Hand in Hand mit der protestantischen Geschichtsphilosophie ergreift er die Wurzeln jeder Culturperiode in der von ihr entfalteten religiösen Idee. Diesen rein idealen Zusammenhang, den die Erkenntniß des Philosophen gefunden, will er als Maler sinnlich darstellen in Gestalt und Farbe. In solchem Sinne unternimmt er es, die religiöse Anschauung historischer Völkerstämme in einem Nahmen mit diesen selbst zu malen, und so läßt er auch den Glauben der Bekenner Jeho- vah's in seiner Zerstörung von Jerusalem lebendig werden. Wir sehen die Propheten des alten Bundes, Jesaias, Jeremias, Ezechiel und Daniel, auf eiuer Wolke am Himmel erscheinen. Von ihnen ans sährt die Schaar der strafenden Engel mit Bündeln zuckender Blitze herab, das Gericht Gottes an dem abgefallenen Volke,- an dem sündigen Israel zu vollziehen. Auf diese Weise wird der Ausgangspunkt des im Bilde dargestellten Ereignisses der menschlichen Welt und der Erde überhaupt entrückt, um in ein Jenseits verlegt zu werden. Es ist nicht der eigene Glaube, den der Künstler malt, sondern die historisch gewordene religiöse Anschauung, in welcher die Phantasie eines weltge¬ schichtlichen Volkes den Inhalt seines Glaubens sich zum Gegenstande machte- Demgemäß find die Propheten, in blasser Abdämpfung der Farben, wie körperlos im himmlischen Lichte gehalten. Je mehr wir uus jedoch der Erde nähern, um so sinnlich voller wird die Farbe. Von den Engeln, welche sich im thatsäch¬ lichen Conflicte mit der irdischen Welt befinden, erhalten die unteren eine schein¬ bar körperliche Existenz dadurch, daß sie von dein Feuerschein des unten wüthende» Brandes angeglüht werden. Daß Kaulbach das Uebersinnliche überhaupt zu malen unternahm, ist eine Eigenheit seines philosophischen Sinnes, die wir eben als solche begreifen müssen, um an dem Großen und Schönen, das sein Geist, seine Phantasie, seine Hand in das Leben rufen, uns wahrhaft zu erfreuen. Von einem andern Standpunkte als dem seinigen diesen genialen Künstler mahnen zu wollen, er solle Das und Jenes anders machen, wäre eine vergebliche Arbeit. Wir lassen deshalb die Frage hier auf sich beruhen, ob selbst die grandiose Kraft Kaulbachs das Recht habe, solchen Inhalt in seine Gemälde zu gieße», und ob diese „mo¬ derne" Behandlung der Geschichte innerhalb der ewigen Gesetze der schönen Kunst

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/184
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/184>, abgerufen am 23.07.2024.