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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Lustspiel und das Konversationsstück scheinen ausschließlich den Platz zu behaupte",
und überhaupt dem französischen Geist am meisten angemessen zu sein.

In seinen Lustspielen hat sich Dumas meistens an das Rococozeitalter ge¬
halten, welches auch für dergleichen Erfindungen das günstigste sein möchte. Das
bekannteste derselben, Mademoiselle de Belle-Jsle (1838), spielt zu den
Zeiten der Regentschaft, und der berüchtigte Nouv Richelieu ist sein Hauptheld.
Das Stück hat auch ans unsren Bühnen Beifall gefunden, und verdient ihn wegen
seiner muntern Haltung, seiner dreisten, rücksichtslosen Sprache, und seiner span¬
nenden Intrigue; aber seine Frechheit in Beziehung ans die sittlichen Begriffe
ist doch zu stark. Ich meine bannt uicht die beliebten schlüpfrigen Scenen, die
bei Dumas unvermeidlich sind, und die man auf unsrem Theater gestrichen hat,
gerade wie in Hebbel'S Judith, obgleich dadurch die Pointe vollständig verloren
geht, sondern die liebenswürdige Toleranz, mit der man die gemeinsten Schurken¬
streiche verzeiht, wenn der Verübcr derselben zuletzt eine gewisse Bonhommie
und jenes äußerliche MM ä'lwnnvm- entwickelt, welches dem Kavalier der spa¬
nischen und französischen Komödie niemals fehlt. Richelieu hat eine Reihe von
Thaten verübt, die ihn, wenn er nicht ein vornehmer Edelmann wäre, ins Baguv
führen müßten. Er hat die Heldin des Stücks mit seinen unreinen Händen a"s
eine beschimpfende Weise betastet, und trotz dem präsentirt ihn am Schluß der
beleidigte Liebhaber seiner Frau als besten Freund, blos weil durch eine Reihe
zufälliger Umstände seine schändlichen Absichten nicht zur Ausführung gekommen
sind. Das Verbrechen liegt nach den romanischen Begriffen nur in seinem ma¬
teriellen Inhalt. Bei diesem Mangel an psychologischem Ernst, der mit dem
Mangel an sittlichem Ernst zusammenhängt, ist in den Figuren, so lebendig sie
sich zu bewegen scheinen, jede Spur von Wahrheit und Realität nntergegauge"!
wir haben es mit leeren Masken zu thun. -- Zwei andere Lustspiele, die eine"
ähnlichen Inhalt haben, und ungefähr in dem nämlichen Zeitalter spielen: l?n
mariag" soas I^ovis XV (18/"1), und I>KK 6c-iuoisöllvs d"z 8 crinl,-6zu'
(1843) sind weniger unsittlich, sie sind sehr heiter gehalten, und haben einzelne
recht interessante Scenen und Personen; wenn man sie aber mit den ähnliche"
Lustspielen von Scribe vergleicht, so stehen sie doch sowol an Grazie und Fe"^
heit, als an Schärfe der Charakteristik und an Verstand in der Oekonomie un¬
endlich zurück. -- Halikiix und I.v mari av 1a veuve, von denen das
letztere durch die Gesellschaft der Rachel in Deutschland aufgeführt ist,' sind un¬
bedeutend. -- Zum Schluß bemerke ich noch, daß Dumas auch eine Bearbeitung
des Hamlet gegeben hat, in welcher wir aus dem Skepticismus dieses merkwür¬
digen Stückes zur vollständigsten sittlichen Klarheit geführt werden, da nach der
Katastrophe der Geist noch einmal auftritt, und den einzelnen Personen nach dem
Maß ihrer Verschuldung die Strafe zuerkennt. Der König kommt in die Hölle,
die Königin ins Fegefeuer, Hamlet bleibt leben, um für seine Uneittschlossenhctt


Lustspiel und das Konversationsstück scheinen ausschließlich den Platz zu behaupte»,
und überhaupt dem französischen Geist am meisten angemessen zu sein.

In seinen Lustspielen hat sich Dumas meistens an das Rococozeitalter ge¬
halten, welches auch für dergleichen Erfindungen das günstigste sein möchte. Das
bekannteste derselben, Mademoiselle de Belle-Jsle (1838), spielt zu den
Zeiten der Regentschaft, und der berüchtigte Nouv Richelieu ist sein Hauptheld.
Das Stück hat auch ans unsren Bühnen Beifall gefunden, und verdient ihn wegen
seiner muntern Haltung, seiner dreisten, rücksichtslosen Sprache, und seiner span¬
nenden Intrigue; aber seine Frechheit in Beziehung ans die sittlichen Begriffe
ist doch zu stark. Ich meine bannt uicht die beliebten schlüpfrigen Scenen, die
bei Dumas unvermeidlich sind, und die man auf unsrem Theater gestrichen hat,
gerade wie in Hebbel'S Judith, obgleich dadurch die Pointe vollständig verloren
geht, sondern die liebenswürdige Toleranz, mit der man die gemeinsten Schurken¬
streiche verzeiht, wenn der Verübcr derselben zuletzt eine gewisse Bonhommie
und jenes äußerliche MM ä'lwnnvm- entwickelt, welches dem Kavalier der spa¬
nischen und französischen Komödie niemals fehlt. Richelieu hat eine Reihe von
Thaten verübt, die ihn, wenn er nicht ein vornehmer Edelmann wäre, ins Baguv
führen müßten. Er hat die Heldin des Stücks mit seinen unreinen Händen a»s
eine beschimpfende Weise betastet, und trotz dem präsentirt ihn am Schluß der
beleidigte Liebhaber seiner Frau als besten Freund, blos weil durch eine Reihe
zufälliger Umstände seine schändlichen Absichten nicht zur Ausführung gekommen
sind. Das Verbrechen liegt nach den romanischen Begriffen nur in seinem ma¬
teriellen Inhalt. Bei diesem Mangel an psychologischem Ernst, der mit dem
Mangel an sittlichem Ernst zusammenhängt, ist in den Figuren, so lebendig sie
sich zu bewegen scheinen, jede Spur von Wahrheit und Realität nntergegauge»!
wir haben es mit leeren Masken zu thun. — Zwei andere Lustspiele, die eine»
ähnlichen Inhalt haben, und ungefähr in dem nämlichen Zeitalter spielen: l?n
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(1843) sind weniger unsittlich, sie sind sehr heiter gehalten, und haben einzelne
recht interessante Scenen und Personen; wenn man sie aber mit den ähnliche»
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heit, als an Schärfe der Charakteristik und an Verstand in der Oekonomie un¬
endlich zurück. — Halikiix und I.v mari av 1a veuve, von denen das
letztere durch die Gesellschaft der Rachel in Deutschland aufgeführt ist,' sind un¬
bedeutend. — Zum Schluß bemerke ich noch, daß Dumas auch eine Bearbeitung
des Hamlet gegeben hat, in welcher wir aus dem Skepticismus dieses merkwür¬
digen Stückes zur vollständigsten sittlichen Klarheit geführt werden, da nach der
Katastrophe der Geist noch einmal auftritt, und den einzelnen Personen nach dem
Maß ihrer Verschuldung die Strafe zuerkennt. Der König kommt in die Hölle,
die Königin ins Fegefeuer, Hamlet bleibt leben, um für seine Uneittschlossenhctt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/178>, abgerufen am 24.07.2024.