Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und diese drei sind auch im höchsten Grade unpoetisch. Monaldeschi ist ein ge¬
meiner Schuft, ohne alle positiven Eigenschaften, dem wir.also nicht das ge¬
ringste Interesse abgewinnen können. Seine Geliebte Paula, die er in Pagen¬
tracht mit sich herumführt, ist eine stehende Melodramstgur, aus Walter Scott
und Byron ins Französische übertragen; bei Christine selbst ist alles Mögliche
aufgewendet, um ein Totalbild zu schaffen, in dem alle die wunderbaren, zum
Theil widersprechenden Eigenschaften dieser merkwürdigen Frau ihre Stelle finden,
aber es ist dem Dichter nicht gelungen, für diese Widersprüche den Leitton zu
treffen. Am schlimmsten ist es aber, daß wir über das eigentliche Verhältniß
dieser beiden Personen, worauf doch ganz allein das dramatische Interesse beruhen
könnte, keinen Aufschluß erhalten. Wir haben weiter nichts vor uns, als eine,
Reihe von Begebenheiten, ohne innern ethischen oder psychischen Zusammenhang.
Der Erfolg des Stücks wird daher anch nur dadurch begreiflich, daß das Pu-
blicum der'ewigen Sophonisben, Noxanen u. s. w. herzlich müde war, daß es
einmal etwas Anderes hören wollte, als die bekannten, ewig wiederkehrenden
Stichwörter aus der Schule Voltaire's, daß es nach bestimmteren Figuren ver¬
engte, als der unvermeidliche Vertraute und die unvermeidliche Vertraute des
classischen Theaters. Wenn man überhaupt den Romantikern Gerechtigkeit wider¬
fahren lassen will, so muß man sie nicht mit den Classikern des 17., sondern
Wit den Classikern deö 19. Jahrhunderts vergleichen, deren nüchternes, in die
leersten Phrgsen ausgegangenes Wesen eine Reaction nach der Seite des Unge¬
heuerlichen und Auffallenden hin wohl berechtigte. -- Aber dieses Stück ist aller¬
dings ein sehr roher Versuch nach dieser Seite hin. Selbst in der äußerlichen
Intrigue ist keine Continuität, und von dem, was sonst zur Technik des Theaters
gehört, Steigerung der Spannung und dergleichen, keine Rede. Dagegen sticht
^e Sprache vortheilhaft sowol gegen die Sprache Victor Hugo's, als die der
Klassiker ab. Sie ist häufig sehr nachlässig, aber wenigstens im Ganzen natürlich
und fließend; sie hat nicht das Gespreizte Victor Hugo'S und nicht das Triviale
der Classiker. Auch ist das beliebte Manöver des Ersten, durch epigrammatische
"der pathetische Schlußtableanr, einen rein äußerlichen Beifall hervorzurufen, mit
großer Mäßigung angewendet.'

Das zweiteStück, Henri III., ist in Prosa. Auch hier haben wir wieder
eine Reihe von historischen Cnriosttäten, antiquarische Münzberechnuugen, Dar¬
stellung der Finanzen, Kritik der Trachten, Bemerkungen über die Verdienste
Ronsard's u. s. w. Der historische Inhalt, der Conflict zwischen den liguistischcu
Edelleuten und der königlichen Partei und die Vermittelung desselben durch Ka¬
tharina von Medici, steht mit dem Novellistischen der Liebesgeschichte zwischen dem -
Grafen Se. >Megrin und der Herzogin von Guise nur in einem sehr losen Ver¬
hältniß. Ein drittes Moment, die astrologische Maschinerie, ist nur des, Costumö
^egen vorhanden. Uebrigens ist der Ton diesmal gut getroffen. Dumas hat den-


und diese drei sind auch im höchsten Grade unpoetisch. Monaldeschi ist ein ge¬
meiner Schuft, ohne alle positiven Eigenschaften, dem wir.also nicht das ge¬
ringste Interesse abgewinnen können. Seine Geliebte Paula, die er in Pagen¬
tracht mit sich herumführt, ist eine stehende Melodramstgur, aus Walter Scott
und Byron ins Französische übertragen; bei Christine selbst ist alles Mögliche
aufgewendet, um ein Totalbild zu schaffen, in dem alle die wunderbaren, zum
Theil widersprechenden Eigenschaften dieser merkwürdigen Frau ihre Stelle finden,
aber es ist dem Dichter nicht gelungen, für diese Widersprüche den Leitton zu
treffen. Am schlimmsten ist es aber, daß wir über das eigentliche Verhältniß
dieser beiden Personen, worauf doch ganz allein das dramatische Interesse beruhen
könnte, keinen Aufschluß erhalten. Wir haben weiter nichts vor uns, als eine,
Reihe von Begebenheiten, ohne innern ethischen oder psychischen Zusammenhang.
Der Erfolg des Stücks wird daher anch nur dadurch begreiflich, daß das Pu-
blicum der'ewigen Sophonisben, Noxanen u. s. w. herzlich müde war, daß es
einmal etwas Anderes hören wollte, als die bekannten, ewig wiederkehrenden
Stichwörter aus der Schule Voltaire's, daß es nach bestimmteren Figuren ver¬
engte, als der unvermeidliche Vertraute und die unvermeidliche Vertraute des
classischen Theaters. Wenn man überhaupt den Romantikern Gerechtigkeit wider¬
fahren lassen will, so muß man sie nicht mit den Classikern des 17., sondern
Wit den Classikern deö 19. Jahrhunderts vergleichen, deren nüchternes, in die
leersten Phrgsen ausgegangenes Wesen eine Reaction nach der Seite des Unge¬
heuerlichen und Auffallenden hin wohl berechtigte. — Aber dieses Stück ist aller¬
dings ein sehr roher Versuch nach dieser Seite hin. Selbst in der äußerlichen
Intrigue ist keine Continuität, und von dem, was sonst zur Technik des Theaters
gehört, Steigerung der Spannung und dergleichen, keine Rede. Dagegen sticht
^e Sprache vortheilhaft sowol gegen die Sprache Victor Hugo's, als die der
Klassiker ab. Sie ist häufig sehr nachlässig, aber wenigstens im Ganzen natürlich
und fließend; sie hat nicht das Gespreizte Victor Hugo'S und nicht das Triviale
der Classiker. Auch ist das beliebte Manöver des Ersten, durch epigrammatische
"der pathetische Schlußtableanr, einen rein äußerlichen Beifall hervorzurufen, mit
großer Mäßigung angewendet.'

Das zweiteStück, Henri III., ist in Prosa. Auch hier haben wir wieder
eine Reihe von historischen Cnriosttäten, antiquarische Münzberechnuugen, Dar¬
stellung der Finanzen, Kritik der Trachten, Bemerkungen über die Verdienste
Ronsard's u. s. w. Der historische Inhalt, der Conflict zwischen den liguistischcu
Edelleuten und der königlichen Partei und die Vermittelung desselben durch Ka¬
tharina von Medici, steht mit dem Novellistischen der Liebesgeschichte zwischen dem -
Grafen Se. >Megrin und der Herzogin von Guise nur in einem sehr losen Ver¬
hältniß. Ein drittes Moment, die astrologische Maschinerie, ist nur des, Costumö
^egen vorhanden. Uebrigens ist der Ton diesmal gut getroffen. Dumas hat den-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0169" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280786"/>
          <p xml:id="ID_523" prev="#ID_522"> und diese drei sind auch im höchsten Grade unpoetisch. Monaldeschi ist ein ge¬<lb/>
meiner Schuft, ohne alle positiven Eigenschaften, dem wir.also nicht das ge¬<lb/>
ringste Interesse abgewinnen können. Seine Geliebte Paula, die er in Pagen¬<lb/>
tracht mit sich herumführt, ist eine stehende Melodramstgur, aus Walter Scott<lb/>
und Byron ins Französische übertragen; bei Christine selbst ist alles Mögliche<lb/>
aufgewendet, um ein Totalbild zu schaffen, in dem alle die wunderbaren, zum<lb/>
Theil widersprechenden Eigenschaften dieser merkwürdigen Frau ihre Stelle finden,<lb/>
aber es ist dem Dichter nicht gelungen, für diese Widersprüche den Leitton zu<lb/>
treffen. Am schlimmsten ist es aber, daß wir über das eigentliche Verhältniß<lb/>
dieser beiden Personen, worauf doch ganz allein das dramatische Interesse beruhen<lb/>
könnte, keinen Aufschluß erhalten. Wir haben weiter nichts vor uns, als eine,<lb/>
Reihe von Begebenheiten, ohne innern ethischen oder psychischen Zusammenhang.<lb/>
Der Erfolg des Stücks wird daher anch nur dadurch begreiflich, daß das Pu-<lb/>
blicum der'ewigen Sophonisben, Noxanen u. s. w. herzlich müde war, daß es<lb/>
einmal etwas Anderes hören wollte, als die bekannten, ewig wiederkehrenden<lb/>
Stichwörter aus der Schule Voltaire's, daß es nach bestimmteren Figuren ver¬<lb/>
engte, als der unvermeidliche Vertraute und die unvermeidliche Vertraute des<lb/>
classischen Theaters. Wenn man überhaupt den Romantikern Gerechtigkeit wider¬<lb/>
fahren lassen will, so muß man sie nicht mit den Classikern des 17., sondern<lb/>
Wit den Classikern deö 19. Jahrhunderts vergleichen, deren nüchternes, in die<lb/>
leersten Phrgsen ausgegangenes Wesen eine Reaction nach der Seite des Unge¬<lb/>
heuerlichen und Auffallenden hin wohl berechtigte. &#x2014; Aber dieses Stück ist aller¬<lb/>
dings ein sehr roher Versuch nach dieser Seite hin. Selbst in der äußerlichen<lb/>
Intrigue ist keine Continuität, und von dem, was sonst zur Technik des Theaters<lb/>
gehört, Steigerung der Spannung und dergleichen, keine Rede. Dagegen sticht<lb/>
^e Sprache vortheilhaft sowol gegen die Sprache Victor Hugo's, als die der<lb/>
Klassiker ab. Sie ist häufig sehr nachlässig, aber wenigstens im Ganzen natürlich<lb/>
und fließend; sie hat nicht das Gespreizte Victor Hugo'S und nicht das Triviale<lb/>
der Classiker. Auch ist das beliebte Manöver des Ersten, durch epigrammatische<lb/>
"der pathetische Schlußtableanr, einen rein äußerlichen Beifall hervorzurufen, mit<lb/>
großer Mäßigung angewendet.'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_524" next="#ID_525"> Das zweiteStück, Henri III., ist in Prosa. Auch hier haben wir wieder<lb/>
eine Reihe von historischen Cnriosttäten, antiquarische Münzberechnuugen, Dar¬<lb/>
stellung der Finanzen, Kritik der Trachten, Bemerkungen über die Verdienste<lb/>
Ronsard's u. s. w. Der historische Inhalt, der Conflict zwischen den liguistischcu<lb/>
Edelleuten und der königlichen Partei und die Vermittelung desselben durch Ka¬<lb/>
tharina von Medici, steht mit dem Novellistischen der Liebesgeschichte zwischen dem -<lb/>
Grafen Se. &gt;Megrin und der Herzogin von Guise nur in einem sehr losen Ver¬<lb/>
hältniß. Ein drittes Moment, die astrologische Maschinerie, ist nur des, Costumö<lb/>
^egen vorhanden. Uebrigens ist der Ton diesmal gut getroffen. Dumas hat den-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0169] und diese drei sind auch im höchsten Grade unpoetisch. Monaldeschi ist ein ge¬ meiner Schuft, ohne alle positiven Eigenschaften, dem wir.also nicht das ge¬ ringste Interesse abgewinnen können. Seine Geliebte Paula, die er in Pagen¬ tracht mit sich herumführt, ist eine stehende Melodramstgur, aus Walter Scott und Byron ins Französische übertragen; bei Christine selbst ist alles Mögliche aufgewendet, um ein Totalbild zu schaffen, in dem alle die wunderbaren, zum Theil widersprechenden Eigenschaften dieser merkwürdigen Frau ihre Stelle finden, aber es ist dem Dichter nicht gelungen, für diese Widersprüche den Leitton zu treffen. Am schlimmsten ist es aber, daß wir über das eigentliche Verhältniß dieser beiden Personen, worauf doch ganz allein das dramatische Interesse beruhen könnte, keinen Aufschluß erhalten. Wir haben weiter nichts vor uns, als eine, Reihe von Begebenheiten, ohne innern ethischen oder psychischen Zusammenhang. Der Erfolg des Stücks wird daher anch nur dadurch begreiflich, daß das Pu- blicum der'ewigen Sophonisben, Noxanen u. s. w. herzlich müde war, daß es einmal etwas Anderes hören wollte, als die bekannten, ewig wiederkehrenden Stichwörter aus der Schule Voltaire's, daß es nach bestimmteren Figuren ver¬ engte, als der unvermeidliche Vertraute und die unvermeidliche Vertraute des classischen Theaters. Wenn man überhaupt den Romantikern Gerechtigkeit wider¬ fahren lassen will, so muß man sie nicht mit den Classikern des 17., sondern Wit den Classikern deö 19. Jahrhunderts vergleichen, deren nüchternes, in die leersten Phrgsen ausgegangenes Wesen eine Reaction nach der Seite des Unge¬ heuerlichen und Auffallenden hin wohl berechtigte. — Aber dieses Stück ist aller¬ dings ein sehr roher Versuch nach dieser Seite hin. Selbst in der äußerlichen Intrigue ist keine Continuität, und von dem, was sonst zur Technik des Theaters gehört, Steigerung der Spannung und dergleichen, keine Rede. Dagegen sticht ^e Sprache vortheilhaft sowol gegen die Sprache Victor Hugo's, als die der Klassiker ab. Sie ist häufig sehr nachlässig, aber wenigstens im Ganzen natürlich und fließend; sie hat nicht das Gespreizte Victor Hugo'S und nicht das Triviale der Classiker. Auch ist das beliebte Manöver des Ersten, durch epigrammatische "der pathetische Schlußtableanr, einen rein äußerlichen Beifall hervorzurufen, mit großer Mäßigung angewendet.' Das zweiteStück, Henri III., ist in Prosa. Auch hier haben wir wieder eine Reihe von historischen Cnriosttäten, antiquarische Münzberechnuugen, Dar¬ stellung der Finanzen, Kritik der Trachten, Bemerkungen über die Verdienste Ronsard's u. s. w. Der historische Inhalt, der Conflict zwischen den liguistischcu Edelleuten und der königlichen Partei und die Vermittelung desselben durch Ka¬ tharina von Medici, steht mit dem Novellistischen der Liebesgeschichte zwischen dem - Grafen Se. >Megrin und der Herzogin von Guise nur in einem sehr losen Ver¬ hältniß. Ein drittes Moment, die astrologische Maschinerie, ist nur des, Costumö ^egen vorhanden. Uebrigens ist der Ton diesmal gut getroffen. Dumas hat den-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/169
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/169>, abgerufen am 23.07.2024.