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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Fiesco. "Christine", die er in vier Monaten fertig schrieb, wurde vom Iliöatro
trauyiiiL angenommen. Da sich die Aufführung aber verzögerte, so schrieb er
rasch uoch ein zweites Stück, Henri III., wozu er deu Stoff aus der Chronik von
Anquetil genommen hatte. Auch dieses faud Ausnahme, und wurde am 1t). Fe¬
bruar 1829 mit glänzendem Erfolg dargestellt. Der Herzog von Orleans mit
einer Reihe fürstlicher Personen, die ihn gerade besuchten, hatte die Logen be¬
setzt, und auch im Uebrigen war das Publicum so ausgewählt, daß Dumas'
Ruf gleich durch dieses erste Stück gesichert war. Da noch in demselben Jahre
Victor Hugo's "Heruani" aus dem nämlichen Theater, der bisherigen Schule des
Klassicismus, zur Aufführung kam, so verursachte das unter den Anhängern der
alten Schule einen gewaltigen Sturm. Die Hauptdichter derselben, Bavur-Lor-
miand, Ions, Etienne, Arnauld u. s. w., vereinigten sich zu einer Bittschrift, diese
romantischen Neuerungen im Ida-ulro ü'anyais wieder abzustellen; aber sie drangen
nicht durch. Die Romantiker gewannen im folgenden Jahre eiuen Sieg nach
dem andern, und bis zum Auftreten der Rachel (1838) behaupteten sie das
Schlachtfeld. -- Wir wenden uns jetzt zu den einzelnen Stücken.

Christine, welches erst 1830 aufgeführt wurde, ist in Versen geschrieben und
behandelt die Geschichte der Tochter Gustav Adolph's. Das historische Costum
ist mit großer Breite angebracht. Nicht allein die großen Geister jener Zeit,
Descartes, Corneille n. s. w., sondern auch minder bedeutende Schriftsteller, z. ^'
Calprenöde, treten auf, und setzen ihre Theorien und ihr Verhältniß zum Zeitalter
weitläufig auseinander; der Letztere referirt z. B. über den allegorischen Roman
von Scudery, 1o ro^anne co 'I'onclro, ohne daß diese literarischen Curiositäten
auch nur deu geringsten Einfluß auf die Handlung hätten. Auch an politische"
und philosophischem Kannegießereien fehlt es nicht. Es ist das übrigens nicht
geradezu eine romantische Neuerung; schon bei deu sogenannten Classikern, na¬
mentlich bei Voltaire, ist der Politik ein übergroßer Raum verstattet. Der Unter¬
schied ist nur der, daß die Romantiker sich wenigstens einigermaßen an die hist^
rische Wahrheit halten, wenn sie sich auch darin viel Willkürlichkeiten erlaube" :
bei den Classikern wird nur ganz allgemeine abstracte Politik getrieben.
aristotelischen Regeln in Beziehung ans Ort und Zeit werden bei Seite geschoben,
aber doch nicht gerade auf eine gewaltsame Weise, wenn man von dem sehr'
schlechten Epilog absteht, der auch bei der Aufführung immer weggelassen ist-
In demselben stirbt nämlich Christine, nachdem sie vorher über die Tödtung ihres
ehemaligen Lieblings Neue empfunden und sich bekehrt hat. Außerdem ist auch
noch ein eben so unnützer Prolog vorhanden, in welchem eine sehr überflüssig^
episodische Ffgur sich vom alten Cartesius den Hof Christinens schildern läßt.
Wenn wir nun fragen, was übrig bleibt, wenn man diese und ähnliche überflüssige
Bestandtheile ausschneidet, so ist das Resultat allerdings nicht sehr erfreulich.
Die Charaktere sind, mit Ausnahme von dreien, sehr liederlich hingeworfen,


Fiesco. „Christine", die er in vier Monaten fertig schrieb, wurde vom Iliöatro
trauyiiiL angenommen. Da sich die Aufführung aber verzögerte, so schrieb er
rasch uoch ein zweites Stück, Henri III., wozu er deu Stoff aus der Chronik von
Anquetil genommen hatte. Auch dieses faud Ausnahme, und wurde am 1t). Fe¬
bruar 1829 mit glänzendem Erfolg dargestellt. Der Herzog von Orleans mit
einer Reihe fürstlicher Personen, die ihn gerade besuchten, hatte die Logen be¬
setzt, und auch im Uebrigen war das Publicum so ausgewählt, daß Dumas'
Ruf gleich durch dieses erste Stück gesichert war. Da noch in demselben Jahre
Victor Hugo's „Heruani" aus dem nämlichen Theater, der bisherigen Schule des
Klassicismus, zur Aufführung kam, so verursachte das unter den Anhängern der
alten Schule einen gewaltigen Sturm. Die Hauptdichter derselben, Bavur-Lor-
miand, Ions, Etienne, Arnauld u. s. w., vereinigten sich zu einer Bittschrift, diese
romantischen Neuerungen im Ida-ulro ü'anyais wieder abzustellen; aber sie drangen
nicht durch. Die Romantiker gewannen im folgenden Jahre eiuen Sieg nach
dem andern, und bis zum Auftreten der Rachel (1838) behaupteten sie das
Schlachtfeld. — Wir wenden uns jetzt zu den einzelnen Stücken.

Christine, welches erst 1830 aufgeführt wurde, ist in Versen geschrieben und
behandelt die Geschichte der Tochter Gustav Adolph's. Das historische Costum
ist mit großer Breite angebracht. Nicht allein die großen Geister jener Zeit,
Descartes, Corneille n. s. w., sondern auch minder bedeutende Schriftsteller, z. ^'
Calprenöde, treten auf, und setzen ihre Theorien und ihr Verhältniß zum Zeitalter
weitläufig auseinander; der Letztere referirt z. B. über den allegorischen Roman
von Scudery, 1o ro^anne co 'I'onclro, ohne daß diese literarischen Curiositäten
auch nur deu geringsten Einfluß auf die Handlung hätten. Auch an politische»
und philosophischem Kannegießereien fehlt es nicht. Es ist das übrigens nicht
geradezu eine romantische Neuerung; schon bei deu sogenannten Classikern, na¬
mentlich bei Voltaire, ist der Politik ein übergroßer Raum verstattet. Der Unter¬
schied ist nur der, daß die Romantiker sich wenigstens einigermaßen an die hist^
rische Wahrheit halten, wenn sie sich auch darin viel Willkürlichkeiten erlaube» :
bei den Classikern wird nur ganz allgemeine abstracte Politik getrieben.
aristotelischen Regeln in Beziehung ans Ort und Zeit werden bei Seite geschoben,
aber doch nicht gerade auf eine gewaltsame Weise, wenn man von dem sehr'
schlechten Epilog absteht, der auch bei der Aufführung immer weggelassen ist-
In demselben stirbt nämlich Christine, nachdem sie vorher über die Tödtung ihres
ehemaligen Lieblings Neue empfunden und sich bekehrt hat. Außerdem ist auch
noch ein eben so unnützer Prolog vorhanden, in welchem eine sehr überflüssig^
episodische Ffgur sich vom alten Cartesius den Hof Christinens schildern läßt.
Wenn wir nun fragen, was übrig bleibt, wenn man diese und ähnliche überflüssige
Bestandtheile ausschneidet, so ist das Resultat allerdings nicht sehr erfreulich.
Die Charaktere sind, mit Ausnahme von dreien, sehr liederlich hingeworfen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/168>, abgerufen am 23.07.2024.