Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eines Millionairö, gerade wie sein Artagnan, sein Bussy n. s. w. Gerade wie
diese weis! er sich etwas auf seinen Adel, wenn gleich dieser Adel sich erst ans
der Kaiserzeit herschreibt; der Sohn eines Mulatten, hat er sich durch seine leb¬
hafte Einbildungskraft allmüblich in die Vorstellung verstrickt, das Geschlecht der
Dumas stamme wenigstens aus den Zeiten der Kreuzzüge. Darin steht er den
eigentlichen Dichtern der Bourgeoisie sehr schroff gegenüber, und repräsentirt besser
den chevaleresken Charakter seiner Nation. Er kennt nur Edelleute und Be¬
dienten, wie Calderon, das Ideal des romantischen Lustspiels. Der Bürger ist
uach seinen Ideen nnr dazu da, daß^ ihm der adelige Abenteurer seinen Wein
austrinkt und seine Frau verführt; von der Liebe, mit der sich W. Scott in seinen
historischen Romanen in die verschiedenen Schichten des bürgerlichen Lebens ver¬
tieft, ist bei ihm keine Spur.

Bei der zahllosen Menge seiner Romane hat man die Vermuthung aufge¬
stellt/sie rührte" nnr zum Theil von ihm her. Geschrieben sind sie jedenfalls
alle von seiner Hand, in jeuer schönen Haudschnft, aus die er sich viel zu Gute
thut, und die ihm zuerst seinen Lebensunterhalt verschaffte. Wenn er sich auch
hin und wieder, wie die französischen Dichter es insgesammt thun, von seine"
Handlangern einige Ideen und Bilder zuführen lassen mag, so ist es doch l^'l
dem wirklichen Reichthum seiner Phantasie, bei der grenzenlosen Unbefangenheit,
mit der er über alle Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten hinwegspringt, und bel
der Fabrikmäßigkcit der Ausführung sehr leicht möglich, daß er wirklich der Ver¬
fasser aller der Werte ist, die unter seinem Namen herumgehen. Ein Dichtet,
dem es darauf ankommt, innerhalb des Maßes der Natur zu bleiben, gewissenhaft
zu motiviren, an den Begebenheiten seinen Geist zu entwickeln und dergleichen,
kann allerdings so rasch nicht arbeiten. Aber bei Dumas ist von alle dem keine
Rede. Wenn er ans irgend einer Verwickelung nicht ans natürlichem Wege sü't)
herauszufinden weiß, so kommt es ihm gar nicht darauf an, ein Wunder zu thu".

Trol; aller dieser Fehler haben die Franzosen doch Recht, wenn sie mit einer
gewissen Achtung von ihm sprechen. In unsrer sterilen Periode ist es schon el"
Verdienst, wenn mau Erstudung und gute Laune bewahrt, und außer diesen bei¬
den guten Eigenschaften senden wir eine ganze Reihe von Conceptionen, die we¬
nigstens bis zu einem gewissen Grade eine poetische Kraft verrathen. Bei seine"
Romanen kann ich mich in dieser Beziehung kurz fassen, denn sie sind allge">e>"
bekannt; dagegen haben wir aus seiue Theaterstücke unsre Aufmerksamkeit we¬
niger gerichtet, und doch hat er an der Revolution im fanzösischen Drama wenig'
Steno eben so viel Antheil als Victor Hugo: der Unterschied war nur der, daß
der Letztere zu seinen Neuerungen durch eine Doctrin getrieben wurde, während
bei Dumas der reine Instinct das Bestimmende ist.

Als ÄOjähriger Jüngling kam Dumas 1823 nach Paris. Seinen Vater,
den General Dumas, hatte er bereits im vierten Jahre verloren. Das Vermögen


eines Millionairö, gerade wie sein Artagnan, sein Bussy n. s. w. Gerade wie
diese weis! er sich etwas auf seinen Adel, wenn gleich dieser Adel sich erst ans
der Kaiserzeit herschreibt; der Sohn eines Mulatten, hat er sich durch seine leb¬
hafte Einbildungskraft allmüblich in die Vorstellung verstrickt, das Geschlecht der
Dumas stamme wenigstens aus den Zeiten der Kreuzzüge. Darin steht er den
eigentlichen Dichtern der Bourgeoisie sehr schroff gegenüber, und repräsentirt besser
den chevaleresken Charakter seiner Nation. Er kennt nur Edelleute und Be¬
dienten, wie Calderon, das Ideal des romantischen Lustspiels. Der Bürger ist
uach seinen Ideen nnr dazu da, daß^ ihm der adelige Abenteurer seinen Wein
austrinkt und seine Frau verführt; von der Liebe, mit der sich W. Scott in seinen
historischen Romanen in die verschiedenen Schichten des bürgerlichen Lebens ver¬
tieft, ist bei ihm keine Spur.

Bei der zahllosen Menge seiner Romane hat man die Vermuthung aufge¬
stellt/sie rührte» nnr zum Theil von ihm her. Geschrieben sind sie jedenfalls
alle von seiner Hand, in jeuer schönen Haudschnft, aus die er sich viel zu Gute
thut, und die ihm zuerst seinen Lebensunterhalt verschaffte. Wenn er sich auch
hin und wieder, wie die französischen Dichter es insgesammt thun, von seine»
Handlangern einige Ideen und Bilder zuführen lassen mag, so ist es doch l^'l
dem wirklichen Reichthum seiner Phantasie, bei der grenzenlosen Unbefangenheit,
mit der er über alle Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten hinwegspringt, und bel
der Fabrikmäßigkcit der Ausführung sehr leicht möglich, daß er wirklich der Ver¬
fasser aller der Werte ist, die unter seinem Namen herumgehen. Ein Dichtet,
dem es darauf ankommt, innerhalb des Maßes der Natur zu bleiben, gewissenhaft
zu motiviren, an den Begebenheiten seinen Geist zu entwickeln und dergleichen,
kann allerdings so rasch nicht arbeiten. Aber bei Dumas ist von alle dem keine
Rede. Wenn er ans irgend einer Verwickelung nicht ans natürlichem Wege sü't)
herauszufinden weiß, so kommt es ihm gar nicht darauf an, ein Wunder zu thu».

Trol; aller dieser Fehler haben die Franzosen doch Recht, wenn sie mit einer
gewissen Achtung von ihm sprechen. In unsrer sterilen Periode ist es schon el»
Verdienst, wenn mau Erstudung und gute Laune bewahrt, und außer diesen bei¬
den guten Eigenschaften senden wir eine ganze Reihe von Conceptionen, die we¬
nigstens bis zu einem gewissen Grade eine poetische Kraft verrathen. Bei seine»
Romanen kann ich mich in dieser Beziehung kurz fassen, denn sie sind allge»>e>»
bekannt; dagegen haben wir aus seiue Theaterstücke unsre Aufmerksamkeit we¬
niger gerichtet, und doch hat er an der Revolution im fanzösischen Drama wenig'
Steno eben so viel Antheil als Victor Hugo: der Unterschied war nur der, daß
der Letztere zu seinen Neuerungen durch eine Doctrin getrieben wurde, während
bei Dumas der reine Instinct das Bestimmende ist.

Als ÄOjähriger Jüngling kam Dumas 1823 nach Paris. Seinen Vater,
den General Dumas, hatte er bereits im vierten Jahre verloren. Das Vermögen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0166" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280783"/>
          <p xml:id="ID_515" prev="#ID_514"> eines Millionairö, gerade wie sein Artagnan, sein Bussy n. s. w. Gerade wie<lb/>
diese weis! er sich etwas auf seinen Adel, wenn gleich dieser Adel sich erst ans<lb/>
der Kaiserzeit herschreibt; der Sohn eines Mulatten, hat er sich durch seine leb¬<lb/>
hafte Einbildungskraft allmüblich in die Vorstellung verstrickt, das Geschlecht der<lb/>
Dumas stamme wenigstens aus den Zeiten der Kreuzzüge. Darin steht er den<lb/>
eigentlichen Dichtern der Bourgeoisie sehr schroff gegenüber, und repräsentirt besser<lb/>
den chevaleresken Charakter seiner Nation. Er kennt nur Edelleute und Be¬<lb/>
dienten, wie Calderon, das Ideal des romantischen Lustspiels. Der Bürger ist<lb/>
uach seinen Ideen nnr dazu da, daß^ ihm der adelige Abenteurer seinen Wein<lb/>
austrinkt und seine Frau verführt; von der Liebe, mit der sich W. Scott in seinen<lb/>
historischen Romanen in die verschiedenen Schichten des bürgerlichen Lebens ver¬<lb/>
tieft, ist bei ihm keine Spur.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_516"> Bei der zahllosen Menge seiner Romane hat man die Vermuthung aufge¬<lb/>
stellt/sie rührte» nnr zum Theil von ihm her. Geschrieben sind sie jedenfalls<lb/>
alle von seiner Hand, in jeuer schönen Haudschnft, aus die er sich viel zu Gute<lb/>
thut, und die ihm zuerst seinen Lebensunterhalt verschaffte. Wenn er sich auch<lb/>
hin und wieder, wie die französischen Dichter es insgesammt thun, von seine»<lb/>
Handlangern einige Ideen und Bilder zuführen lassen mag, so ist es doch l^'l<lb/>
dem wirklichen Reichthum seiner Phantasie, bei der grenzenlosen Unbefangenheit,<lb/>
mit der er über alle Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten hinwegspringt, und bel<lb/>
der Fabrikmäßigkcit der Ausführung sehr leicht möglich, daß er wirklich der Ver¬<lb/>
fasser aller der Werte ist, die unter seinem Namen herumgehen. Ein Dichtet,<lb/>
dem es darauf ankommt, innerhalb des Maßes der Natur zu bleiben, gewissenhaft<lb/>
zu motiviren, an den Begebenheiten seinen Geist zu entwickeln und dergleichen,<lb/>
kann allerdings so rasch nicht arbeiten. Aber bei Dumas ist von alle dem keine<lb/>
Rede. Wenn er ans irgend einer Verwickelung nicht ans natürlichem Wege sü't)<lb/>
herauszufinden weiß, so kommt es ihm gar nicht darauf an, ein Wunder zu thu».</p><lb/>
          <p xml:id="ID_517"> Trol; aller dieser Fehler haben die Franzosen doch Recht, wenn sie mit einer<lb/>
gewissen Achtung von ihm sprechen. In unsrer sterilen Periode ist es schon el»<lb/>
Verdienst, wenn mau Erstudung und gute Laune bewahrt, und außer diesen bei¬<lb/>
den guten Eigenschaften senden wir eine ganze Reihe von Conceptionen, die we¬<lb/>
nigstens bis zu einem gewissen Grade eine poetische Kraft verrathen. Bei seine»<lb/>
Romanen kann ich mich in dieser Beziehung kurz fassen, denn sie sind allge»&gt;e&gt;»<lb/>
bekannt; dagegen haben wir aus seiue Theaterstücke unsre Aufmerksamkeit we¬<lb/>
niger gerichtet, und doch hat er an der Revolution im fanzösischen Drama wenig'<lb/>
Steno eben so viel Antheil als Victor Hugo: der Unterschied war nur der, daß<lb/>
der Letztere zu seinen Neuerungen durch eine Doctrin getrieben wurde, während<lb/>
bei Dumas der reine Instinct das Bestimmende ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_518" next="#ID_519"> Als ÄOjähriger Jüngling kam Dumas 1823 nach Paris. Seinen Vater,<lb/>
den General Dumas, hatte er bereits im vierten Jahre verloren. Das Vermögen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0166] eines Millionairö, gerade wie sein Artagnan, sein Bussy n. s. w. Gerade wie diese weis! er sich etwas auf seinen Adel, wenn gleich dieser Adel sich erst ans der Kaiserzeit herschreibt; der Sohn eines Mulatten, hat er sich durch seine leb¬ hafte Einbildungskraft allmüblich in die Vorstellung verstrickt, das Geschlecht der Dumas stamme wenigstens aus den Zeiten der Kreuzzüge. Darin steht er den eigentlichen Dichtern der Bourgeoisie sehr schroff gegenüber, und repräsentirt besser den chevaleresken Charakter seiner Nation. Er kennt nur Edelleute und Be¬ dienten, wie Calderon, das Ideal des romantischen Lustspiels. Der Bürger ist uach seinen Ideen nnr dazu da, daß^ ihm der adelige Abenteurer seinen Wein austrinkt und seine Frau verführt; von der Liebe, mit der sich W. Scott in seinen historischen Romanen in die verschiedenen Schichten des bürgerlichen Lebens ver¬ tieft, ist bei ihm keine Spur. Bei der zahllosen Menge seiner Romane hat man die Vermuthung aufge¬ stellt/sie rührte» nnr zum Theil von ihm her. Geschrieben sind sie jedenfalls alle von seiner Hand, in jeuer schönen Haudschnft, aus die er sich viel zu Gute thut, und die ihm zuerst seinen Lebensunterhalt verschaffte. Wenn er sich auch hin und wieder, wie die französischen Dichter es insgesammt thun, von seine» Handlangern einige Ideen und Bilder zuführen lassen mag, so ist es doch l^'l dem wirklichen Reichthum seiner Phantasie, bei der grenzenlosen Unbefangenheit, mit der er über alle Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten hinwegspringt, und bel der Fabrikmäßigkcit der Ausführung sehr leicht möglich, daß er wirklich der Ver¬ fasser aller der Werte ist, die unter seinem Namen herumgehen. Ein Dichtet, dem es darauf ankommt, innerhalb des Maßes der Natur zu bleiben, gewissenhaft zu motiviren, an den Begebenheiten seinen Geist zu entwickeln und dergleichen, kann allerdings so rasch nicht arbeiten. Aber bei Dumas ist von alle dem keine Rede. Wenn er ans irgend einer Verwickelung nicht ans natürlichem Wege sü't) herauszufinden weiß, so kommt es ihm gar nicht darauf an, ein Wunder zu thu». Trol; aller dieser Fehler haben die Franzosen doch Recht, wenn sie mit einer gewissen Achtung von ihm sprechen. In unsrer sterilen Periode ist es schon el» Verdienst, wenn mau Erstudung und gute Laune bewahrt, und außer diesen bei¬ den guten Eigenschaften senden wir eine ganze Reihe von Conceptionen, die we¬ nigstens bis zu einem gewissen Grade eine poetische Kraft verrathen. Bei seine» Romanen kann ich mich in dieser Beziehung kurz fassen, denn sie sind allge»>e>» bekannt; dagegen haben wir aus seiue Theaterstücke unsre Aufmerksamkeit we¬ niger gerichtet, und doch hat er an der Revolution im fanzösischen Drama wenig' Steno eben so viel Antheil als Victor Hugo: der Unterschied war nur der, daß der Letztere zu seinen Neuerungen durch eine Doctrin getrieben wurde, während bei Dumas der reine Instinct das Bestimmende ist. Als ÄOjähriger Jüngling kam Dumas 1823 nach Paris. Seinen Vater, den General Dumas, hatte er bereits im vierten Jahre verloren. Das Vermögen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/166
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/166>, abgerufen am 23.07.2024.