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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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rigen Versuchen dahin kam, ungeschickte Stcinkugeln aus schwerfälligen Feuer-
schlünden zu schleudern, wo daher von der Riesenwirkung und den rasch ent-
scheidenden Erfolgen der heutigen Feuerwaffen "och keine Spur war, widerstand
das lahme entnervte Reich der Constantier lange Jahre hindurch der wildanstürmen¬
den Kraft der jugendlich frischen Osmanlis. Langsam mir nud stückweise zerschellte
es in Trümmer, heroisch wieder zum ersten Male seit Menschengedenken in der
letzten Kraftanstrengung, ging es glorreicher unter, als es bestanden.

Die feste Lage der Hauptstadt, die natürliche Beschaffenheit des Landes, das
durchfurcht ist von zahlreichen Wasserläufen, mit tief einschneidenden Meeresarmen,
rauhen und ungangbaren Bergzügen n. s. w., endlich Verzweiflung eines zu Tode
gehetzten Volkes, erkläre" diesen scheinbaren Widerspruch, und zeigen uus, daß
alle diese Bedingungen eben so gut für die Osmanen sortexistiren; außerdem ist
der heutige Türke doch jedenfalls noch viel muthiger und kampfgeübter, als der
weichliche Byzantine von ehedem.

Fragen wir nnn: was soll aus dem ganzen Volke werden? -- so reichen nicht
einmal unsre Ahnnngskräfte zur Autwort aus. Ohne dem Schicksale vorgreifen
ZU wollen, wir glauben nicht an unbedingte Vernichtung der Türken; denn ein¬
mal aus Europa's Gefilden hinausgejagt, finden sie ihre natürlichen Zufluchts¬
stätten in Kleinasten, wo Verstärkung ihrer harrt, wo ihre Kraft znsammgedrängt,
"M Selbsterhaltung streitend sich verzehn- und verhundertfacht entfalten kann.
3n glänzend war ihre Erscheinung, zu viele Thaten kühnen, wenn anch rohen Muthes
u"d großartiger Thatkraft, zeigt ihre Geschichte, als daß wir an ein schmähliches
verschwinden denken konnten. Einmal ans asiatischer Heimathöerde") angelangt,
schafft ihnen Fanatismus nud Verzweiflung Hunderttausende von Kriegern und, wenn
"Ach nicht etwa Hilssarmcen, so liefert doch Mitgefühl mit dem Unglück, Haß
"wskovitischer Gewaltherrschaft, Ehrgeiz, Ruhm und Titelsucht, Thatendrang,
politische Verfolgung n. s. w. jedenfalls noch deutsche, englische, französische und
andere Officiere genug, die der letzten Anstrengung die Leitung und eine, wenn
"und beschränkterem Kreise, nicht ungünstige Wendung zu geben vermögen.

Wir schließen mit diesen flüchtigen, vielleicht schon zu kühnen Andeutungen,
"ud sehen die Ereignisse im Fernglase der Zukunft von Tag zu Tag sich deutlicher
vorbereiten. Ganz Europa trägt seit Jahren das Bewußtsein der fürchterlichen
Erschütterung mit sich, die diesen Fall vorbereiten und ihm folgen muß, und sucht
Hu künstlich möglichst lange aufzuhalten. Allerdings zeigt uus ein flüchtiger
^tick, daß das türkische Reich die reichthumfähigsten Länder Enropa's, Asiens und



*) Als bezeichnendes Merkmal, wie wenig die Türken sich in Enropa heimisch fühlen,
"it wie sehr sie ihre Wicdervertreibnng als gewisi glauben. dagegen Asien als ihr nnnchm-
ares Vrl'c betrachten, mag dienen, das, fast alle Osmanlis, deren Vermizgensumständc dies
"landen, sich ihre Grabstätten nicht in Stambul oder sonst ans der Halbinsel des Balkans,
lindern an der gegenüber liegenden, geliebten Küste Anawlis (Kleinasien) bereiten lassen.

rigen Versuchen dahin kam, ungeschickte Stcinkugeln aus schwerfälligen Feuer-
schlünden zu schleudern, wo daher von der Riesenwirkung und den rasch ent-
scheidenden Erfolgen der heutigen Feuerwaffen »och keine Spur war, widerstand
das lahme entnervte Reich der Constantier lange Jahre hindurch der wildanstürmen¬
den Kraft der jugendlich frischen Osmanlis. Langsam mir nud stückweise zerschellte
es in Trümmer, heroisch wieder zum ersten Male seit Menschengedenken in der
letzten Kraftanstrengung, ging es glorreicher unter, als es bestanden.

Die feste Lage der Hauptstadt, die natürliche Beschaffenheit des Landes, das
durchfurcht ist von zahlreichen Wasserläufen, mit tief einschneidenden Meeresarmen,
rauhen und ungangbaren Bergzügen n. s. w., endlich Verzweiflung eines zu Tode
gehetzten Volkes, erkläre« diesen scheinbaren Widerspruch, und zeigen uus, daß
alle diese Bedingungen eben so gut für die Osmanen sortexistiren; außerdem ist
der heutige Türke doch jedenfalls noch viel muthiger und kampfgeübter, als der
weichliche Byzantine von ehedem.

Fragen wir nnn: was soll aus dem ganzen Volke werden? — so reichen nicht
einmal unsre Ahnnngskräfte zur Autwort aus. Ohne dem Schicksale vorgreifen
ZU wollen, wir glauben nicht an unbedingte Vernichtung der Türken; denn ein¬
mal aus Europa's Gefilden hinausgejagt, finden sie ihre natürlichen Zufluchts¬
stätten in Kleinasten, wo Verstärkung ihrer harrt, wo ihre Kraft znsammgedrängt,
»M Selbsterhaltung streitend sich verzehn- und verhundertfacht entfalten kann.
3n glänzend war ihre Erscheinung, zu viele Thaten kühnen, wenn anch rohen Muthes
u»d großartiger Thatkraft, zeigt ihre Geschichte, als daß wir an ein schmähliches
verschwinden denken konnten. Einmal ans asiatischer Heimathöerde") angelangt,
schafft ihnen Fanatismus nud Verzweiflung Hunderttausende von Kriegern und, wenn
"Ach nicht etwa Hilssarmcen, so liefert doch Mitgefühl mit dem Unglück, Haß
»wskovitischer Gewaltherrschaft, Ehrgeiz, Ruhm und Titelsucht, Thatendrang,
politische Verfolgung n. s. w. jedenfalls noch deutsche, englische, französische und
andere Officiere genug, die der letzten Anstrengung die Leitung und eine, wenn
"und beschränkterem Kreise, nicht ungünstige Wendung zu geben vermögen.

Wir schließen mit diesen flüchtigen, vielleicht schon zu kühnen Andeutungen,
"ud sehen die Ereignisse im Fernglase der Zukunft von Tag zu Tag sich deutlicher
vorbereiten. Ganz Europa trägt seit Jahren das Bewußtsein der fürchterlichen
Erschütterung mit sich, die diesen Fall vorbereiten und ihm folgen muß, und sucht
Hu künstlich möglichst lange aufzuhalten. Allerdings zeigt uus ein flüchtiger
^tick, daß das türkische Reich die reichthumfähigsten Länder Enropa's, Asiens und



*) Als bezeichnendes Merkmal, wie wenig die Türken sich in Enropa heimisch fühlen,
"it wie sehr sie ihre Wicdervertreibnng als gewisi glauben. dagegen Asien als ihr nnnchm-
ares Vrl'c betrachten, mag dienen, das, fast alle Osmanlis, deren Vermizgensumständc dies
"landen, sich ihre Grabstätten nicht in Stambul oder sonst ans der Halbinsel des Balkans,
lindern an der gegenüber liegenden, geliebten Küste Anawlis (Kleinasien) bereiten lassen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/153>, abgerufen am 23.07.2024.