Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nun der Liebe seiner theuren Unterthanen versicherten Sultan wieder sein geliebtes
Serail aufsuchen.

Man möchte bei solchen Anlässen es beinahe eine vom Schicksale dem tür¬
kischen Volke gelegte Falle nennen, daß es eine intelligente, aber durch Jahr¬
hunderte erniedrigte Nation vorfand, die es für sich arbeiten ließ, und deren
Eigenschaften es zur Ergänzung der eigenen Mängel auszubeuten vermeinte.
Wirklich waren es durch Jahrhunderte der Mehrzahl nach Griechen, welche
unter dem Namen türkische Flotte so lange die Küsten und Meere der Christen¬
heit bedrohten und ihre Bevölkerungen zittern machten. Griechen füllten die
Koffer des Staatsschatzes und leiteten alle Geschäfte; doch im Moment, wo einer
von ihnen eine Stellung oder eine Vermögenslage errang, geeignet Neid, Hab¬
sucht oder Unruhe zu erregen, erschien der Türke als Gleichmacher, oft den Kopf
des also Zugestutzten mitnehmend. Und doch ist diese Race dem Untergänge
entronnen, sie ist zahlreicher und mächtiger als je in eben dem Augenblicke, wo
die natürliche Ungelenksamkeit, die VerbessernngSnnsähigkcit ihrer Unterdrücker
durch Altersschwäche auf den höchsten Grad gebracht scheint.

Ehemals handelten die Türken, wenigstens zeitweise, Allah's Namen auf
den Lippen führend; jetzt finden sie bequemer, Nichts zu thun und Allah die
Arbeit zu überlassen; Pascha und Wasserträger sind darinnen einig, und matt
findet nicht einen einzigen Türken mehr, der die Hälfte der Arbeit zu leisten ver¬
möchte, die seinem europäischen Standesgenossen Kinderspiel ist. Dieses von
Natur schwerfällige Volk ist im strengsten Sinne des Wortes unfähig geworden,
unfähig im Gebrauch seiner Sinne, seiner Glieder. Jung und kräftiger Race
angehörig, schien es jeder Unternehmung, jeder Last spielend gewachsen; alt und
gebrochen, im Labyrinthe seines Korans, im Kinderspiele seiner Sprichwörter
und im Rauche des Tschibuks eingerostet, scheint es unrettbar verloren.

Rußland und die Russen sind das große Schreckbild, das den Moslim zittern
macht, und mit Recht, denn sei" Leben ist nur noch der octrvyirte Hauch des
Czar's. Des Selbstherrschers Heerhaufen, gegenwärtig begünstigt durch die
hellen Aufstände der Griechen und Südslaven, würden die Türken in einem kur¬
zen Feldzuge aus Europa hinausfegen, wenn die übrigen Mächte, besonders
England, dies zu gestatten vermöchten. Die asiatische Türkei dagegen, beschützt
durch das Meer und den Kankasus, von einer weniger gemischten und kräftigern
muselmännischen Bevölkerung bewohnt, scheint eines verlängerten Widerstandes
fähig.

Die Zeit, wann und wie die Krisis eintreten, oder wie lange sie dauern
wird, ist freilich zu errathen unmöglich; das Todesröcheln eines Niescntör-
pers, wie das Reich der Ottomanen, kann man sich Jahrzehende fortgesetzt
denken, wie uns schou das Schicksal seines byzcmtischeu Vorgängers beweist.
Z" einer Zeit, in der die Geschützknnde kaum entdeckt, erst nach laugen schole-


nun der Liebe seiner theuren Unterthanen versicherten Sultan wieder sein geliebtes
Serail aufsuchen.

Man möchte bei solchen Anlässen es beinahe eine vom Schicksale dem tür¬
kischen Volke gelegte Falle nennen, daß es eine intelligente, aber durch Jahr¬
hunderte erniedrigte Nation vorfand, die es für sich arbeiten ließ, und deren
Eigenschaften es zur Ergänzung der eigenen Mängel auszubeuten vermeinte.
Wirklich waren es durch Jahrhunderte der Mehrzahl nach Griechen, welche
unter dem Namen türkische Flotte so lange die Küsten und Meere der Christen¬
heit bedrohten und ihre Bevölkerungen zittern machten. Griechen füllten die
Koffer des Staatsschatzes und leiteten alle Geschäfte; doch im Moment, wo einer
von ihnen eine Stellung oder eine Vermögenslage errang, geeignet Neid, Hab¬
sucht oder Unruhe zu erregen, erschien der Türke als Gleichmacher, oft den Kopf
des also Zugestutzten mitnehmend. Und doch ist diese Race dem Untergänge
entronnen, sie ist zahlreicher und mächtiger als je in eben dem Augenblicke, wo
die natürliche Ungelenksamkeit, die VerbessernngSnnsähigkcit ihrer Unterdrücker
durch Altersschwäche auf den höchsten Grad gebracht scheint.

Ehemals handelten die Türken, wenigstens zeitweise, Allah's Namen auf
den Lippen führend; jetzt finden sie bequemer, Nichts zu thun und Allah die
Arbeit zu überlassen; Pascha und Wasserträger sind darinnen einig, und matt
findet nicht einen einzigen Türken mehr, der die Hälfte der Arbeit zu leisten ver¬
möchte, die seinem europäischen Standesgenossen Kinderspiel ist. Dieses von
Natur schwerfällige Volk ist im strengsten Sinne des Wortes unfähig geworden,
unfähig im Gebrauch seiner Sinne, seiner Glieder. Jung und kräftiger Race
angehörig, schien es jeder Unternehmung, jeder Last spielend gewachsen; alt und
gebrochen, im Labyrinthe seines Korans, im Kinderspiele seiner Sprichwörter
und im Rauche des Tschibuks eingerostet, scheint es unrettbar verloren.

Rußland und die Russen sind das große Schreckbild, das den Moslim zittern
macht, und mit Recht, denn sei» Leben ist nur noch der octrvyirte Hauch des
Czar's. Des Selbstherrschers Heerhaufen, gegenwärtig begünstigt durch die
hellen Aufstände der Griechen und Südslaven, würden die Türken in einem kur¬
zen Feldzuge aus Europa hinausfegen, wenn die übrigen Mächte, besonders
England, dies zu gestatten vermöchten. Die asiatische Türkei dagegen, beschützt
durch das Meer und den Kankasus, von einer weniger gemischten und kräftigern
muselmännischen Bevölkerung bewohnt, scheint eines verlängerten Widerstandes
fähig.

Die Zeit, wann und wie die Krisis eintreten, oder wie lange sie dauern
wird, ist freilich zu errathen unmöglich; das Todesröcheln eines Niescntör-
pers, wie das Reich der Ottomanen, kann man sich Jahrzehende fortgesetzt
denken, wie uns schou das Schicksal seines byzcmtischeu Vorgängers beweist.
Z» einer Zeit, in der die Geschützknnde kaum entdeckt, erst nach laugen schole-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0152" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280769"/>
          <p xml:id="ID_463" prev="#ID_462"> nun der Liebe seiner theuren Unterthanen versicherten Sultan wieder sein geliebtes<lb/>
Serail aufsuchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_464"> Man möchte bei solchen Anlässen es beinahe eine vom Schicksale dem tür¬<lb/>
kischen Volke gelegte Falle nennen, daß es eine intelligente, aber durch Jahr¬<lb/>
hunderte erniedrigte Nation vorfand, die es für sich arbeiten ließ, und deren<lb/>
Eigenschaften es zur Ergänzung der eigenen Mängel auszubeuten vermeinte.<lb/>
Wirklich waren es durch Jahrhunderte der Mehrzahl nach Griechen, welche<lb/>
unter dem Namen türkische Flotte so lange die Küsten und Meere der Christen¬<lb/>
heit bedrohten und ihre Bevölkerungen zittern machten. Griechen füllten die<lb/>
Koffer des Staatsschatzes und leiteten alle Geschäfte; doch im Moment, wo einer<lb/>
von ihnen eine Stellung oder eine Vermögenslage errang, geeignet Neid, Hab¬<lb/>
sucht oder Unruhe zu erregen, erschien der Türke als Gleichmacher, oft den Kopf<lb/>
des also Zugestutzten mitnehmend. Und doch ist diese Race dem Untergänge<lb/>
entronnen, sie ist zahlreicher und mächtiger als je in eben dem Augenblicke, wo<lb/>
die natürliche Ungelenksamkeit, die VerbessernngSnnsähigkcit ihrer Unterdrücker<lb/>
durch Altersschwäche auf den höchsten Grad gebracht scheint.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_465"> Ehemals handelten die Türken, wenigstens zeitweise, Allah's Namen auf<lb/>
den Lippen führend; jetzt finden sie bequemer, Nichts zu thun und Allah die<lb/>
Arbeit zu überlassen; Pascha und Wasserträger sind darinnen einig, und matt<lb/>
findet nicht einen einzigen Türken mehr, der die Hälfte der Arbeit zu leisten ver¬<lb/>
möchte, die seinem europäischen Standesgenossen Kinderspiel ist. Dieses von<lb/>
Natur schwerfällige Volk ist im strengsten Sinne des Wortes unfähig geworden,<lb/>
unfähig im Gebrauch seiner Sinne, seiner Glieder. Jung und kräftiger Race<lb/>
angehörig, schien es jeder Unternehmung, jeder Last spielend gewachsen; alt und<lb/>
gebrochen, im Labyrinthe seines Korans, im Kinderspiele seiner Sprichwörter<lb/>
und im Rauche des Tschibuks eingerostet, scheint es unrettbar verloren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_466"> Rußland und die Russen sind das große Schreckbild, das den Moslim zittern<lb/>
macht, und mit Recht, denn sei» Leben ist nur noch der octrvyirte Hauch des<lb/>
Czar's. Des Selbstherrschers Heerhaufen, gegenwärtig begünstigt durch die<lb/>
hellen Aufstände der Griechen und Südslaven, würden die Türken in einem kur¬<lb/>
zen Feldzuge aus Europa hinausfegen, wenn die übrigen Mächte, besonders<lb/>
England, dies zu gestatten vermöchten. Die asiatische Türkei dagegen, beschützt<lb/>
durch das Meer und den Kankasus, von einer weniger gemischten und kräftigern<lb/>
muselmännischen Bevölkerung bewohnt, scheint eines verlängerten Widerstandes<lb/>
fähig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_467" next="#ID_468"> Die Zeit, wann und wie die Krisis eintreten, oder wie lange sie dauern<lb/>
wird, ist freilich zu errathen unmöglich; das Todesröcheln eines Niescntör-<lb/>
pers, wie das Reich der Ottomanen, kann man sich Jahrzehende fortgesetzt<lb/>
denken, wie uns schou das Schicksal seines byzcmtischeu Vorgängers beweist.<lb/>
Z» einer Zeit, in der die Geschützknnde kaum entdeckt, erst nach laugen schole-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0152] nun der Liebe seiner theuren Unterthanen versicherten Sultan wieder sein geliebtes Serail aufsuchen. Man möchte bei solchen Anlässen es beinahe eine vom Schicksale dem tür¬ kischen Volke gelegte Falle nennen, daß es eine intelligente, aber durch Jahr¬ hunderte erniedrigte Nation vorfand, die es für sich arbeiten ließ, und deren Eigenschaften es zur Ergänzung der eigenen Mängel auszubeuten vermeinte. Wirklich waren es durch Jahrhunderte der Mehrzahl nach Griechen, welche unter dem Namen türkische Flotte so lange die Küsten und Meere der Christen¬ heit bedrohten und ihre Bevölkerungen zittern machten. Griechen füllten die Koffer des Staatsschatzes und leiteten alle Geschäfte; doch im Moment, wo einer von ihnen eine Stellung oder eine Vermögenslage errang, geeignet Neid, Hab¬ sucht oder Unruhe zu erregen, erschien der Türke als Gleichmacher, oft den Kopf des also Zugestutzten mitnehmend. Und doch ist diese Race dem Untergänge entronnen, sie ist zahlreicher und mächtiger als je in eben dem Augenblicke, wo die natürliche Ungelenksamkeit, die VerbessernngSnnsähigkcit ihrer Unterdrücker durch Altersschwäche auf den höchsten Grad gebracht scheint. Ehemals handelten die Türken, wenigstens zeitweise, Allah's Namen auf den Lippen führend; jetzt finden sie bequemer, Nichts zu thun und Allah die Arbeit zu überlassen; Pascha und Wasserträger sind darinnen einig, und matt findet nicht einen einzigen Türken mehr, der die Hälfte der Arbeit zu leisten ver¬ möchte, die seinem europäischen Standesgenossen Kinderspiel ist. Dieses von Natur schwerfällige Volk ist im strengsten Sinne des Wortes unfähig geworden, unfähig im Gebrauch seiner Sinne, seiner Glieder. Jung und kräftiger Race angehörig, schien es jeder Unternehmung, jeder Last spielend gewachsen; alt und gebrochen, im Labyrinthe seines Korans, im Kinderspiele seiner Sprichwörter und im Rauche des Tschibuks eingerostet, scheint es unrettbar verloren. Rußland und die Russen sind das große Schreckbild, das den Moslim zittern macht, und mit Recht, denn sei» Leben ist nur noch der octrvyirte Hauch des Czar's. Des Selbstherrschers Heerhaufen, gegenwärtig begünstigt durch die hellen Aufstände der Griechen und Südslaven, würden die Türken in einem kur¬ zen Feldzuge aus Europa hinausfegen, wenn die übrigen Mächte, besonders England, dies zu gestatten vermöchten. Die asiatische Türkei dagegen, beschützt durch das Meer und den Kankasus, von einer weniger gemischten und kräftigern muselmännischen Bevölkerung bewohnt, scheint eines verlängerten Widerstandes fähig. Die Zeit, wann und wie die Krisis eintreten, oder wie lange sie dauern wird, ist freilich zu errathen unmöglich; das Todesröcheln eines Niescntör- pers, wie das Reich der Ottomanen, kann man sich Jahrzehende fortgesetzt denken, wie uns schou das Schicksal seines byzcmtischeu Vorgängers beweist. Z» einer Zeit, in der die Geschützknnde kaum entdeckt, erst nach laugen schole-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/152
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/152>, abgerufen am 23.07.2024.