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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Daher kommt es baun auch, daß man allen Reklamationen zum Trotz die
Kauf- und Vcrkanfserlaubuiß für Naturerzeugnisse uoch im ganzen innern Rume-
lien und Anatolien mit obligater Beigabe reicher Geschenke erkaufen muß. Der
Pascha, auch oft nur ein einfacher Aga oder Bey, naße sich ohne Weiteres das
Recht an, alle Ernten des Districts zu elenden Preisen, ja oft noch sogar gegen
erzwungenen Credit auszulaufen; jeder Vertrag mit Andern als ihm, wenigstens
wenn ihm der gehörige Tribut nicht geleistet wurde, ist ein todter Buchstabe,
und die europäische" Capitalien, die ganz bereit find, sich in einem Lande auszn-
breite", dessen reicher Boden Getreide und Obst aller Art, Opium, Krapp, Baum¬
wolle, Oliven, Specerei-und Apothekerwaaren u. s. w. in Hülle und Fülle her¬
vorbringen und reichen Segen über die armen Landbebauer verbreiten könnte,
wagen es uicht, sich aus den reichen Hafenstädten in die Landstriche zu verirren,
wo keine Garantie, kein Recht, keine Billigkeit ihnen das freie Wirken und selbst
den endlichen Rückgang sichert.

Wer immer mit eigenen Augen ein so gründlich zu Grunde gerichtetes u"d
entvölkertes Reich mit einer so elenden durch und durch verdorbenen Negieruugs-
maschine an der Spitze gesehen, der muß unwillkürlich und aus tief innerster
Ueberzeugung dem vollkommen gegründeten Urtheile, nicht nur der europäischen
Staatsmänner und Forscher, sondern selbst der europäischen Volksmassen, daß das
osmanische Reich unhaltbar, daß seine Vernichtung unvermeidlich und nächst bevor¬
stehend sei, laut und offen Recht geben. -- Die Reformen selbst, diese vielfach ver¬
suchten Palliative, beweisen sich nur als Pfuschmittel, theils dem eigenthümliche"
Körper- und Geistesorganismus widerstrebend, und eher noch zersetzend als ver¬
einend, theils ungeschickt "ud ungenügend ausgedacht und angewendet, jedenfalls
aber als "zu spät" gekommen. .

Die ganze Tagespolitik des Divans besteht und kann "ur darin bestehen,
gefährlichen Anstößer möglichst auszuweichen, schwierige Fragen ans die lange
Bank zu schieben. Wol ist hierbei zu bemerken, daß in einer Beziehung, na¬
mentlich hinsichtlich der auswärtige" Politik und der Behauptung entfernter und
zweifelhafter Besitzungen, dieses System trägen Sichgeheulasscus mit zeitweiser
Beimischung irgend eines verschmitzten oder blutiggrausamen Staatsstreiches nicht
neu und mitunter auch uicht erfolglos erscheint; besonders für uns, die wir oft
selbst scheu müsse", daß die bestbcrcchuctcu Entwürfe erleuchteter Staatsmänner
in der Ausführung ein der ursprünglichen Absicht geradezu entgegengesetztes Re¬
sultat erzeugen, und daß, während die riesenhaftesten Hilfsmittel von Tag zu
Tag aufgeboten, und Jahre laug alle Furien des Krieges im Osten, Norden Und
Süden losgelassen worden, die Staatskräfte, so wie das politische Fetzenkleid unsres
alten Europa's doch wenigstens scheinbar fort und fort dieselben geblieben sind.
Wir müssen hierzu uoch ausdrücklich beifügen, daß wenn die ohnehin rath- und that¬
losen Türken in einem viel zu ausgedehnten Reiche zerstreut, wirklich und mit


Daher kommt es baun auch, daß man allen Reklamationen zum Trotz die
Kauf- und Vcrkanfserlaubuiß für Naturerzeugnisse uoch im ganzen innern Rume-
lien und Anatolien mit obligater Beigabe reicher Geschenke erkaufen muß. Der
Pascha, auch oft nur ein einfacher Aga oder Bey, naße sich ohne Weiteres das
Recht an, alle Ernten des Districts zu elenden Preisen, ja oft noch sogar gegen
erzwungenen Credit auszulaufen; jeder Vertrag mit Andern als ihm, wenigstens
wenn ihm der gehörige Tribut nicht geleistet wurde, ist ein todter Buchstabe,
und die europäische» Capitalien, die ganz bereit find, sich in einem Lande auszn-
breite«, dessen reicher Boden Getreide und Obst aller Art, Opium, Krapp, Baum¬
wolle, Oliven, Specerei-und Apothekerwaaren u. s. w. in Hülle und Fülle her¬
vorbringen und reichen Segen über die armen Landbebauer verbreiten könnte,
wagen es uicht, sich aus den reichen Hafenstädten in die Landstriche zu verirren,
wo keine Garantie, kein Recht, keine Billigkeit ihnen das freie Wirken und selbst
den endlichen Rückgang sichert.

Wer immer mit eigenen Augen ein so gründlich zu Grunde gerichtetes u»d
entvölkertes Reich mit einer so elenden durch und durch verdorbenen Negieruugs-
maschine an der Spitze gesehen, der muß unwillkürlich und aus tief innerster
Ueberzeugung dem vollkommen gegründeten Urtheile, nicht nur der europäischen
Staatsmänner und Forscher, sondern selbst der europäischen Volksmassen, daß das
osmanische Reich unhaltbar, daß seine Vernichtung unvermeidlich und nächst bevor¬
stehend sei, laut und offen Recht geben. — Die Reformen selbst, diese vielfach ver¬
suchten Palliative, beweisen sich nur als Pfuschmittel, theils dem eigenthümliche"
Körper- und Geistesorganismus widerstrebend, und eher noch zersetzend als ver¬
einend, theils ungeschickt »ud ungenügend ausgedacht und angewendet, jedenfalls
aber als „zu spät" gekommen. .

Die ganze Tagespolitik des Divans besteht und kann »ur darin bestehen,
gefährlichen Anstößer möglichst auszuweichen, schwierige Fragen ans die lange
Bank zu schieben. Wol ist hierbei zu bemerken, daß in einer Beziehung, na¬
mentlich hinsichtlich der auswärtige» Politik und der Behauptung entfernter und
zweifelhafter Besitzungen, dieses System trägen Sichgeheulasscus mit zeitweiser
Beimischung irgend eines verschmitzten oder blutiggrausamen Staatsstreiches nicht
neu und mitunter auch uicht erfolglos erscheint; besonders für uns, die wir oft
selbst scheu müsse», daß die bestbcrcchuctcu Entwürfe erleuchteter Staatsmänner
in der Ausführung ein der ursprünglichen Absicht geradezu entgegengesetztes Re¬
sultat erzeugen, und daß, während die riesenhaftesten Hilfsmittel von Tag zu
Tag aufgeboten, und Jahre laug alle Furien des Krieges im Osten, Norden Und
Süden losgelassen worden, die Staatskräfte, so wie das politische Fetzenkleid unsres
alten Europa's doch wenigstens scheinbar fort und fort dieselben geblieben sind.
Wir müssen hierzu uoch ausdrücklich beifügen, daß wenn die ohnehin rath- und that¬
losen Türken in einem viel zu ausgedehnten Reiche zerstreut, wirklich und mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/150>, abgerufen am 23.07.2024.