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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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lichkeit nicht Prahlerei, und die That kein leeres Wort ist. Und Sierocinski
war ein Ukrainer, und zwar einer von der besten Sorte. Ich hatte Gelegen¬
heit, Gedichte von ihm ;n lesen, welche während der Zeit seiner Gefangenschaft
entstanden waren; in diesen Ergießungen des Augenblicks malt sich eine seltene
Seele, wahre christliche Demuth, echte Menschenwürde, das Sehnen eines gläu¬
bigen Herzens, die Geradheit des Polen, der Schmerz, die Trauer, das Leiden
eines Menschen, dessen Hoffen nicht mehr von dieser Welt ist.

Endlich traf das Urtheil von Petersburg ein. Es lautete für Sierocinski
und fünf andere, unter denen auch ein Russe und ein sechzigjähriger Officier
aus der Napoleonischen Zeit waren:

"auf 7000 Hiebe ohne Erbarmen (dies war ausdrücklich angegeben) und
-- sollte sie der Verurtheilte überstehen -- auf lebenslängliche schwere Arbeit
in den Nertschinsker Bergwerken."

Die Strafen der übrigen, minder compromittirten waren nach Maßgabe der
Schuld 3000, 2000, 1000, 300 Kunden- oder Peitschenhiebe, und dann schwere
Arbeit auf Lebenszeit oder für eine gewisse Reihe von Jahren, Transport in die
Kolonien oder in entfernte Gubernien, Einverleibung in die sibirischen Ba¬
taillone u. s. w.

Im März des Jahres -1837 wurde das Urtheil vollzogen. Der General
Gatafiejew, ein Maun, den selbst die Russen als einen wilden und grausamen
bezeichneten, war von Petersburg nach Omsk beordert, um die Execution z"
leiten. Wahrlich eine beneidenswerthe Mission!

Es ist in Rußland beim Spicßrnthenlanfen Gesetz, daß in den Reihe"
Mann an Mann steht, der Arm beim Schlag nicht weit vorgestreckt werden darf,
und die Beine dicht an einander geschlossen sein sollen; auch müssen die Stöcke
so beschaffen sein, daß drei zusammen bequem in einen Flintenlauf gehen. Alle
diese Vorschriften betrachtete der General diesmal als nicht vorhanden. Die
Soldaten standen auf Armeslänge von einander entfernt, beim Schlage sollte die
Faust weit ausgestreckt, der festeren Stellung und bessern Kraftentwickelung wegen
mit dem einen Fuße vorgetreten, und ein Stock gebraucht werden, der so dick
war, wie die Mündung des Gewehrs, also ein förmlicher Knüttel!

Die Unglücklichen wurden auf den Richtplatz geführt. Die Bataillone hatten
zwei lange Gassen gebildet; die stärksten und kräftigsten Leute standen in derjeni¬
gen, welche Sierocinski und seine Gefährten dnrchwandeui sollten. Von den
sechs Hanpträdelöführern wurde nur ein gewisser Szvkalski, für welchen sich
der Bataillonsarzt aufs eifrigste verwendet hatte, etwas gelinder behandelt, bei den
Andern verfuhr man streng nach Vorschrift, d. h. man schlug ohne Erbarmen-
Keiner von ihnen hielt auch die Strafe aus. Sierocinski hatte man bis zuletzt
aufgespart. Endlich schlug auch seine Stunde. Man entblößte ihm den Ober¬
körper, band seine Hände an die Mündung eines von zwei voranschreitenden


lichkeit nicht Prahlerei, und die That kein leeres Wort ist. Und Sierocinski
war ein Ukrainer, und zwar einer von der besten Sorte. Ich hatte Gelegen¬
heit, Gedichte von ihm ;n lesen, welche während der Zeit seiner Gefangenschaft
entstanden waren; in diesen Ergießungen des Augenblicks malt sich eine seltene
Seele, wahre christliche Demuth, echte Menschenwürde, das Sehnen eines gläu¬
bigen Herzens, die Geradheit des Polen, der Schmerz, die Trauer, das Leiden
eines Menschen, dessen Hoffen nicht mehr von dieser Welt ist.

Endlich traf das Urtheil von Petersburg ein. Es lautete für Sierocinski
und fünf andere, unter denen auch ein Russe und ein sechzigjähriger Officier
aus der Napoleonischen Zeit waren:

„auf 7000 Hiebe ohne Erbarmen (dies war ausdrücklich angegeben) und
— sollte sie der Verurtheilte überstehen — auf lebenslängliche schwere Arbeit
in den Nertschinsker Bergwerken."

Die Strafen der übrigen, minder compromittirten waren nach Maßgabe der
Schuld 3000, 2000, 1000, 300 Kunden- oder Peitschenhiebe, und dann schwere
Arbeit auf Lebenszeit oder für eine gewisse Reihe von Jahren, Transport in die
Kolonien oder in entfernte Gubernien, Einverleibung in die sibirischen Ba¬
taillone u. s. w.

Im März des Jahres -1837 wurde das Urtheil vollzogen. Der General
Gatafiejew, ein Maun, den selbst die Russen als einen wilden und grausamen
bezeichneten, war von Petersburg nach Omsk beordert, um die Execution z"
leiten. Wahrlich eine beneidenswerthe Mission!

Es ist in Rußland beim Spicßrnthenlanfen Gesetz, daß in den Reihe»
Mann an Mann steht, der Arm beim Schlag nicht weit vorgestreckt werden darf,
und die Beine dicht an einander geschlossen sein sollen; auch müssen die Stöcke
so beschaffen sein, daß drei zusammen bequem in einen Flintenlauf gehen. Alle
diese Vorschriften betrachtete der General diesmal als nicht vorhanden. Die
Soldaten standen auf Armeslänge von einander entfernt, beim Schlage sollte die
Faust weit ausgestreckt, der festeren Stellung und bessern Kraftentwickelung wegen
mit dem einen Fuße vorgetreten, und ein Stock gebraucht werden, der so dick
war, wie die Mündung des Gewehrs, also ein förmlicher Knüttel!

Die Unglücklichen wurden auf den Richtplatz geführt. Die Bataillone hatten
zwei lange Gassen gebildet; die stärksten und kräftigsten Leute standen in derjeni¬
gen, welche Sierocinski und seine Gefährten dnrchwandeui sollten. Von den
sechs Hanpträdelöführern wurde nur ein gewisser Szvkalski, für welchen sich
der Bataillonsarzt aufs eifrigste verwendet hatte, etwas gelinder behandelt, bei den
Andern verfuhr man streng nach Vorschrift, d. h. man schlug ohne Erbarmen-
Keiner von ihnen hielt auch die Strafe aus. Sierocinski hatte man bis zuletzt
aufgespart. Endlich schlug auch seine Stunde. Man entblößte ihm den Ober¬
körper, band seine Hände an die Mündung eines von zwei voranschreitenden


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[0132] lichkeit nicht Prahlerei, und die That kein leeres Wort ist. Und Sierocinski war ein Ukrainer, und zwar einer von der besten Sorte. Ich hatte Gelegen¬ heit, Gedichte von ihm ;n lesen, welche während der Zeit seiner Gefangenschaft entstanden waren; in diesen Ergießungen des Augenblicks malt sich eine seltene Seele, wahre christliche Demuth, echte Menschenwürde, das Sehnen eines gläu¬ bigen Herzens, die Geradheit des Polen, der Schmerz, die Trauer, das Leiden eines Menschen, dessen Hoffen nicht mehr von dieser Welt ist. Endlich traf das Urtheil von Petersburg ein. Es lautete für Sierocinski und fünf andere, unter denen auch ein Russe und ein sechzigjähriger Officier aus der Napoleonischen Zeit waren: „auf 7000 Hiebe ohne Erbarmen (dies war ausdrücklich angegeben) und — sollte sie der Verurtheilte überstehen — auf lebenslängliche schwere Arbeit in den Nertschinsker Bergwerken." Die Strafen der übrigen, minder compromittirten waren nach Maßgabe der Schuld 3000, 2000, 1000, 300 Kunden- oder Peitschenhiebe, und dann schwere Arbeit auf Lebenszeit oder für eine gewisse Reihe von Jahren, Transport in die Kolonien oder in entfernte Gubernien, Einverleibung in die sibirischen Ba¬ taillone u. s. w. Im März des Jahres -1837 wurde das Urtheil vollzogen. Der General Gatafiejew, ein Maun, den selbst die Russen als einen wilden und grausamen bezeichneten, war von Petersburg nach Omsk beordert, um die Execution z" leiten. Wahrlich eine beneidenswerthe Mission! Es ist in Rußland beim Spicßrnthenlanfen Gesetz, daß in den Reihe» Mann an Mann steht, der Arm beim Schlag nicht weit vorgestreckt werden darf, und die Beine dicht an einander geschlossen sein sollen; auch müssen die Stöcke so beschaffen sein, daß drei zusammen bequem in einen Flintenlauf gehen. Alle diese Vorschriften betrachtete der General diesmal als nicht vorhanden. Die Soldaten standen auf Armeslänge von einander entfernt, beim Schlage sollte die Faust weit ausgestreckt, der festeren Stellung und bessern Kraftentwickelung wegen mit dem einen Fuße vorgetreten, und ein Stock gebraucht werden, der so dick war, wie die Mündung des Gewehrs, also ein förmlicher Knüttel! Die Unglücklichen wurden auf den Richtplatz geführt. Die Bataillone hatten zwei lange Gassen gebildet; die stärksten und kräftigsten Leute standen in derjeni¬ gen, welche Sierocinski und seine Gefährten dnrchwandeui sollten. Von den sechs Hanpträdelöführern wurde nur ein gewisser Szvkalski, für welchen sich der Bataillonsarzt aufs eifrigste verwendet hatte, etwas gelinder behandelt, bei den Andern verfuhr man streng nach Vorschrift, d. h. man schlug ohne Erbarmen- Keiner von ihnen hielt auch die Strafe aus. Sierocinski hatte man bis zuletzt aufgespart. Endlich schlug auch seine Stunde. Man entblößte ihm den Ober¬ körper, band seine Hände an die Mündung eines von zwei voranschreitenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/132>, abgerufen am 23.07.2024.