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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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fochten, ihr Blut für dasselbe vergossen hatten, und dafür später in den sibirischen
Bataillonen als gemeine Soldaten dienen mußten. Es waren ihrer drei, Ga-
jewski, aus dem Königreich, Knak aus Warschau und uoch einer, dessen Namen
ich vergessen habe; sie hatten sämmtlich in der polnischen Armee gedient, zwei
davon sogar lange vor dem Ausbruch der Revolution.

Diese drei entarteten Sohne ihres Vaterlandes begaben sich am Abend vor
dem zum Ausbruch bestimmten Tage zum Oberst Degrave, Commandanten der
Festung, und entdeckten ihm Alles. Leider waren sie, da man sehr ans sie ge¬
rechnet hatte, tief in die Geheimnisse der Verschwornen eingeweiht, und konnten
deshalb über Alles die genauste Ansümst geben. Die nächste Folge davon war
die sofortige Verhaftung des Priors und seiner Verbündeten, die meist in der
Stadt oder bereu Nähe wohnten, und später durch ganz Sibirien ein wahres
Treibjagen auf Alle, die nnr im entferntesten sich an dem Aufstände betheiligt
hatten, oder irgendwie verdächtig waren; Pole", ilinssen, Eingeborne, Tartaren,
Soldaten, Kolonisten, Sträflinge, Alles wurde eingezogen, und bildete das Con-
tingent.zu einem ungeheuren Processe, der sofort eingeleitet wurde. Es mögen
wol an tausend gewesen sein, die während der Jahre 183ö und 3<i ergriffen wurden;
viele von ihnen durften bald wieder die Haft verlasse", und man behielt nur die am
"leisten Gravirtcu zurück, um sie entweder nach Tobolsk zu schicken, oder in Omsk
als dem Orte, von wo aus die Verschwörung sich verbreiten sollte,.in strengen Ge¬
wahrsam zu bringen. Vow Petersburg trafen nach einander zwei Commissionen ein,
"in die Untersuchung zu leiten; sie arbeiteten ohne Erfolg, denn einerseits war die
Sache im höchste" Grade verwickelt, und andererseits das Gewissen der Richter nicht
weit genug, um ans den Schein hin Leute zu verurtheilen, die nur Verzweiflung dazu
getrieben hatte, sich gegen den Czaren aufzulehnen, und das Bestehende umzu¬
stürzen. Dle dritte Commission, die ebenfalls ans der Residenz geschickt wurde,
Mg wahrscheinlich von anderen Gesichtspunkten aus,' und kam endlich nach drei
Jahren mit deu Verhören und Urtheilen zu Ende. Sie verfuhr ziemlich summa¬
risch, ließ diejenigen, die ihr minder gefährlich erschienen, einstweilen laufen, und
behielt nnr die Häupter des Aufstandes zurück.

Während der gauzeu Untersuchung behauptete Sierociuöki eine Gemüths¬
ruhe und Stärke des Charakters, die man zu den Seltenheiten rechnen muß.
Mit Würde antwortete er auf alle ihm vorgelegten Fragen, doch immer so, daß
die Inquirenten auf nichts Festes fußen konnten, und alle ihre Künste an dem
eisernen Willen, dein unbeugsamen Geiste und dem kühnen Temperamente des
Geistlichen scheiterten. Es nimmt fast Wunder, diese Eigenschaften neben einem so
weichen, empfänglichen Gemüthe, wie dasjenige Siervcinöki's in der That war,
"u finden; doch dieser scheinbare Widerspruch tritt uns ja nicht gerade selten ent¬
gegen, besonders bei dem Ukrainer, bei welchem, wie das Sprichwort sagt, das
Vink nicht Wasser, das Her; nicht Eis, der Wille nicht eitler Dünkel, die Mann-


fochten, ihr Blut für dasselbe vergossen hatten, und dafür später in den sibirischen
Bataillonen als gemeine Soldaten dienen mußten. Es waren ihrer drei, Ga-
jewski, aus dem Königreich, Knak aus Warschau und uoch einer, dessen Namen
ich vergessen habe; sie hatten sämmtlich in der polnischen Armee gedient, zwei
davon sogar lange vor dem Ausbruch der Revolution.

Diese drei entarteten Sohne ihres Vaterlandes begaben sich am Abend vor
dem zum Ausbruch bestimmten Tage zum Oberst Degrave, Commandanten der
Festung, und entdeckten ihm Alles. Leider waren sie, da man sehr ans sie ge¬
rechnet hatte, tief in die Geheimnisse der Verschwornen eingeweiht, und konnten
deshalb über Alles die genauste Ansümst geben. Die nächste Folge davon war
die sofortige Verhaftung des Priors und seiner Verbündeten, die meist in der
Stadt oder bereu Nähe wohnten, und später durch ganz Sibirien ein wahres
Treibjagen auf Alle, die nnr im entferntesten sich an dem Aufstände betheiligt
hatten, oder irgendwie verdächtig waren; Pole», ilinssen, Eingeborne, Tartaren,
Soldaten, Kolonisten, Sträflinge, Alles wurde eingezogen, und bildete das Con-
tingent.zu einem ungeheuren Processe, der sofort eingeleitet wurde. Es mögen
wol an tausend gewesen sein, die während der Jahre 183ö und 3<i ergriffen wurden;
viele von ihnen durften bald wieder die Haft verlasse», und man behielt nur die am
"leisten Gravirtcu zurück, um sie entweder nach Tobolsk zu schicken, oder in Omsk
als dem Orte, von wo aus die Verschwörung sich verbreiten sollte,.in strengen Ge¬
wahrsam zu bringen. Vow Petersburg trafen nach einander zwei Commissionen ein,
"in die Untersuchung zu leiten; sie arbeiteten ohne Erfolg, denn einerseits war die
Sache im höchste» Grade verwickelt, und andererseits das Gewissen der Richter nicht
weit genug, um ans den Schein hin Leute zu verurtheilen, die nur Verzweiflung dazu
getrieben hatte, sich gegen den Czaren aufzulehnen, und das Bestehende umzu¬
stürzen. Dle dritte Commission, die ebenfalls ans der Residenz geschickt wurde,
Mg wahrscheinlich von anderen Gesichtspunkten aus,' und kam endlich nach drei
Jahren mit deu Verhören und Urtheilen zu Ende. Sie verfuhr ziemlich summa¬
risch, ließ diejenigen, die ihr minder gefährlich erschienen, einstweilen laufen, und
behielt nnr die Häupter des Aufstandes zurück.

Während der gauzeu Untersuchung behauptete Sierociuöki eine Gemüths¬
ruhe und Stärke des Charakters, die man zu den Seltenheiten rechnen muß.
Mit Würde antwortete er auf alle ihm vorgelegten Fragen, doch immer so, daß
die Inquirenten auf nichts Festes fußen konnten, und alle ihre Künste an dem
eisernen Willen, dein unbeugsamen Geiste und dem kühnen Temperamente des
Geistlichen scheiterten. Es nimmt fast Wunder, diese Eigenschaften neben einem so
weichen, empfänglichen Gemüthe, wie dasjenige Siervcinöki's in der That war,
»u finden; doch dieser scheinbare Widerspruch tritt uns ja nicht gerade selten ent¬
gegen, besonders bei dem Ukrainer, bei welchem, wie das Sprichwort sagt, das
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[0131] fochten, ihr Blut für dasselbe vergossen hatten, und dafür später in den sibirischen Bataillonen als gemeine Soldaten dienen mußten. Es waren ihrer drei, Ga- jewski, aus dem Königreich, Knak aus Warschau und uoch einer, dessen Namen ich vergessen habe; sie hatten sämmtlich in der polnischen Armee gedient, zwei davon sogar lange vor dem Ausbruch der Revolution. Diese drei entarteten Sohne ihres Vaterlandes begaben sich am Abend vor dem zum Ausbruch bestimmten Tage zum Oberst Degrave, Commandanten der Festung, und entdeckten ihm Alles. Leider waren sie, da man sehr ans sie ge¬ rechnet hatte, tief in die Geheimnisse der Verschwornen eingeweiht, und konnten deshalb über Alles die genauste Ansümst geben. Die nächste Folge davon war die sofortige Verhaftung des Priors und seiner Verbündeten, die meist in der Stadt oder bereu Nähe wohnten, und später durch ganz Sibirien ein wahres Treibjagen auf Alle, die nnr im entferntesten sich an dem Aufstände betheiligt hatten, oder irgendwie verdächtig waren; Pole», ilinssen, Eingeborne, Tartaren, Soldaten, Kolonisten, Sträflinge, Alles wurde eingezogen, und bildete das Con- tingent.zu einem ungeheuren Processe, der sofort eingeleitet wurde. Es mögen wol an tausend gewesen sein, die während der Jahre 183ö und 3<i ergriffen wurden; viele von ihnen durften bald wieder die Haft verlasse», und man behielt nur die am "leisten Gravirtcu zurück, um sie entweder nach Tobolsk zu schicken, oder in Omsk als dem Orte, von wo aus die Verschwörung sich verbreiten sollte,.in strengen Ge¬ wahrsam zu bringen. Vow Petersburg trafen nach einander zwei Commissionen ein, "in die Untersuchung zu leiten; sie arbeiteten ohne Erfolg, denn einerseits war die Sache im höchste» Grade verwickelt, und andererseits das Gewissen der Richter nicht weit genug, um ans den Schein hin Leute zu verurtheilen, die nur Verzweiflung dazu getrieben hatte, sich gegen den Czaren aufzulehnen, und das Bestehende umzu¬ stürzen. Dle dritte Commission, die ebenfalls ans der Residenz geschickt wurde, Mg wahrscheinlich von anderen Gesichtspunkten aus,' und kam endlich nach drei Jahren mit deu Verhören und Urtheilen zu Ende. Sie verfuhr ziemlich summa¬ risch, ließ diejenigen, die ihr minder gefährlich erschienen, einstweilen laufen, und behielt nnr die Häupter des Aufstandes zurück. Während der gauzeu Untersuchung behauptete Sierociuöki eine Gemüths¬ ruhe und Stärke des Charakters, die man zu den Seltenheiten rechnen muß. Mit Würde antwortete er auf alle ihm vorgelegten Fragen, doch immer so, daß die Inquirenten auf nichts Festes fußen konnten, und alle ihre Künste an dem eisernen Willen, dein unbeugsamen Geiste und dem kühnen Temperamente des Geistlichen scheiterten. Es nimmt fast Wunder, diese Eigenschaften neben einem so weichen, empfänglichen Gemüthe, wie dasjenige Siervcinöki's in der That war, »u finden; doch dieser scheinbare Widerspruch tritt uns ja nicht gerade selten ent¬ gegen, besonders bei dem Ukrainer, bei welchem, wie das Sprichwort sagt, das Vink nicht Wasser, das Her; nicht Eis, der Wille nicht eitler Dünkel, die Mann-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/131>, abgerufen am 23.07.2024.