Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

versunkenen Schatten herab, der die Menschen floh, so sehr er durste und konnte,
und sich mit seiner Bitterkeit, seiner Verzweiflung an einer lichtem Zukunft am
liebsten in die dunkle Zelle verschloß. Wann ihn das schreckliche Loos traf, das
Leib und Seele zerstörte, ob 1836 oder 37, weiß ich nicht genau anzugeben,
wol aber erinnere ich mich, daß, zur Zeit, als ich uach Sibirien kam, er noch
in Matuya war, und er, der Held des 29. Novembers, sich in freien Augenblicken
mit der Verfertigung viereckiger Stückchen Seife beschäftigte. Ich selbst besitze
ein solches mit der Aufschrift I>. ^V, .^lurw^. Mancher schöne Mund hat das
""scheinbare Stück geküßt und Ströme von Thränen sind ans dasselbe herabgefallen.

Bei meiner Ankunft in Frankreich, das ich 1846 glücklich erreichte, erfuhr
ich zufällig, und zwar aus glaubwürdigen Munde, Wysocki sei von Matuya weg
und in die Gegend von Jrüchk in ein Zuchthaus gebracht worden.

Genauer, als über Wysocki, bin ich in Betreff des Geistlichen Sierocinöki
"ut seiner Gefährten Schicksale unterrichtet, weil sie, in Omsk wohnend, so zu
sagen zu meiner Nachbarschaft gehörten, und mit mir zu gleicher Zeit in Si¬
birien waren; zudem wurde auch viel von ihnen erzählt, sowol von den anwe¬
senden Polen, wie anch von Russen und Eingebornen, und da alle Aussagen im
Wesentlichen übereinstimmen, so gilt mir dasjenige,. was ich über sie erfahren
habe, als vollkommen wahr.

Sicrocinski war bis zum Nvvemberaufstande Prior oder Superior in einem
Basilianerkloster zu Owrutsch in Wolyuicu, und hatte als solcher auch die Schulen
unter seiner Aufsicht. Wie so viel tausend Andere nahm auch er thätigen Antheil
an der Bewegung seines Vaterlandes, wurde aber bald von deu Russen gefangen,
eingekerkert, und uach gefälltem Urtheil der geistlichen Würden beraubt, um in
das Kleid eiues gemeinen Kosaken gesteckt zu werden. Als solcher kam er mit
seinem Pult (Regiment) nach Sibirien, und streifte hier mit Pike, Säbel und
Pistolen bewaffnet, in deu kirgisischen Steppen umher.

Omsk hatte seit einiger Zeit eine Kosakenkriegsschnle, allein es fehlte an
geeigneten Lehrern. Da erinnerte man sich,' Sierocinöki sei ja Professor gewesen,
und habe selbst dem Schulwesen in seiner Heimath vorgestanden, er müsse des¬
halb ein Heller Kops und guter Lehrer sein. Die Beamten, mit denen er in
nähere Berührung gekommen war, wußten nicht genug vou der, tiefen Gelehrsam¬
keit des polnischen Geistlichen zu erzählen, und hatten, ungeachtet sie es nicht
verstanden, in ihrem Urtheil vollkommen recht, denn Sicrocinski war in der That
nicht nur ein rechtlicher, gewissenhafter Mann, warmer Patriot und ehrenhafter
Priester, sondern auch ein ausgezeichnet tüchtiger Lehrer, der zugleich fertig deutsch
und fraiMsch sy^es. Em kaiserlicher Ukas machte ihn bald zum Lehrer an der
Omsker Schule, ohne jedoch in seiner Stellung das Mindeste zu andern; er
blieb, was er war -- gemeiner Kosak. Eine solche Abnormität ist kaum glanb-
Uch und mir in Nußland möglich. Der frühere Prior war ein Mann von


versunkenen Schatten herab, der die Menschen floh, so sehr er durste und konnte,
und sich mit seiner Bitterkeit, seiner Verzweiflung an einer lichtem Zukunft am
liebsten in die dunkle Zelle verschloß. Wann ihn das schreckliche Loos traf, das
Leib und Seele zerstörte, ob 1836 oder 37, weiß ich nicht genau anzugeben,
wol aber erinnere ich mich, daß, zur Zeit, als ich uach Sibirien kam, er noch
in Matuya war, und er, der Held des 29. Novembers, sich in freien Augenblicken
mit der Verfertigung viereckiger Stückchen Seife beschäftigte. Ich selbst besitze
ein solches mit der Aufschrift I>. ^V, .^lurw^. Mancher schöne Mund hat das
"»scheinbare Stück geküßt und Ströme von Thränen sind ans dasselbe herabgefallen.

Bei meiner Ankunft in Frankreich, das ich 1846 glücklich erreichte, erfuhr
ich zufällig, und zwar aus glaubwürdigen Munde, Wysocki sei von Matuya weg
und in die Gegend von Jrüchk in ein Zuchthaus gebracht worden.

Genauer, als über Wysocki, bin ich in Betreff des Geistlichen Sierocinöki
"ut seiner Gefährten Schicksale unterrichtet, weil sie, in Omsk wohnend, so zu
sagen zu meiner Nachbarschaft gehörten, und mit mir zu gleicher Zeit in Si¬
birien waren; zudem wurde auch viel von ihnen erzählt, sowol von den anwe¬
senden Polen, wie anch von Russen und Eingebornen, und da alle Aussagen im
Wesentlichen übereinstimmen, so gilt mir dasjenige,. was ich über sie erfahren
habe, als vollkommen wahr.

Sicrocinski war bis zum Nvvemberaufstande Prior oder Superior in einem
Basilianerkloster zu Owrutsch in Wolyuicu, und hatte als solcher auch die Schulen
unter seiner Aufsicht. Wie so viel tausend Andere nahm auch er thätigen Antheil
an der Bewegung seines Vaterlandes, wurde aber bald von deu Russen gefangen,
eingekerkert, und uach gefälltem Urtheil der geistlichen Würden beraubt, um in
das Kleid eiues gemeinen Kosaken gesteckt zu werden. Als solcher kam er mit
seinem Pult (Regiment) nach Sibirien, und streifte hier mit Pike, Säbel und
Pistolen bewaffnet, in deu kirgisischen Steppen umher.

Omsk hatte seit einiger Zeit eine Kosakenkriegsschnle, allein es fehlte an
geeigneten Lehrern. Da erinnerte man sich,' Sierocinöki sei ja Professor gewesen,
und habe selbst dem Schulwesen in seiner Heimath vorgestanden, er müsse des¬
halb ein Heller Kops und guter Lehrer sein. Die Beamten, mit denen er in
nähere Berührung gekommen war, wußten nicht genug vou der, tiefen Gelehrsam¬
keit des polnischen Geistlichen zu erzählen, und hatten, ungeachtet sie es nicht
verstanden, in ihrem Urtheil vollkommen recht, denn Sicrocinski war in der That
nicht nur ein rechtlicher, gewissenhafter Mann, warmer Patriot und ehrenhafter
Priester, sondern auch ein ausgezeichnet tüchtiger Lehrer, der zugleich fertig deutsch
und fraiMsch sy^es. Em kaiserlicher Ukas machte ihn bald zum Lehrer an der
Omsker Schule, ohne jedoch in seiner Stellung das Mindeste zu andern; er
blieb, was er war — gemeiner Kosak. Eine solche Abnormität ist kaum glanb-
Uch und mir in Nußland möglich. Der frühere Prior war ein Mann von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0129" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280746"/>
          <p xml:id="ID_388" prev="#ID_387"> versunkenen Schatten herab, der die Menschen floh, so sehr er durste und konnte,<lb/>
und sich mit seiner Bitterkeit, seiner Verzweiflung an einer lichtem Zukunft am<lb/>
liebsten in die dunkle Zelle verschloß. Wann ihn das schreckliche Loos traf, das<lb/>
Leib und Seele zerstörte, ob 1836 oder 37, weiß ich nicht genau anzugeben,<lb/>
wol aber erinnere ich mich, daß, zur Zeit, als ich uach Sibirien kam, er noch<lb/>
in Matuya war, und er, der Held des 29. Novembers, sich in freien Augenblicken<lb/>
mit der Verfertigung viereckiger Stückchen Seife beschäftigte. Ich selbst besitze<lb/>
ein solches mit der Aufschrift I&gt;. ^V, .^lurw^. Mancher schöne Mund hat das<lb/>
"»scheinbare Stück geküßt und Ströme von Thränen sind ans dasselbe herabgefallen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_389"> Bei meiner Ankunft in Frankreich, das ich 1846 glücklich erreichte, erfuhr<lb/>
ich zufällig, und zwar aus glaubwürdigen Munde, Wysocki sei von Matuya weg<lb/>
und in die Gegend von Jrüchk in ein Zuchthaus gebracht worden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_390"> Genauer, als über Wysocki, bin ich in Betreff des Geistlichen Sierocinöki<lb/>
"ut seiner Gefährten Schicksale unterrichtet, weil sie, in Omsk wohnend, so zu<lb/>
sagen zu meiner Nachbarschaft gehörten, und mit mir zu gleicher Zeit in Si¬<lb/>
birien waren; zudem wurde auch viel von ihnen erzählt, sowol von den anwe¬<lb/>
senden Polen, wie anch von Russen und Eingebornen, und da alle Aussagen im<lb/>
Wesentlichen übereinstimmen, so gilt mir dasjenige,. was ich über sie erfahren<lb/>
habe, als vollkommen wahr.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_391"> Sicrocinski war bis zum Nvvemberaufstande Prior oder Superior in einem<lb/>
Basilianerkloster zu Owrutsch in Wolyuicu, und hatte als solcher auch die Schulen<lb/>
unter seiner Aufsicht. Wie so viel tausend Andere nahm auch er thätigen Antheil<lb/>
an der Bewegung seines Vaterlandes, wurde aber bald von deu Russen gefangen,<lb/>
eingekerkert, und uach gefälltem Urtheil der geistlichen Würden beraubt, um in<lb/>
das Kleid eiues gemeinen Kosaken gesteckt zu werden. Als solcher kam er mit<lb/>
seinem Pult (Regiment) nach Sibirien, und streifte hier mit Pike, Säbel und<lb/>
Pistolen bewaffnet, in deu kirgisischen Steppen umher.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_392" next="#ID_393"> Omsk hatte seit einiger Zeit eine Kosakenkriegsschnle, allein es fehlte an<lb/>
geeigneten Lehrern. Da erinnerte man sich,' Sierocinöki sei ja Professor gewesen,<lb/>
und habe selbst dem Schulwesen in seiner Heimath vorgestanden, er müsse des¬<lb/>
halb ein Heller Kops und guter Lehrer sein. Die Beamten, mit denen er in<lb/>
nähere Berührung gekommen war, wußten nicht genug vou der, tiefen Gelehrsam¬<lb/>
keit des polnischen Geistlichen zu erzählen, und hatten, ungeachtet sie es nicht<lb/>
verstanden, in ihrem Urtheil vollkommen recht, denn Sicrocinski war in der That<lb/>
nicht nur ein rechtlicher, gewissenhafter Mann, warmer Patriot und ehrenhafter<lb/>
Priester, sondern auch ein ausgezeichnet tüchtiger Lehrer, der zugleich fertig deutsch<lb/>
und fraiMsch sy^es. Em kaiserlicher Ukas machte ihn bald zum Lehrer an der<lb/>
Omsker Schule, ohne jedoch in seiner Stellung das Mindeste zu andern; er<lb/>
blieb, was er war &#x2014; gemeiner Kosak. Eine solche Abnormität ist kaum glanb-<lb/>
Uch und mir in Nußland möglich.  Der frühere Prior war ein Mann von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0129] versunkenen Schatten herab, der die Menschen floh, so sehr er durste und konnte, und sich mit seiner Bitterkeit, seiner Verzweiflung an einer lichtem Zukunft am liebsten in die dunkle Zelle verschloß. Wann ihn das schreckliche Loos traf, das Leib und Seele zerstörte, ob 1836 oder 37, weiß ich nicht genau anzugeben, wol aber erinnere ich mich, daß, zur Zeit, als ich uach Sibirien kam, er noch in Matuya war, und er, der Held des 29. Novembers, sich in freien Augenblicken mit der Verfertigung viereckiger Stückchen Seife beschäftigte. Ich selbst besitze ein solches mit der Aufschrift I>. ^V, .^lurw^. Mancher schöne Mund hat das "»scheinbare Stück geküßt und Ströme von Thränen sind ans dasselbe herabgefallen. Bei meiner Ankunft in Frankreich, das ich 1846 glücklich erreichte, erfuhr ich zufällig, und zwar aus glaubwürdigen Munde, Wysocki sei von Matuya weg und in die Gegend von Jrüchk in ein Zuchthaus gebracht worden. Genauer, als über Wysocki, bin ich in Betreff des Geistlichen Sierocinöki "ut seiner Gefährten Schicksale unterrichtet, weil sie, in Omsk wohnend, so zu sagen zu meiner Nachbarschaft gehörten, und mit mir zu gleicher Zeit in Si¬ birien waren; zudem wurde auch viel von ihnen erzählt, sowol von den anwe¬ senden Polen, wie anch von Russen und Eingebornen, und da alle Aussagen im Wesentlichen übereinstimmen, so gilt mir dasjenige,. was ich über sie erfahren habe, als vollkommen wahr. Sicrocinski war bis zum Nvvemberaufstande Prior oder Superior in einem Basilianerkloster zu Owrutsch in Wolyuicu, und hatte als solcher auch die Schulen unter seiner Aufsicht. Wie so viel tausend Andere nahm auch er thätigen Antheil an der Bewegung seines Vaterlandes, wurde aber bald von deu Russen gefangen, eingekerkert, und uach gefälltem Urtheil der geistlichen Würden beraubt, um in das Kleid eiues gemeinen Kosaken gesteckt zu werden. Als solcher kam er mit seinem Pult (Regiment) nach Sibirien, und streifte hier mit Pike, Säbel und Pistolen bewaffnet, in deu kirgisischen Steppen umher. Omsk hatte seit einiger Zeit eine Kosakenkriegsschnle, allein es fehlte an geeigneten Lehrern. Da erinnerte man sich,' Sierocinöki sei ja Professor gewesen, und habe selbst dem Schulwesen in seiner Heimath vorgestanden, er müsse des¬ halb ein Heller Kops und guter Lehrer sein. Die Beamten, mit denen er in nähere Berührung gekommen war, wußten nicht genug vou der, tiefen Gelehrsam¬ keit des polnischen Geistlichen zu erzählen, und hatten, ungeachtet sie es nicht verstanden, in ihrem Urtheil vollkommen recht, denn Sicrocinski war in der That nicht nur ein rechtlicher, gewissenhafter Mann, warmer Patriot und ehrenhafter Priester, sondern auch ein ausgezeichnet tüchtiger Lehrer, der zugleich fertig deutsch und fraiMsch sy^es. Em kaiserlicher Ukas machte ihn bald zum Lehrer an der Omsker Schule, ohne jedoch in seiner Stellung das Mindeste zu andern; er blieb, was er war — gemeiner Kosak. Eine solche Abnormität ist kaum glanb- Uch und mir in Nußland möglich. Der frühere Prior war ein Mann von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/129
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/129>, abgerufen am 23.07.2024.