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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Mich?! Wir durchfliegen beinahe dieselbe Strecke heute mit aller Bequemlich¬
keit in einer Woche!

Die Abtheilungen ziehen gewöhnlich einige hundert Werst von einander ent¬
fernt, und diejenige", deren Ziel die Bergwerke sind, unterliegen ganz besonders
strenger Aufsicht und werden von sehr starker Escorte begleitet. Die Art und
Weise, wie sich solch traurige Colonnen fortbewege", und die Ordnung, in der sie
marschiren, und i" welcher ich ihnen mehrmals begegnet bin, ist etwa folgende:
Den Zug eröffnet ein Kosak zu Pferde, der vollständig bewaffnet ist und die
Pike wie zum Angriff eingelegt hält. Ihm folgen die Verurtheilten, welche in
den ersten Reihen entweder allein oder paarweise gehen, und im letztern Falle mit
den Händen oder Füßen an einander geschmiedet sind. Hinter diesen komme"
Reihen von zehn und mehr, welche durch eine eiserne Stange, an welcher ihre
Hände angeschlossen sind, zusammengehalten werden, und ganz zuletzt noch die¬
jenige", welche außer der Stange noch schwere Ketten zu schleppen haben. Bei
den Frauen habe ich leine Fesseln bemerkt. Den Hansen umgeben von allen
Seiten Soldaten mit scharf geladenem Gewehr, sowie reitende Kosaken, und tren¬
nen ihn von den nachfolgenden Wagen. Im ersten derselben sitzt mit unbegreif¬
lich gleichgiltiger Miene der Officier, der die Abtheilung zu führen hat, und bläst dicke
Rauchwolken in die Luft, die anderen dienen zum Transport der älteren Verbannten
und der Bagage. Den ganzen Zug schließt ein Unterofficier und zwei Soldaten.

So oft ich an einer solche" Abtheilung vorbeikam, schnürte nur der Jammer
und das Elend das Herz zusammen, besonders "lachten die Frauen einen h^sse
trüben Eindruck auf mich. Ohne einen Laut von sich z" geben, verfolgte jeder
gesenkten Ha"ptes seine" Weg; tiefe Trauer, vollkommenste Entsagung "ut "icht
selten auch Verzweiflung malte sich ans allen Gesichtern, und manches Auge
war feucht vou Thränen. Es war eine Gesellschaft Leidtragender, die unt"
dem unheimlichen Geklirre der Ketten hinter dem Sarge ihrer Freiheit und
Selbstständigkeit daherzog. Da gab es Stoff zu einem Bilde der ewigen Ver-
dammniß, Gesichter, die man nie vergessen kann, we"n man sie anch "ur eine"
Augenblick gesehen hat. Vor Schauder rieselte es mir kalt durch alle Glieder, es
schüttelte mich wie ein Fieberfrost, aber unwillkürlich falteten sich meine Hände, ""d
ich betete für die Unglücklichen, in denen ich eine Schaar Märtyrer erblickte. ^
mochte gewiß mancher wirkliche Verbrecher uuter thuen sein, doch wer weiß, "b "
es unter einer weniger despotischen Negierung geworden wäre. Und un"
diejenigen, welche unschuldig die schreckliche Wanderung macheu mußten, und du
mit einem Herzen voll diesen Gefühls, mit einer Seele voll edler Regungen,
vielleicht an einen Menschen geschmiedet waren, der Mord nuk Todtschlag began-
gen hatte. Was rührt sich beim Anblick solcher Gestalten in unserm Innern, Ver¬
achtung und Abscheu, oder Mitgefühl und Ehrerbietung? Machen Ketten ">'d
Lumpen oder das Brandmal den Menschen zum Verbrecher?


Mich?! Wir durchfliegen beinahe dieselbe Strecke heute mit aller Bequemlich¬
keit in einer Woche!

Die Abtheilungen ziehen gewöhnlich einige hundert Werst von einander ent¬
fernt, und diejenige», deren Ziel die Bergwerke sind, unterliegen ganz besonders
strenger Aufsicht und werden von sehr starker Escorte begleitet. Die Art und
Weise, wie sich solch traurige Colonnen fortbewege», und die Ordnung, in der sie
marschiren, und i» welcher ich ihnen mehrmals begegnet bin, ist etwa folgende:
Den Zug eröffnet ein Kosak zu Pferde, der vollständig bewaffnet ist und die
Pike wie zum Angriff eingelegt hält. Ihm folgen die Verurtheilten, welche in
den ersten Reihen entweder allein oder paarweise gehen, und im letztern Falle mit
den Händen oder Füßen an einander geschmiedet sind. Hinter diesen komme»
Reihen von zehn und mehr, welche durch eine eiserne Stange, an welcher ihre
Hände angeschlossen sind, zusammengehalten werden, und ganz zuletzt noch die¬
jenige», welche außer der Stange noch schwere Ketten zu schleppen haben. Bei
den Frauen habe ich leine Fesseln bemerkt. Den Hansen umgeben von allen
Seiten Soldaten mit scharf geladenem Gewehr, sowie reitende Kosaken, und tren¬
nen ihn von den nachfolgenden Wagen. Im ersten derselben sitzt mit unbegreif¬
lich gleichgiltiger Miene der Officier, der die Abtheilung zu führen hat, und bläst dicke
Rauchwolken in die Luft, die anderen dienen zum Transport der älteren Verbannten
und der Bagage. Den ganzen Zug schließt ein Unterofficier und zwei Soldaten.

So oft ich an einer solche« Abtheilung vorbeikam, schnürte nur der Jammer
und das Elend das Herz zusammen, besonders »lachten die Frauen einen h^sse
trüben Eindruck auf mich. Ohne einen Laut von sich z» geben, verfolgte jeder
gesenkten Ha»ptes seine» Weg; tiefe Trauer, vollkommenste Entsagung »ut »icht
selten auch Verzweiflung malte sich ans allen Gesichtern, und manches Auge
war feucht vou Thränen. Es war eine Gesellschaft Leidtragender, die unt"
dem unheimlichen Geklirre der Ketten hinter dem Sarge ihrer Freiheit und
Selbstständigkeit daherzog. Da gab es Stoff zu einem Bilde der ewigen Ver-
dammniß, Gesichter, die man nie vergessen kann, we»n man sie anch »ur eine»
Augenblick gesehen hat. Vor Schauder rieselte es mir kalt durch alle Glieder, es
schüttelte mich wie ein Fieberfrost, aber unwillkürlich falteten sich meine Hände, »"d
ich betete für die Unglücklichen, in denen ich eine Schaar Märtyrer erblickte. ^
mochte gewiß mancher wirkliche Verbrecher uuter thuen sein, doch wer weiß, "b "
es unter einer weniger despotischen Negierung geworden wäre. Und un»
diejenigen, welche unschuldig die schreckliche Wanderung macheu mußten, und du
mit einem Herzen voll diesen Gefühls, mit einer Seele voll edler Regungen,
vielleicht an einen Menschen geschmiedet waren, der Mord nuk Todtschlag began-
gen hatte. Was rührt sich beim Anblick solcher Gestalten in unserm Innern, Ver¬
achtung und Abscheu, oder Mitgefühl und Ehrerbietung? Machen Ketten ">'d
Lumpen oder das Brandmal den Menschen zum Verbrecher?


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[0126] Mich?! Wir durchfliegen beinahe dieselbe Strecke heute mit aller Bequemlich¬ keit in einer Woche! Die Abtheilungen ziehen gewöhnlich einige hundert Werst von einander ent¬ fernt, und diejenige», deren Ziel die Bergwerke sind, unterliegen ganz besonders strenger Aufsicht und werden von sehr starker Escorte begleitet. Die Art und Weise, wie sich solch traurige Colonnen fortbewege», und die Ordnung, in der sie marschiren, und i» welcher ich ihnen mehrmals begegnet bin, ist etwa folgende: Den Zug eröffnet ein Kosak zu Pferde, der vollständig bewaffnet ist und die Pike wie zum Angriff eingelegt hält. Ihm folgen die Verurtheilten, welche in den ersten Reihen entweder allein oder paarweise gehen, und im letztern Falle mit den Händen oder Füßen an einander geschmiedet sind. Hinter diesen komme» Reihen von zehn und mehr, welche durch eine eiserne Stange, an welcher ihre Hände angeschlossen sind, zusammengehalten werden, und ganz zuletzt noch die¬ jenige», welche außer der Stange noch schwere Ketten zu schleppen haben. Bei den Frauen habe ich leine Fesseln bemerkt. Den Hansen umgeben von allen Seiten Soldaten mit scharf geladenem Gewehr, sowie reitende Kosaken, und tren¬ nen ihn von den nachfolgenden Wagen. Im ersten derselben sitzt mit unbegreif¬ lich gleichgiltiger Miene der Officier, der die Abtheilung zu führen hat, und bläst dicke Rauchwolken in die Luft, die anderen dienen zum Transport der älteren Verbannten und der Bagage. Den ganzen Zug schließt ein Unterofficier und zwei Soldaten. So oft ich an einer solche« Abtheilung vorbeikam, schnürte nur der Jammer und das Elend das Herz zusammen, besonders »lachten die Frauen einen h^sse trüben Eindruck auf mich. Ohne einen Laut von sich z» geben, verfolgte jeder gesenkten Ha»ptes seine» Weg; tiefe Trauer, vollkommenste Entsagung »ut »icht selten auch Verzweiflung malte sich ans allen Gesichtern, und manches Auge war feucht vou Thränen. Es war eine Gesellschaft Leidtragender, die unt" dem unheimlichen Geklirre der Ketten hinter dem Sarge ihrer Freiheit und Selbstständigkeit daherzog. Da gab es Stoff zu einem Bilde der ewigen Ver- dammniß, Gesichter, die man nie vergessen kann, we»n man sie anch »ur eine» Augenblick gesehen hat. Vor Schauder rieselte es mir kalt durch alle Glieder, es schüttelte mich wie ein Fieberfrost, aber unwillkürlich falteten sich meine Hände, »"d ich betete für die Unglücklichen, in denen ich eine Schaar Märtyrer erblickte. ^ mochte gewiß mancher wirkliche Verbrecher uuter thuen sein, doch wer weiß, "b " es unter einer weniger despotischen Negierung geworden wäre. Und un» diejenigen, welche unschuldig die schreckliche Wanderung macheu mußten, und du mit einem Herzen voll diesen Gefühls, mit einer Seele voll edler Regungen, vielleicht an einen Menschen geschmiedet waren, der Mord nuk Todtschlag began- gen hatte. Was rührt sich beim Anblick solcher Gestalten in unserm Innern, Ver¬ achtung und Abscheu, oder Mitgefühl und Ehrerbietung? Machen Ketten ">'d Lumpen oder das Brandmal den Menschen zum Verbrecher?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/126>, abgerufen am 23.07.2024.