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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Kreisen so seltsam, daß es heut/ in Ungarn noch Menschen geben kann, die sich
nach den vormärzlichen "chaotischen" Zuständen zurücksehnen.. Es kann mir nicht
in den Sinn kommen, den Mißbräuchen, welche die alte Konstitution mit sich
brachte, das Wort führen zu wollen; doch könnte ich es sehr begreiflich finden,
wenn das Volk nicht nur die jetzigen Zustande, sondern selbst ein viel schöneres
Definitionen für die gute alte Zeit hingeben wollte. Nach dem Wortlaute der
Constitution war bei uus zwar nur der Adel berechtigt, aber jede Verfassung führt
gewisse Dinge in ihrem Gefolge, die sich durchaus nicht durch Adclsdiplome ab¬
sperren lassen, und die, wie die Lust, durch alle Fugen der Gesellschaft dringen.
So ist es z. B. mit dem Rechte der freien Aeußerung in Wort und Schrift, mit
dem Rechte der Association, und dem Schutz des Eigenthums gegen die An¬
maßungen der Regierung. Daß die Regierung in Ungarn, wohl wissend, daß die
Censur in diesem Lande auf auticvustitutioucllem Wege eingeführt wordeu sei,
die Bande derselben lockerer handhaben ließ, als in den Erbstaaten, kam nicht
dem Adel allein, sondern jedem Schriftsteller und Leser zu Gute; daß das Po-
lizeiwesen in Ungarn nicht geduldet wurde, ließ uicht uur den Adel, sondern jedes
Landeskind sich freier bewege" und äußern. Bildete sich zu einem Zwecke irgend
eine Gesellschaft, so fragte Niemand, ob die Mitglieder die HuudShaut") haben
oder nicht. Ueber die Steuern berieth und beschloß der Adelslandtag, aber dem
A es nie in den Sinn gekommen, zu sagen: "Wir brauchen nicht die Sympathien,
sondern das Geld des Volkes!" (Worte eines officiellen Organs des Ministeriums
Schwarzenberg;) die freie Pfeife, die der Ungar für einige Dutzend Paragraphen
des Olmützer Octroi nicht freiwillig hingäbe, war das Recht eines jeden Ungars,
mögen seine Vorfahren als große Feldherren gegen Türken und Tartaren, oder
"is Sträflinge auf einer Galeere excellirt haben; der Steuern nicht zu gedenken,
die dem Ungarischen Volke nach der alten Constitution nie auferlegt werden komm^
de". Hierin müssen wir den Grund zu jener gewaltigen öffentlichen Meinung
suchen, welche sich besonders in der letzten Zeit dnrch den bedeutenden Aufschwung
der Presse so sehr zu Gunsten der liberalen Opposition ausbildete, und das Volt
Zum Kampfe vorbereitete; und eben in deu mittlern unberechtigten Städten, wo
der intelligente Bürger dnrch Luxus und Philisterstolz noch nicht so sehr von der
niedern Volksklasse geschieden ist, um bei dieser allen Glauben und Einfluß ver-
loren zu lM>en, und wo keine vieladrigen Magnaten, sondern schlichte, mit den
Bedürfnissen des Volkes näher vertraute Landedelleute ihren Wintersitz nahmen,
Mg diese Neubildung und Fortpflanzung der politischen Ideen mit dem besten
Erfolge vor sich. - Casino'S, die in keiner dieser Städte fehlten, Lesevereine,
Filialindlistrieschntzvereine, Bälle, dramatische Aufführungen zu wohlthätigen Zwecken,
bildeten die vielseitigen Berührungspunkte zwischen Adel und Volk, und trugen



Adelsbrief,
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Kreisen so seltsam, daß es heut/ in Ungarn noch Menschen geben kann, die sich
nach den vormärzlichen „chaotischen" Zuständen zurücksehnen.. Es kann mir nicht
in den Sinn kommen, den Mißbräuchen, welche die alte Konstitution mit sich
brachte, das Wort führen zu wollen; doch könnte ich es sehr begreiflich finden,
wenn das Volk nicht nur die jetzigen Zustande, sondern selbst ein viel schöneres
Definitionen für die gute alte Zeit hingeben wollte. Nach dem Wortlaute der
Constitution war bei uus zwar nur der Adel berechtigt, aber jede Verfassung führt
gewisse Dinge in ihrem Gefolge, die sich durchaus nicht durch Adclsdiplome ab¬
sperren lassen, und die, wie die Lust, durch alle Fugen der Gesellschaft dringen.
So ist es z. B. mit dem Rechte der freien Aeußerung in Wort und Schrift, mit
dem Rechte der Association, und dem Schutz des Eigenthums gegen die An¬
maßungen der Regierung. Daß die Regierung in Ungarn, wohl wissend, daß die
Censur in diesem Lande auf auticvustitutioucllem Wege eingeführt wordeu sei,
die Bande derselben lockerer handhaben ließ, als in den Erbstaaten, kam nicht
dem Adel allein, sondern jedem Schriftsteller und Leser zu Gute; daß das Po-
lizeiwesen in Ungarn nicht geduldet wurde, ließ uicht uur den Adel, sondern jedes
Landeskind sich freier bewege» und äußern. Bildete sich zu einem Zwecke irgend
eine Gesellschaft, so fragte Niemand, ob die Mitglieder die HuudShaut") haben
oder nicht. Ueber die Steuern berieth und beschloß der Adelslandtag, aber dem
A es nie in den Sinn gekommen, zu sagen: „Wir brauchen nicht die Sympathien,
sondern das Geld des Volkes!" (Worte eines officiellen Organs des Ministeriums
Schwarzenberg;) die freie Pfeife, die der Ungar für einige Dutzend Paragraphen
des Olmützer Octroi nicht freiwillig hingäbe, war das Recht eines jeden Ungars,
mögen seine Vorfahren als große Feldherren gegen Türken und Tartaren, oder
"is Sträflinge auf einer Galeere excellirt haben; der Steuern nicht zu gedenken,
die dem Ungarischen Volke nach der alten Constitution nie auferlegt werden komm^
de". Hierin müssen wir den Grund zu jener gewaltigen öffentlichen Meinung
suchen, welche sich besonders in der letzten Zeit dnrch den bedeutenden Aufschwung
der Presse so sehr zu Gunsten der liberalen Opposition ausbildete, und das Volt
Zum Kampfe vorbereitete; und eben in deu mittlern unberechtigten Städten, wo
der intelligente Bürger dnrch Luxus und Philisterstolz noch nicht so sehr von der
niedern Volksklasse geschieden ist, um bei dieser allen Glauben und Einfluß ver-
loren zu lM>en, und wo keine vieladrigen Magnaten, sondern schlichte, mit den
Bedürfnissen des Volkes näher vertraute Landedelleute ihren Wintersitz nahmen,
Mg diese Neubildung und Fortpflanzung der politischen Ideen mit dem besten
Erfolge vor sich. - Casino'S, die in keiner dieser Städte fehlten, Lesevereine,
Filialindlistrieschntzvereine, Bälle, dramatische Aufführungen zu wohlthätigen Zwecken,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/451>, abgerufen am 04.07.2024.