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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Grenzmarken wieder ein der Ostsee und auf deu Zaporoger des Dniepers, an
der Oder und am Waldaigebirge erschienen, denn Alexander sagte, die Wieder¬
vereinigung Litthauens mit dem Königreich sei keine Unmöglichkeit, und man solle
die schönsten Hoffnungen im Herzen tragen. Zur Erinnerung an diesen großen
Augenblick setzte" die Polen ans die Stelle, wo der Messias empfangen wurde,
eine Kirche und schmückten sie mit dem Namen desselben.

Das Taubstninmeninstitut ist mit demjenigen Glänze ausgestattet, den die
Russen überall in Polen da spenden, wo sie sich frei von politischen Beziehungen
fühlen. Schöne Gebände, herrliche Gärten, ein zweckmäßiger Unterricht durch
Fingersprache, Fürsorge für die Zöglinge, selbst wenn sie die Anstalt verlassen
haben, das wären die Dinge, über'welche ich mich lobend zu ergehen hätte,
wenn sie nicht den stärksten Contrast zu allen übrigen Polnischen Bildungsanstal-
ten ausmachten.

Die Bildungsinstitute Polens lassen sich in drei Klassen theilen, nehmlich solche,
welche die Regierung begünstigt und eifrig unterstützt, solche die ihr gleichgMg
sind, und solche, welche sie unterdrückt. Zu den unterdrückten gehören die Mili-
tairischen, von denen Polen vor 1830 voll war. Da gab es Soldaten-,Fähndrich-
uud Officierschuleu in Menge. Fast jede der bedeutendern Wojcwvdschaftsstädte
hatte eine, und für jede war die Soldateneitelkeit des Großfürsten Constantin
ein wuuderwirtcuder Genius.

Nach der Revolution wurden diese Anstalten plötzlich alle aufgehoben und
blieben es für immer, da die Ansicht zur Geltung gelangte, daß, um gefährlichen
Revolutionen vorzubeugen, man den Polen die Mittel zur militärischen Bildung
in ihrem Vaterlande abschneiden müsse. Nachdem es unumstößliche Maßregel
geworden, die Polen, welche früher in ihrem Lande zu der sogenannten N^tio-
nalarmce zusammentraten, in die Regimenter des östlichen Rußlands zu vertheilen,
kann der Pole nur noch als Russischer Soldat eme Carriere machen. Die
Russischen Militairanstalten sind sehr zahlreich, und stehen dem Polen offen; allein
bei dieser Aussicht unterdrückt er gern die feurigste Neigung zu diesem Stande,
zumal da er weiß, daß ihm als Polen, und zeigte er sich noch so Rnssensinnig, doch
das Avancement sehr erschwert werden würde. Mit Ausnahme der Söhne der¬
jenigen Familien, deren Treue zurückreicht bis aus deu Grvduver Reichstag, ge-'
linge es nicht leicht einem Polen, den Hauptmannsgrad zu übersteigen. DciS
Mißtrauen der Regierung ist zu stark.e

Genug, die Russische Regierung scheut Nichts so sehr als die militairisch
Bildung der Polen, und hat sie auch durch Aufhebung jener Anstalten, von denen
nur in Kalisch ein kleiner jämmerlicher Nest übrig geblieben ist, gänzlich verhin¬
dert. Dieses Schattenbild einer Anstalt steht unter der speciellen Leitung und Auf¬
sicht des Gouverneurs. Nenn Officiere der Garnison und einige Professoren des
Gymnasiums sind zu den Lehrämtern designirt, allein die guten Leute haben kaum


Grenzmarken wieder ein der Ostsee und auf deu Zaporoger des Dniepers, an
der Oder und am Waldaigebirge erschienen, denn Alexander sagte, die Wieder¬
vereinigung Litthauens mit dem Königreich sei keine Unmöglichkeit, und man solle
die schönsten Hoffnungen im Herzen tragen. Zur Erinnerung an diesen großen
Augenblick setzte» die Polen ans die Stelle, wo der Messias empfangen wurde,
eine Kirche und schmückten sie mit dem Namen desselben.

Das Taubstninmeninstitut ist mit demjenigen Glänze ausgestattet, den die
Russen überall in Polen da spenden, wo sie sich frei von politischen Beziehungen
fühlen. Schöne Gebände, herrliche Gärten, ein zweckmäßiger Unterricht durch
Fingersprache, Fürsorge für die Zöglinge, selbst wenn sie die Anstalt verlassen
haben, das wären die Dinge, über'welche ich mich lobend zu ergehen hätte,
wenn sie nicht den stärksten Contrast zu allen übrigen Polnischen Bildungsanstal-
ten ausmachten.

Die Bildungsinstitute Polens lassen sich in drei Klassen theilen, nehmlich solche,
welche die Regierung begünstigt und eifrig unterstützt, solche die ihr gleichgMg
sind, und solche, welche sie unterdrückt. Zu den unterdrückten gehören die Mili-
tairischen, von denen Polen vor 1830 voll war. Da gab es Soldaten-,Fähndrich-
uud Officierschuleu in Menge. Fast jede der bedeutendern Wojcwvdschaftsstädte
hatte eine, und für jede war die Soldateneitelkeit des Großfürsten Constantin
ein wuuderwirtcuder Genius.

Nach der Revolution wurden diese Anstalten plötzlich alle aufgehoben und
blieben es für immer, da die Ansicht zur Geltung gelangte, daß, um gefährlichen
Revolutionen vorzubeugen, man den Polen die Mittel zur militärischen Bildung
in ihrem Vaterlande abschneiden müsse. Nachdem es unumstößliche Maßregel
geworden, die Polen, welche früher in ihrem Lande zu der sogenannten N^tio-
nalarmce zusammentraten, in die Regimenter des östlichen Rußlands zu vertheilen,
kann der Pole nur noch als Russischer Soldat eme Carriere machen. Die
Russischen Militairanstalten sind sehr zahlreich, und stehen dem Polen offen; allein
bei dieser Aussicht unterdrückt er gern die feurigste Neigung zu diesem Stande,
zumal da er weiß, daß ihm als Polen, und zeigte er sich noch so Rnssensinnig, doch
das Avancement sehr erschwert werden würde. Mit Ausnahme der Söhne der¬
jenigen Familien, deren Treue zurückreicht bis aus deu Grvduver Reichstag, ge-'
linge es nicht leicht einem Polen, den Hauptmannsgrad zu übersteigen. DciS
Mißtrauen der Regierung ist zu stark.e

Genug, die Russische Regierung scheut Nichts so sehr als die militairisch
Bildung der Polen, und hat sie auch durch Aufhebung jener Anstalten, von denen
nur in Kalisch ein kleiner jämmerlicher Nest übrig geblieben ist, gänzlich verhin¬
dert. Dieses Schattenbild einer Anstalt steht unter der speciellen Leitung und Auf¬
sicht des Gouverneurs. Nenn Officiere der Garnison und einige Professoren des
Gymnasiums sind zu den Lehrämtern designirt, allein die guten Leute haben kaum


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[0424] Grenzmarken wieder ein der Ostsee und auf deu Zaporoger des Dniepers, an der Oder und am Waldaigebirge erschienen, denn Alexander sagte, die Wieder¬ vereinigung Litthauens mit dem Königreich sei keine Unmöglichkeit, und man solle die schönsten Hoffnungen im Herzen tragen. Zur Erinnerung an diesen großen Augenblick setzte» die Polen ans die Stelle, wo der Messias empfangen wurde, eine Kirche und schmückten sie mit dem Namen desselben. Das Taubstninmeninstitut ist mit demjenigen Glänze ausgestattet, den die Russen überall in Polen da spenden, wo sie sich frei von politischen Beziehungen fühlen. Schöne Gebände, herrliche Gärten, ein zweckmäßiger Unterricht durch Fingersprache, Fürsorge für die Zöglinge, selbst wenn sie die Anstalt verlassen haben, das wären die Dinge, über'welche ich mich lobend zu ergehen hätte, wenn sie nicht den stärksten Contrast zu allen übrigen Polnischen Bildungsanstal- ten ausmachten. Die Bildungsinstitute Polens lassen sich in drei Klassen theilen, nehmlich solche, welche die Regierung begünstigt und eifrig unterstützt, solche die ihr gleichgMg sind, und solche, welche sie unterdrückt. Zu den unterdrückten gehören die Mili- tairischen, von denen Polen vor 1830 voll war. Da gab es Soldaten-,Fähndrich- uud Officierschuleu in Menge. Fast jede der bedeutendern Wojcwvdschaftsstädte hatte eine, und für jede war die Soldateneitelkeit des Großfürsten Constantin ein wuuderwirtcuder Genius. Nach der Revolution wurden diese Anstalten plötzlich alle aufgehoben und blieben es für immer, da die Ansicht zur Geltung gelangte, daß, um gefährlichen Revolutionen vorzubeugen, man den Polen die Mittel zur militärischen Bildung in ihrem Vaterlande abschneiden müsse. Nachdem es unumstößliche Maßregel geworden, die Polen, welche früher in ihrem Lande zu der sogenannten N^tio- nalarmce zusammentraten, in die Regimenter des östlichen Rußlands zu vertheilen, kann der Pole nur noch als Russischer Soldat eme Carriere machen. Die Russischen Militairanstalten sind sehr zahlreich, und stehen dem Polen offen; allein bei dieser Aussicht unterdrückt er gern die feurigste Neigung zu diesem Stande, zumal da er weiß, daß ihm als Polen, und zeigte er sich noch so Rnssensinnig, doch das Avancement sehr erschwert werden würde. Mit Ausnahme der Söhne der¬ jenigen Familien, deren Treue zurückreicht bis aus deu Grvduver Reichstag, ge-' linge es nicht leicht einem Polen, den Hauptmannsgrad zu übersteigen. DciS Mißtrauen der Regierung ist zu stark.e Genug, die Russische Regierung scheut Nichts so sehr als die militairisch Bildung der Polen, und hat sie auch durch Aufhebung jener Anstalten, von denen nur in Kalisch ein kleiner jämmerlicher Nest übrig geblieben ist, gänzlich verhin¬ dert. Dieses Schattenbild einer Anstalt steht unter der speciellen Leitung und Auf¬ sicht des Gouverneurs. Nenn Officiere der Garnison und einige Professoren des Gymnasiums sind zu den Lehrämtern designirt, allein die guten Leute haben kaum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/424>, abgerufen am 04.07.2024.