Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

für seine Galerie taugte, und je schlauer der Betrug, um so lieber war er ihm.
Hatte er einen solche" Pflauzstock gefunden, so beutete er ihn auch gründlich
ans, und bei seiner./vergleichenden Beobachtungsgabe mußte eine solche Studie
für eine Reihe von Arbeiten fruchtbringend für ihn werden.

Man hat dem Dichter häufig vorgeworfen, das; er in spätern Zeiten über
dem Zergliederer den Poeten und den Künstler vergessen habe, dies ist aber nur
in deu seltensten Fällen wahr. Bei Balzac fehlen die versöhnenden Elemente des
wahren Kunstwerkes nur in einigen wenige" seiner Romane, und wenn sich der
Arzt anch zuweilen zu sehr in den "schönen Krankheitsfällen" gefiel, so läugnete
er doch nie die Gesundheit. Seine Schöpfungen sind manchmal zu ideal, und
er ignorirt hier und da die menschliche Schwäche, die sich dem bösen Principe
gegenüber eben so gut geltend macht, als dem bösen gegenüber, aber nur
der heuchlerische Aerger des getroffenen Originals kann dem Dichter die Fehler der
Gesellschaft in die Schuhe schieben wollen.

Ein anderes Moment in Balzac's Charakter war die Vorliebe für außer¬
ordentliche Speculationen, um im Guten und Schönen den Reichthum zu ver¬
wenden, den er täglich auf unwürdige Weise verschwenden sah. Balzac's Pläne
i" dieser Beziehung grenzen oft an's Wahnsinnige und er, der die Schwindler
so vortrefflich zeichnete, gefiel sich nur zu oft in chimärenhaften Unternehmungen.

Man begreift nun leicht, welches Interesse die Komödie Balzac's, die wie
el" Resumu seiner speciellen Beobachtungen zu betrachten ist, beim hiesigen
Publicum errege" muß. Mercadet ist Ä" Speculant, der durch die Flucht eines
Compagnons seit acht Jahren den Kampf ans Tod und Leben mit seinen un¬
zähligen Gläubigern, mit dem drohenden Elend und mit dem vor der Thür
stehenden Bauauerout kämpft. Seine Ressourcen sind am Ende, und er macht
"us dem Eigennutze der Wucherer und Wechselagenten, die über sein Schicksal
M verfügen haben, eine Münze, um seine Tochter mit einem reichen Grafen zu
verheirathen. Mercadet kennt seine Pappenheimer, und weiß ihnen durch seinen
"nversiegbaren Erfindungsgeist, durch seine Beredsamkeit, dnrch seine Finten
neuen Credit zu entlocken in dem Momente, wo sie ihn nach Clichy bringen wollen.
Die nahe Heirath beruhigt Alle: das Gesinde, die Lieferanten und seine Gläu¬
biger. Mercadet weiß den Anbeter seiner Tochter zu bewegen, ihrer Hand zu
Gutsagen, angeblich, weil er vor der Armuth zurückschreckt, und diese willigt ans
Verzweiflung ein, die Frau des Grafen de la Brive zu werden. Der Graf
de la Brive ist aber selber nur el" Schuldenmacher, der im Hafen der Ehe
vor Clichy seine Zuflucht sucht, er ist der Schuldner Mercadet's, dem seine unter
fremdem Namen ^ausgestellten Wechsel als gutes Geld aufgehängt wurden. Mercadet
ist überlistet worden! Sein verfehlter Coup wird auf der Börse bekannt, und
"un scheint Alles verloren. Mercadet sieht noch einen Ausweg vor sich --
la Brive soll in den Olymps "zi^soff einen t'othbeschmuzten Wagen kaufen,


für seine Galerie taugte, und je schlauer der Betrug, um so lieber war er ihm.
Hatte er einen solche» Pflauzstock gefunden, so beutete er ihn auch gründlich
ans, und bei seiner./vergleichenden Beobachtungsgabe mußte eine solche Studie
für eine Reihe von Arbeiten fruchtbringend für ihn werden.

Man hat dem Dichter häufig vorgeworfen, das; er in spätern Zeiten über
dem Zergliederer den Poeten und den Künstler vergessen habe, dies ist aber nur
in deu seltensten Fällen wahr. Bei Balzac fehlen die versöhnenden Elemente des
wahren Kunstwerkes nur in einigen wenige» seiner Romane, und wenn sich der
Arzt anch zuweilen zu sehr in den „schönen Krankheitsfällen" gefiel, so läugnete
er doch nie die Gesundheit. Seine Schöpfungen sind manchmal zu ideal, und
er ignorirt hier und da die menschliche Schwäche, die sich dem bösen Principe
gegenüber eben so gut geltend macht, als dem bösen gegenüber, aber nur
der heuchlerische Aerger des getroffenen Originals kann dem Dichter die Fehler der
Gesellschaft in die Schuhe schieben wollen.

Ein anderes Moment in Balzac's Charakter war die Vorliebe für außer¬
ordentliche Speculationen, um im Guten und Schönen den Reichthum zu ver¬
wenden, den er täglich auf unwürdige Weise verschwenden sah. Balzac's Pläne
i» dieser Beziehung grenzen oft an's Wahnsinnige und er, der die Schwindler
so vortrefflich zeichnete, gefiel sich nur zu oft in chimärenhaften Unternehmungen.

Man begreift nun leicht, welches Interesse die Komödie Balzac's, die wie
el» Resumu seiner speciellen Beobachtungen zu betrachten ist, beim hiesigen
Publicum errege» muß. Mercadet ist Ä» Speculant, der durch die Flucht eines
Compagnons seit acht Jahren den Kampf ans Tod und Leben mit seinen un¬
zähligen Gläubigern, mit dem drohenden Elend und mit dem vor der Thür
stehenden Bauauerout kämpft. Seine Ressourcen sind am Ende, und er macht
"us dem Eigennutze der Wucherer und Wechselagenten, die über sein Schicksal
M verfügen haben, eine Münze, um seine Tochter mit einem reichen Grafen zu
verheirathen. Mercadet kennt seine Pappenheimer, und weiß ihnen durch seinen
»nversiegbaren Erfindungsgeist, durch seine Beredsamkeit, dnrch seine Finten
neuen Credit zu entlocken in dem Momente, wo sie ihn nach Clichy bringen wollen.
Die nahe Heirath beruhigt Alle: das Gesinde, die Lieferanten und seine Gläu¬
biger. Mercadet weiß den Anbeter seiner Tochter zu bewegen, ihrer Hand zu
Gutsagen, angeblich, weil er vor der Armuth zurückschreckt, und diese willigt ans
Verzweiflung ein, die Frau des Grafen de la Brive zu werden. Der Graf
de la Brive ist aber selber nur el» Schuldenmacher, der im Hafen der Ehe
vor Clichy seine Zuflucht sucht, er ist der Schuldner Mercadet's, dem seine unter
fremdem Namen ^ausgestellten Wechsel als gutes Geld aufgehängt wurden. Mercadet
ist überlistet worden! Sein verfehlter Coup wird auf der Börse bekannt, und
"un scheint Alles verloren. Mercadet sieht noch einen Ausweg vor sich —
la Brive soll in den Olymps «zi^soff einen t'othbeschmuzten Wagen kaufen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280508"/>
          <p xml:id="ID_1106" prev="#ID_1105"> für seine Galerie taugte, und je schlauer der Betrug, um so lieber war er ihm.<lb/>
Hatte er einen solche» Pflauzstock gefunden, so beutete er ihn auch gründlich<lb/>
ans, und bei seiner./vergleichenden Beobachtungsgabe mußte eine solche Studie<lb/>
für eine Reihe von Arbeiten fruchtbringend für ihn werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1107"> Man hat dem Dichter häufig vorgeworfen, das; er in spätern Zeiten über<lb/>
dem Zergliederer den Poeten und den Künstler vergessen habe, dies ist aber nur<lb/>
in deu seltensten Fällen wahr. Bei Balzac fehlen die versöhnenden Elemente des<lb/>
wahren Kunstwerkes nur in einigen wenige» seiner Romane, und wenn sich der<lb/>
Arzt anch zuweilen zu sehr in den &#x201E;schönen Krankheitsfällen" gefiel, so läugnete<lb/>
er doch nie die Gesundheit. Seine Schöpfungen sind manchmal zu ideal, und<lb/>
er ignorirt hier und da die menschliche Schwäche, die sich dem bösen Principe<lb/>
gegenüber eben so gut geltend macht, als dem bösen gegenüber, aber nur<lb/>
der heuchlerische Aerger des getroffenen Originals kann dem Dichter die Fehler der<lb/>
Gesellschaft in die Schuhe schieben wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1108"> Ein anderes Moment in Balzac's Charakter war die Vorliebe für außer¬<lb/>
ordentliche Speculationen, um im Guten und Schönen den Reichthum zu ver¬<lb/>
wenden, den er täglich auf unwürdige Weise verschwenden sah. Balzac's Pläne<lb/>
i» dieser Beziehung grenzen oft an's Wahnsinnige und er, der die Schwindler<lb/>
so vortrefflich zeichnete, gefiel sich nur zu oft in chimärenhaften Unternehmungen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1109" next="#ID_1110"> Man begreift nun leicht, welches Interesse die Komödie Balzac's, die wie<lb/>
el» Resumu seiner speciellen Beobachtungen zu betrachten ist, beim hiesigen<lb/>
Publicum errege» muß. Mercadet ist Ä» Speculant, der durch die Flucht eines<lb/>
Compagnons seit acht Jahren den Kampf ans Tod und Leben mit seinen un¬<lb/>
zähligen Gläubigern, mit dem drohenden Elend und mit dem vor der Thür<lb/>
stehenden Bauauerout kämpft. Seine Ressourcen sind am Ende, und er macht<lb/>
"us dem Eigennutze der Wucherer und Wechselagenten, die über sein Schicksal<lb/>
M verfügen haben, eine Münze, um seine Tochter mit einem reichen Grafen zu<lb/>
verheirathen. Mercadet kennt seine Pappenheimer, und weiß ihnen durch seinen<lb/>
»nversiegbaren Erfindungsgeist, durch seine Beredsamkeit, dnrch seine Finten<lb/>
neuen Credit zu entlocken in dem Momente, wo sie ihn nach Clichy bringen wollen.<lb/>
Die nahe Heirath beruhigt Alle: das Gesinde, die Lieferanten und seine Gläu¬<lb/>
biger. Mercadet weiß den Anbeter seiner Tochter zu bewegen, ihrer Hand zu<lb/>
Gutsagen, angeblich, weil er vor der Armuth zurückschreckt, und diese willigt ans<lb/>
Verzweiflung ein, die Frau des Grafen de la Brive zu werden. Der Graf<lb/>
de la Brive ist aber selber nur el» Schuldenmacher, der im Hafen der Ehe<lb/>
vor Clichy seine Zuflucht sucht, er ist der Schuldner Mercadet's, dem seine unter<lb/>
fremdem Namen ^ausgestellten Wechsel als gutes Geld aufgehängt wurden. Mercadet<lb/>
ist überlistet worden! Sein verfehlter Coup wird auf der Börse bekannt, und<lb/>
"un scheint Alles verloren. Mercadet sieht noch einen Ausweg vor sich &#x2014;<lb/>
la Brive soll in den Olymps «zi^soff einen t'othbeschmuzten Wagen kaufen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0421] für seine Galerie taugte, und je schlauer der Betrug, um so lieber war er ihm. Hatte er einen solche» Pflauzstock gefunden, so beutete er ihn auch gründlich ans, und bei seiner./vergleichenden Beobachtungsgabe mußte eine solche Studie für eine Reihe von Arbeiten fruchtbringend für ihn werden. Man hat dem Dichter häufig vorgeworfen, das; er in spätern Zeiten über dem Zergliederer den Poeten und den Künstler vergessen habe, dies ist aber nur in deu seltensten Fällen wahr. Bei Balzac fehlen die versöhnenden Elemente des wahren Kunstwerkes nur in einigen wenige» seiner Romane, und wenn sich der Arzt anch zuweilen zu sehr in den „schönen Krankheitsfällen" gefiel, so läugnete er doch nie die Gesundheit. Seine Schöpfungen sind manchmal zu ideal, und er ignorirt hier und da die menschliche Schwäche, die sich dem bösen Principe gegenüber eben so gut geltend macht, als dem bösen gegenüber, aber nur der heuchlerische Aerger des getroffenen Originals kann dem Dichter die Fehler der Gesellschaft in die Schuhe schieben wollen. Ein anderes Moment in Balzac's Charakter war die Vorliebe für außer¬ ordentliche Speculationen, um im Guten und Schönen den Reichthum zu ver¬ wenden, den er täglich auf unwürdige Weise verschwenden sah. Balzac's Pläne i» dieser Beziehung grenzen oft an's Wahnsinnige und er, der die Schwindler so vortrefflich zeichnete, gefiel sich nur zu oft in chimärenhaften Unternehmungen. Man begreift nun leicht, welches Interesse die Komödie Balzac's, die wie el» Resumu seiner speciellen Beobachtungen zu betrachten ist, beim hiesigen Publicum errege» muß. Mercadet ist Ä» Speculant, der durch die Flucht eines Compagnons seit acht Jahren den Kampf ans Tod und Leben mit seinen un¬ zähligen Gläubigern, mit dem drohenden Elend und mit dem vor der Thür stehenden Bauauerout kämpft. Seine Ressourcen sind am Ende, und er macht "us dem Eigennutze der Wucherer und Wechselagenten, die über sein Schicksal M verfügen haben, eine Münze, um seine Tochter mit einem reichen Grafen zu verheirathen. Mercadet kennt seine Pappenheimer, und weiß ihnen durch seinen »nversiegbaren Erfindungsgeist, durch seine Beredsamkeit, dnrch seine Finten neuen Credit zu entlocken in dem Momente, wo sie ihn nach Clichy bringen wollen. Die nahe Heirath beruhigt Alle: das Gesinde, die Lieferanten und seine Gläu¬ biger. Mercadet weiß den Anbeter seiner Tochter zu bewegen, ihrer Hand zu Gutsagen, angeblich, weil er vor der Armuth zurückschreckt, und diese willigt ans Verzweiflung ein, die Frau des Grafen de la Brive zu werden. Der Graf de la Brive ist aber selber nur el» Schuldenmacher, der im Hafen der Ehe vor Clichy seine Zuflucht sucht, er ist der Schuldner Mercadet's, dem seine unter fremdem Namen ^ausgestellten Wechsel als gutes Geld aufgehängt wurden. Mercadet ist überlistet worden! Sein verfehlter Coup wird auf der Börse bekannt, und "un scheint Alles verloren. Mercadet sieht noch einen Ausweg vor sich — la Brive soll in den Olymps «zi^soff einen t'othbeschmuzten Wagen kaufen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/421
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/421>, abgerufen am 04.07.2024.